Elektroauto im Alltag ohne eigene Lademöglichkeit: Meist problemlos

Laden ohne eigene Wallbox ist meine Ist-Situation. Angeblich lässt sich ein E-Auto so nicht betreiben. Doch die Situation hat sich verändert.

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Renault Scenic

In Hamburg gibt es sehr viele öffentliche Ladestationen. Die meisten bieten Wechselstrom an. Dieser Renault Scenic etwa kann AC-seitig mit 22 kW laden, was angesichts der 87 kWh fassenden Traktionsbatterie sinnvoll ist.

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Elektroautos sind ideal für die Stadt, funktionieren aber nicht für Städter. Schließlich haben die wenigsten Menschen in den Metropolen einen eigenen Stellplatz oder eine Garage. Und keine Wallbox bedeutet kein Elektroauto. So oder so ähnlich sieht das Negativklischee aus. Die Realität ist eine andere. Zumindest bei mir. Ich wohne in einem hochverdichteten Gebiet in der Freien und Hansestadt Hamburg. Fast zwei Millionen Einwohner gibt es hier, Tausende von Pendlern quälen sich morgens und abends durch den Elbtunnel und über die Elbbrücken. Auch in Bus und Bahn kann es ziemlich eng werden.

Ich möchte berichten, wie es mit den Elektroautos bei mir ohne eigene Wallbox klappt – und zwar problemlos. Meine Erfahrungen sollen keine Belehrungen sein; mir ist bewusst, dass meine Situation in Hamburg nicht allgemeingültig ist. Trotzdem lassen sich viele lebenspraktische Ansätze nicht nur auf andere Städte, sondern auch auf das ländliche Deutschland übertragen.

Zunächst: Der erste Teil des ersten Satzes in diesem Text stimmt nur teilweise. Elektroautos sind nicht ideal für die Stadt, sie sind lediglich besser. Es macht einen Unterschied für die Atemluft, wenn immer weniger Fahrzeuge lokale Abgase ausstoßen. Das beste Verkehrsmittel aber ist – für mich – das Fahrrad. Nichts ist so schnell für die Wege zwischen Alster und Elbe. Außerdem ist es für Schreibtischarbeiter wichtig, sich mit der Kraft des eigenen Körpers zu bewegen. Sitzen ist das neue Rauchen.

Das Laden vorm Laden mit schnellem Gleichstrom entwickelt sich wegen der wachsenden Ladeleistungen bei zugleich immer größerem Energieinhalt der Traktionsbatterien zur attraktivsten Option für Besitzer von Elektroautos, die keine Wallbox haben. Dieser Xpeng G6 (Test) vor einem Supermarkt in Stade muss sich zwar mit maximal 150 kW begnügen. Er würde fast 270 kW schaffen. Trotzdem sind nach 10 oder 20 Minuten sehr viele Kilowattstunden nachgeladen.

Die Antwort auf den Alltag mit den elektrischen Testwagen, deren Ära bei mir im Februar 2013 mit einem Nissan Leaf begann und sich im Jahresverlauf mit einem Smart electric drive, einem Tesla Model S85, einer Renault Zoe sowie einem VW e-Up fortsetzte, ist banal: Ich bin auf die öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur angewiesen. Mit zugänglich ist gemeint, dass auch private Parkflächen mit Ladepunkten zum Beispiel vorm Baumarkt 24/7 befahren werden können. Hamburg hatte früh begonnen, ein öffentliches Basisnetz aufzubauen. Das Geld dafür kam zum Beispiel aus dem Konjunkturpaket II von 2009 und immer aus der Steuerkasse des wohlhabenden Stadtstaats.

Meine circa 400 km lange Standardmesstour für Testwagen über die Autobahn A1 westwärts nach Bremen, weiter nach Norden über die A27 in Richtung Bremerhaven oder Cuxhaven und zurück über Bundes- und Landstraßen durchs Alte Land war zu Beginn noch abenteuerlich. Ich erinnere mich gut an diese Runde mit der frühen Renault Zoe. Die konnte ausschließlich Wechselstrom laden, das allerdings mit 22 kW Leistung. Schnelle Gleichstrom-Ladeparks gab es nicht; selbst Teslas Supercharger waren zwar von Elon Musk angekündigt, aber noch nicht aufgebaut.

