Kommentar: Warum die S-Klasse nicht mehr zu den besten Autos der Welt gehört

Nun hat man ein Auto, das sich aus der Ferne über das eingebaute LTE-Modul Over-the-Air updaten lässt. Aber die Fehler der Mercedes S-Klasse bleiben.

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Mercedes S-Klasse

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Detlef Grell
Inhaltsverzeichnis

Wenn Sie das Folgende lesen, werden Sie vielleicht denken, mein Gott, das ist doch alles Kleinkram. Da haben Sie recht. Meine Betrachtungsweise ist aber: Verdammich, das sind doch alles leicht behebbare Fehler. Ist Mercedes zu ignorant oder zu arrogant, um Fehlerberichte von außen anzunehmen? Wo sind die Bug-Report-Kanäle, wo kann ich offiziell Missfallen an Lösungen äußern? Die Mercedes S-Klasse war bis zum W222 aus meiner Sicht tatsächlich eines der besten Autos der Welt, die aktuelle Version W223 ist es nicht. Leider sehe ich auch keine ernsthaften Bestrebungen, dass Mercedes das ändern möchte. Feedback von den Kunden kann sehr nützlich sein, um Produkte gegen erstarkende Konkurrenz zu verbessern. Vor allem, wenn man die konstruktiv kritisieren wollenden Kunden nicht als Nörgler und Spinner abtut. Ach so, ja, ich meine die deutschen Kunden. Die sollten auch mal wieder beachtet werden.

Ein Kommentar von Detlef Grell

Detlef Grell war seit der GrĂĽndung 1983 bei c't. Von 1987 bis 1996 war der Diplom-Ingenieur Elektrotechnik stellvertretender Chefredakteur, seit 1996 einer der beiden c't-Chefredakteure. Im Juni 2016 hat er sich nach 33 Jahren in den Ruhestand verabschiedet.

Als ich Anfragen zu dem übergriffigen Kollisionsvermeider hatte, gab es keinerlei qualifizierte Antwort, nur Floskeln. Immerhin erfolgte einige Monate später ein signifikantes Update. Man hätte einfach darauf hinweisen können. Ich bot an, etwas Konzeptkritik zur Usability insgesamt und einen Bugreport für den MBUX-Bereich (in meinem Sprachgebrauch mittlerweile MBUGS) einzubringen, mit dem ich mich täglich rumärgere – wäre so etwas nicht toll fürs Facelift alias Mopf?

Die Reaktion war schon cool. "Uns fehlt eine wichtige Information: Von welcher Niederlassung werden Sie betreut?" Nun, nachdem ich sie genannt habe, passierte nichts mehr. Aha, habe ich gedacht, also wurde ich wohl als unwichtig und vermutlich als Nörgler schubladisiert. Kann man machen, aber ist das nützlich? Ich habe mich absichtlich nur als Kunde und nicht als Journalist zu erkennen gegeben. Habe ich Arbeit gespart – bis die Kollegen meinten, das könne man ja mal veröffentlichen.

Heute war ich in der Waschanlage. Sehr schön, dieser Waschanlagenmodus, den ich schon nach nur einem Jahr durch Zufall in den Menüs entdeckt habe. Spiegel anklappen, Kameras schützen, Piepiepieps ruhigstellen und anderes, auf das ich gar nicht gekommen wäre – sehr nützlich. Aber ich bekomme jedes Mal die Pimpernellen, wenn ich beim Erreichen des Transportbands "N" einstellen soll. Am Mercedes-Wählhebel gibt es keine echte, explizite N-Stellung. Eigentlich kann nichts schiefgehen, wenn man den Hebel aus D oder R zur neutralen Mitte schiebt, denn versehentlich kann man R oder D nicht ohne Tritt auf die Bremse erreichen. Doch vor der Waschanlage rollt man nicht, sondern man steht auf der Bremse. Einmal versehentlich auf dem Transportband von D nach R durchgerutscht – oh, das kann peinlich werden … Wie könnte man das ändern? Na, etwa durch eine Druckposition des Schalthebels nach vorn oder hinten. Wie beim Fernlicht. Fallen mir noch die im W223 neuen Doppelfunktions-Schalter fürs Scheiben-Heben und -Senken ein. Will man mal checken, ob wirklich alle Fenster zu sind, fahren erst mal die Rollos hoch.

