Elektroauto: Mitfahrt in BMWs Beast im Puls des Heart of Joy

BMWs Ingenieure testen den Fahrdynamik-Computer "Heart of Joy" in einem extrem leistungsstarken E-Auto, genannt "das Beast". Wir fuhren eine Testrunde mit.

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BMW Beast

BMW Beast mit Rekuperationsanzeige in den Felgen

(Bild: BMW)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Dirk Kunde
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Rennfahrer Jens Klingmann steuert den Wagen in eine lang gezogene Kurve der Teststrecke. Von der Rückbank aus erkenne ich die Zahlen auf dem Fahrerbildschirm. Wir fahren fast geräuschlos 190 auf der Teststrecke neben dem US-Werk von BMW in South Carolina. 190 Meilen pro Stunde – also mehr als 300 km/h.

"Es geht darum, die Grenzen der Physik mit diesem Fahrzeug auszutesten", sagt Christian Thalmeier, Driving Dynamics Experte bei BMW nach meiner Proberunde. Das mit Tarnfolie beklebte E-Auto hat kein BMW-Logo auf der Haube. Es wird niemals in Serie gehen. Offiziell trägt es die drei Buchstaben VDX. Die BMW-Mitarbeiter vor Ort nennen es das Beast. Die E-Motoren liefern maximal 18.000 Newtonmeter Drehmoment. Damit der Wagen in der Kurve am Boden klebt, rotieren unter dem Fahrzeug Impeller, um dort Unterdruck zu erzeugen. Sie ziehen das Auto mit bis zu 1200 kg Anpressdruck an die Fahrbahn.

Um ein derartiges Fahrzeug auf der Strecke zu halten, benötigt man Rennerfahrung. Darum sitzt Jens Klingmann am Steuer. Der 34-jährige ist Werksfahrer im BMW M Motorsport-Team. Er gewann unter anderem die 24 Stunden von Dubai und zweimal die italienische GT-Meisterschaft. "Am meisten hat mich die, im wahrsten Sinne des Wortes, atemberaubende Beschleunigung im VDX begeistert", beschreibt es Klingmann. Davon habe ich nach der Proberunde ebenfalls einen guten Eindruck.

Die Idee für diesen Autowahnsinn ist schnell zusammengefasst: "Wenn das Heart of Joy hier funktioniert, wird es jede Situation auf öffentlicher Straße meistern", sagt Thalmeier. Im Herbst des Jahres hat das erste Fahrzeug der neuen Klasse Premiere, voraussichtlich ein iX3 SUV. Die Systemarchitektur als auch das Bedienkonzept halten jedoch in alle nachfolgenden Modelle des Herstellers Einzug. Doch insbesondere bei den elektrischen Varianten fragen sich einige Stammkunden, wie BMW ihren Claim "Freude am Fahren" in die Elektromobilität überträgt? Um eine Antwort zu geben, taufte BMW-CEO Oliver Zipse den zentralen Computer "Heart of Joy". In der schwarzen Box stecke fortan die Fahrfreude, so seine Botschaft.

Im Puls des Heart of Joy (9 Bilder)

Bei der Erprobung der Komponenten für das Software Defined Vehicle setzt BMW auf einen mit Bedacht übermotorisierten Testwagen. Ganz einfach, weil: "Wenn das hier funktioniert, wird es jede Situation auf öffentlicher Straße meistern". (Bild:

BMW

)

Bislang verfügen Autos in der gehobenen Klasse über mehr als 100 Steuergeräte, etwa für Fahrwerkstabilisierung und Gurtstraffer, Bremsen und Airbags. Die Software auf diesen Geräten bleibt nach der Montage unverändert. Steuergeräte miteinander zu verknüpfen, um neue Funktionen zu schaffen, ist nahezu unmöglich. Die Auswahl der Steuergeräte bestimmt die Funktionen im Auto. Mit dem Übergang zum Software Defined Vehicle (SDV) findet ein Paradigmenwechsel statt. Nun bestimmt Software die Funktionen. Die Codezeilen lassen sich über die Lebenszeit eines Autos verändern. Jedes Update bringt neue Funktionen.

Setzt man das SDV-Konzept konsequent um, steuert ein Hochleistungsrechner sämtliche Vorgänge im Fahrzeug. Doch auf einen einzigen Computer zu setzen, der gleichermaßen für Bremsen und Bildschirm verantwortlich ist, machen die wenigsten Autohersteller. BMW verteilt die Aufgaben auf vier Computer. Einer steuert die automatisierten Fahrfunktionen. Ein zweiter ist für Anzeigen und Infotainmentsystem verantwortlich. Der dritte übernimmt Basisfunktionen wie Klima, Komfort und Licht. Nummer vier ist das erwähnte Heart of Joy. Wobei BMW ihn sicherlich als Nummer eins bezeichnen würde.