MIt dem Elektroauto auf der Langstrecke

Die Herausforderung in dieser Frühzeit zwischen 2013 und 2015 war die Kombination aus geringer Verfügbarkeit und dem mangelhaften Roaming. Die universelle Freischaltung des Ladestroms mit App, RFID-Karte oder Ad hoc ist inzwischen verlässlich, allerdings wird die Idee des Roamings momentan durch die weite Spreizung der Preise durch die Betreiber radikal unterlaufen. Hoffentlich ist das nicht mehr lange so.

Die Begeisterung in der Szene über die ersten Triple Charger ist heute kaum noch nachvollziehbar. Eine DC-Säule, die zugleich Gleichstrom nach dem europäischen CCS- (Combined Charging System) sowie nach dem japanischen Chademo-Standard bediente und zusätzlich einen AC-Ausgang hatte, war Anlass für Euphorie am digitalen Stammtisch und beim Ladesäulentratsch. Das ist Vergangenheit, die Welt der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur entwickelt sich dynamisch weiter. Mittlerweile ist das Netz an AC- und DC-Säulen in vielen (nicht in allen) Regionen Deutschlands ausreichend dicht. Egal ob urban oder nicht. So gibt es nur wenige Raststätten oder Autohöfe an Autobahnen, an denen noch keine DC-Parks errichtet sind. Zugleich ist die Nachfrage enorm gestiegen. In Hamburg gibt es haufenweise Elektroautos vom gebrauchten VW e-Golf über das Tesla Model Y bis zum Porsche Taycan Sports Turismo. Dazu kommen die elektrischen Taxis, Carsharing-Elektroautos sowie eine Vielzahl von Plug-in-Hybriden.

An vielen AC-Ladeplätzen stehen Pkw mit Ladestecker, bei denen offensichtlich ist, dass mehr geparkt als geladen wird. Das gilt vor allem nachts. Tagsüber, zwischen 9 und 20 Uhr, ist die Standzeit durch die Stadt auf drei Stunden begrenzt. Vorausgesetzt, der eigene Ladevertrag hat keine Blockiergebühr, wird nachts das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und "geladeparkt", so nenne ich das mal.

Weil der Vertrag, den wir in der Redaktion häufig nutzen, nach vier Stunden AC-seitig eine Blockiergebühr hat, muss ich auf diese Option verzichten. Das ist branchenüblich. Ich teste die AC-Leistung irgendwann tagsüber, wenn die Nachfrage geringer ist. Schafft der Testwagen tatsächlich die versprochenen elf oder 22 kW Ladeleistung? Wie hoch sind die Ladeverluste dabei?

2015 waren Triple Charger ein Anlass für Euphorie: Abseits der Supercharger-Ladeparks von Tesla waren das die ersten öffentlichen DC-Säulen. Sie haben Strom für Elektroautos nach dem europäischen DC-Standard CCS, dem japanischen DC-Standard Chademo sowie hier für eine Renault Zoe AC-Ladestrom angeboten.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Seit 2020 ist sowohl der durchschnittliche Energieinhalt der Traktionsbatterien als auch die DC-Ladeleistung bei vielen Elektroautos hoch und weiter wachsend. Ein Kia EV3, mit dem ich kürzlich unterwegs war, fasst mit gut 81 kWh drei Mal so viel wie ein Kia Soul von 2014 mit 27 kWh. Der aktuelle Trend bei mir ist aus diesen beiden Gründen: DC only.

Manchmal ist die Reichweite der Elektroautos so hoch, dass die 400 km lange Standardrunde zu kurz ist. Es gehört zu den ganz wichtigen Inhalten eines Tests, die DC-Ladeperformance zu überprüfen. Am besten nicht nur einmal, sondern mehrfach. Das geht so weit, dass ich den Autoherstellern sage, sie mögen die Testwagen bitte nicht voll oder zu 80 Prozent geladen übergeben, sondern besser mit einem niedrigen Ladestand. Einfach nur Kilometerfressen, um die Batterie zu entleeren, ergibt keinen Sinn.