Mercedes S-Klasse Teil 1 (5 Bilder)

Eigentlich ein raffinierter Modus fĂĽr ein unĂĽbersichtliches Fahrzeug. Doch solange eine Fahrstufe eingelegt ist, verdecken die Balken immer etwas das eigentliche Zielgebiet "dicht am Bordstein".

Das Anmelden als User erfolgt meistens über die Gesichtserkennung. Die einzige dazu befähigte Kamera steckt im Tacho-Display und ist oft durch einen Lenkradholm beim Start verdeckt. Dann nervt zunächst ein alles überdeckendes Login-Display den großen Bildschirm. Also schnell den Finger auf den Sensor, damit man ein Ziel eintippen kann. Vorher muss man noch die Warnung vor dem unqualifizierten MBUX-Gebrauch abwarten, die ich inzwischen mehr als 1000-mal ignorieren musste. MBUX weiß doch, dass ich es bin. Es begrüßt mich schließlich mit "Hallo, Detlef!". Ich bin bei uns daheim der einzige Fahrer. Das komplizierte Einloggen ist einfach lästig und völlig überflüssig. Reicht es nicht, wenn ich dem System einmal sage, wer ich bin? Alternativ kann ich auch akzeptieren, wenn ich an meinem Handy erkannt werde. Fragt doch den Fahrer einfach per Menü, wie er es gern hätte.

Wenn ich dann endlich losfahren kann und links-rechts schauen muss, dann kommt das zuvor durch Park-Kamera-Anzeige oder Warn-Banner verdeckte "Für ECO-Modus hier tippen"-Banner. Das auch nur erscheint, wenn dieser beim zuvor liegenden Start auch gewählt wurde, also auch für die 100 Meter vom Haus zur Garage. Ein Ärgernis, das sich nun schon in diversen Fahrzeug-Generationen bei Mercedes durchwurstelt: Beim Start wird immer der Comfort-Modus eingestellt. Fragt man in der Werkstatt nach, dann ist das gottgegeben. Wegen der Homologation. Vom Gesetzgeber vorgeschrieben.

Herr Källenius: Man darf auch den Eco-Modus homologieren, und ganz irre – sogar mehrere Modi! Lassen Sie sich das mal von Audi erklären. Eigentlich müsste ich Ihnen jetzt eine Rechnung über mehrere 100 Liter Sprit stellen, denn nach meiner Beobachtung liegt zwischen Comfort- und Eco-Modus schon mal ein Liter auf 100 km. Der wird halt jedes Mal fällig, wenn man die Umschaltung vergisst. Das bringt wahrscheinlich sogar mehr als die aufwendige Zylinderabschaltung im V8.

Ein Blick auf die Tachovarianten – eine wirrer als die andere, keine in Details veränderbar. Hatte ich doch tatsächlich mal die Silber-Edition (exklusiv) im Einsatz. Nach wenigen Motorstarts war wieder der Standard "klassisch" da. Will ich den Reifendruck im Blick behalten, weil möglicherweise ein Nagel im Reifen steckt, konnte ich früher die Druckanzeige separat einblenden. Jetzt muss ich alle Service-Anzeigen gleichzeitig aktivieren und das Tempo erscheint nur noch als Zahl. Wo ist die Uhr unter dem Tacho geblieben – ah, klebt gerade der Hold-Button drüber (braucht man den eigentlich?), wenn ich an der Ampel stehe. Im großen Display rechts außen ist ja noch ein Ührchen – aber auf dem Tacho war echt kein anderer Platz mehr? So etwas in der Art findet man immer wieder.