In seine Entwicklung hat der Autohersteller viel Aufwand investiert. Die Hardware stammt von Zulieferern, doch das Konzept wie auch die Software wurden hausintern realisiert. BMW will das SDV-Prinzip und damit die Software-Hoheit im Auto von morgen fĂĽr sich reklamieren. Das Heart of Joy ĂĽbernimmt die Steuerung von Antrieb, Bremsen als auch Rekuperation. Zudem werden einige Funktionen der Lenkung sowie des Ladens ĂĽbernommen.

Der Computer kann bis zu vier Motoren steuern. Damit könnte BMW in absehbarer Zeit einen Allradantrieb realisieren. In bisherigen Fahrzeugen waren separate Steuergeräte für den Motor und die Verteilung der Bremswirkung auf die Räder zuständig. Das wächst jetzt zusammen. Der E-Motor ist nicht nur ein effizienter Antrieb, er kann auch eine Bremse sein. "Wir haben das Fahrverhalten unserer Kunden analysiert und festgestellt, dass bei 98 Prozent aller Bremsvorgänge die Rekuperation durch den E-Motor ausreicht", sagt Dahlmeier.

Ein Wechsel von beschleunigen zu bremsen erfolgt nun schneller und gleichzeitig energieeffizienter. Jedes Mal, wenn der E-Motor ein Rad verlangsamt, entsteht durch Rekuperation Energie, die in die Batterie fließt. "Wir gehen von einer 25-prozentigen Effizienzsteigerung bei der Energienutzung aus", sagt Dahlmeier. Wie selten die Reibbremsen noch zum Einsatz kommen, demonstriert BMW auf der Teststrecke mit bunten LED-Lichtern, die in den Rädern verbaut sind. Leuchtet ein Rad grün, beschleunigt der Wagen. Bei Blau wird rekuperiert. Orange sieht man tatsächlich kaum. Es leuchtet, wenn ein Bremsklotz auf die Bremsscheibe drückt.

Der Wechsel zum Heart of Joy kommt auch der Fahrdynamik zugute, da im Vergleich zum alten System Informationen zehnmal schneller vom Rechner zu Rad, Bremse und Motor gelangen. Die präzisere Verteilung der Kraft auf die vier Räder bringt laut Hersteller mehr Traktion und ein souveränes Kurvenverhalten. Es sind weniger nachträgliche Regeleingriffe, beispielsweise beim schnellen Durchfahren einer Kurve notwendig. Die Fahrspur wirkt auf den Fahrer stabiler und präziser. "Es ist ein reproduzierbares und damit intuitiveres Steuern möglich", so Dahlmeier.

Mit dem SDV-Konzept hält eine weitere Veränderung Einzug in die Autos. BMW setzt bei der elektrisch-elektronischen Architektur auf Zonen. Das Auto wird in die vier Zonen Front, Rumpf (Mitte), Heck und Dach unterteilt. Der Zonen-Controller im Heck ist beispielsweise dafür verantwortlich, alle Steuerbefehle an die hinteren Blinker, Räder und die Kofferraumklappe der Zone zu leiten.

Der große Vorteil liegt im Gewicht der Verkabelung. Ein Kabelbaum ist in konventionellen Autos nach dem Motor das schwerste Bauteil im Auto. Die Befehle zwischen den vier Rechnern und den Zonen-Controllern werden über gebündelte Datenleitungen übermittelt. Eine Verkabelung für das Öffnen der Heckklappe muss damit nicht mehr separat durch das ganze Fahrzeug gelegt werden. Es wird nur noch die Strecke vom Zonen-Controller bis zum jeweiligen Bauteil mit einem Kabel verbunden. "Neben der Gewichtseinsparung lassen sich Kabelbäume jetzt mit höherem Automatisierungsgrad fertigen", sagt ein BMW-Sprecher.

Darüber hinaus übernehmen elektronische Sicherungen, sogenannte eFuses, das Energiemanagement im Fahrzeug. BMW hat rund 150 Schmelzsicherungen ersetzt – mit Zusatznutzen: eFuses ermöglichen eine digital gesteuerte Energieverteilung. Je nach Fahrsituation wie Laden, Parken oder Fahren können nicht benötigte Komponenten vollständig abgeschaltet werden. Das ist ebenfalls Teil der verbesserten Energieeffizienz.

(fpi)