Musikgenuss ist mir wichtig. Dafür habe ich der Firma Burmester viel Geld überwiesen. MBUX kann jetzt auch FLAC-Dateien verarbeiten, also verlustfrei komprimierte Musik spielen, CD-Qualität also. MBUX ist bei mir mit zwei USB-C-Ports gesegnet und in der Betriebsanleitung steht explizit der Begriff SSD – da passt in der Regel ein bisschen mehr drauf als aufs Stickchen.

Aber wenn man quasi die gesamte Musiksammlung als FLAC-Dateien – bei mir knapp 500 GByte – im Zugriff haben möchte, ach ach. In zwei Jahren hat MBUX es nicht ein einziges Mal geschafft, eine Playlist mit knapp 100 Einträgen bis zum Ende abzuspielen. Übrigens auch nicht vom iPhone via Bluetooth. Manchmal wurde die Playlist ohne mein Zutun drastisch verkürzt. Oft startet auch die SSD einfach am Anfang neu, läuft dann aber netterweise über Ordnergrenzen einfach weiter. Wäre mir als explizit wählbarer Modus sehr willkommen. Aber hier läuft das nicht endlos.

Stattdessen wechselt MBUX auch mal ungefragt in den Zufallsmodus – etwas bizarr, wenn sich einzelne Sätze aus Beethoven-Sinfonien mit Rage Against the Machine oder Lana del Rey abwechseln. Deswegen würde ich diesen Modus niemals freiwillig einstellen. Aber. Vermutlich habe ich es unfreiwillig getan. Es hat etwas gedauert, bis mich die Meldung im Bild erleuchtet hat.

Der Fahrer hat mit den Fingern ein V gemacht und einen Favoriten aktiviert, den er gar nicht wissentlich eingegeben hat.

(Bild: Detlef Grell)

Ich habe gerade Bonbons über der Mittelkonsole für die Fahrt ausgewickelt. Daraufhin erschien dieser Bildschirm – und das Musikprogramm wechselte in den Zufallsmodus. Es gibt letztlich nur die V-Pose alias Geste, die einen(!) Favoriten aufrufen kann, die ich wohl beim Auswickeln gemacht habe. Warum aber war die mit einer Funktion verknüpft, die ich nie benutzen würde? Und wie bekomme ich das weg? Und welche Farbe hat das Modus-Symbol, wenn es aktiv ist, blau oder weiß? Schau ins Handbuch. Haha. Genau das steht da nur in Schwarzweiß – also nicht …

Schon die Navigation zur Musikauswahl ist holperig. Da ich viel Klassik dabeihabe, ist diese natürlich nicht nach Interpreten sortiert, sondern nach Komponisten in einzelnen Ordnern. Deren Werke wiederum sind in Album-Ordnern unterschieden. Ein halbwegs brauchbares Ordnungsmittel über Albumgrenzen hinweg sind Playlists. Bei so viel Material wird aber nur an besonderen Tagen (wenn also schon ein kleiner temporärer Index erzeugt wurde) gleich eine Playlist-Auswahl angeboten, normalerweise muss man erst ein paar Zeichen eintippen. Besser klappt das per Ordner.

Eine tolle Lösung für meine Gemengelage wäre, wenn ich auf Ordnerebene zur Wunschmusik navigiere, um am Ziel die dort befindliche Playlist starten zu können. Die umspannt in der Regel mehrere Alben beziehungsweise Unterordner. Was macht MBUX? Die Playlist ist vorhanden, wird als Playlist angezeigt – doch wenn man sie anklickt, wird die Suche kommentarlos abgebrochen.

Ja, ich sehe die "von oben herab-Lächler" vor meinem geistigen Auge: "Dann nimm halt Spotify oder Apple-Music, du Ewiggestriger." Klar, für Pop kein Thema. Klassik? Krieg ich da jeden gewünschten Interpreten? In Burmester-Qualität? Bei meinen letzten Versuchen war das eher karg. Ist mir eigentlich auch egal. Ich habe eine mit viel Liebe und Mühe und Geld zusammengetragene Musiksammlung und in meinem Auto steckt eine sauteure Musikanlage. Da verlange ich einfach, dass diese die Basics beherrscht.