Die gläserne Decke.
Manche behaupten es gäbe sie gar nicht.
Sehr oft höre ich „das ist alles nur Gejammere, wer etwas leistet kommt auch weiter.
„Wir stellen nach Leistung ein, nichts anderes zählt. Auch nicht bei Beförderungen“
Was nur zeigt, wie tief diese bescheuerten „wir sind gerecht und haben keine Vorurteile“ verwurzelt sind (Spoiler: Wir alle haben welche, ohne könnten wir gar nicht funktionieren)
Kannst du nachlesen im Blogartikel Was ist eigentlich Intersektionalität.
Erst wenn wir selbst reflektieren, welche dieser Gedanken und Gefühle bei uns aufblitzen, warum wir bestimmte Menschen einstellen oder befördern, und dabei wirklich ehrlich zu uns sind, erst dann können wir es ändern. Zum Besseren.
Die gläserne Decke, was soll das denn genau sein?
Warst du schon einmal in einem Zoo, wo die Tiere nur durch eine dicke Glasscheibe von dir getrennt waren? Wenn das Glas ganz sauber ist, wirkt es für beide Seiten fast als wäre da nichts trennendes, als könnte der Gorilla direkt zu dir kommen, du ihn berühren.
Oft versuchen die Tiere auch zu uns zu kommen, sie können dieses Glas erst im letzten Moment, wenn überhaupt wahrnehmen.
Im beruflichen Kontext ist es oft ähnlich.
Menschen stehen vor einer gläsernen Wand, sie ist unsichtbar, dafür aber um so mehr spürbar.
Diese Wand besteht aus all den Dingen, die festlegen, wer dazu gehört und wer nicht.
Wer „passt“ und wer nicht. Also aus Codes, Erwartungen, unausgesprochenen Normen und Vorstellungen.
Sie ist nicht böswillig oder als Angriff gedacht, sie besteht aus Gewohnheit, aus Angst, aus Macht, aus Bequemlichkeit und aus „das war schon immer so“.
Sie betrifft fast alle von uns, wenn auch auf teils unterschiedliche Weise.
Sie trennt nicht Frauen von Männern, sondern die die ins Bild passen von denen, die aus welchem Grund auch immer eben nicht reinpassen.
Wenn alle gleiche Chancen haben
Wie kann das Abschlussfoto der Länderchefs dann so aussehen? Die beiden Chefinnen haben bei dem Treffen gefehlt.
Die Bundesdeutsche Bevölkerung ist vielfältig, die Hälfte davon ist weiblich gelesen.
Wie kann es sein, dass dann die Länderchefs, bis auf die beiden abwesenden Frauen, alles weiße Männer (vermutlich cis) im Alter von 45+ sind?
Niemand mit Migrationshintergrund, niemand mit anderer Hautfarbe, alle im dunklen Anzug und Kravatte, niemand irgendwie sichtbar behindert…….
Warum stoßen Menschen an diese unsichtbaren Grenzen?
Da gibt es sehr viele Gründe.
Es gibt ein System, das ist erst mal schon sehr lange da. Es ist stabil, weil es funktioniert, für die, die drin sind. Für die ist es super bequem und komfortabel.
Für alle anderen eher weniger.
Was grenzt da aus?
Erst mal die Sprache.
Nicht nur wie gut du überhaupt Deutsch sprichst.
Welche Worte benutzt du?
Sprichst du Dialekt, wenn ja, welchen?
Hast du einen Akzent oder einen Sprachrhythmus der nicht in die „Norm“ passt?
Wer Dialekt spricht, bestimmte Akzente hat oder andere Sprachrhythmen, wird als weniger kompetent wahrgenommen, egal wie gut die Inhalte sind.
Wir alle reagieren auf Stimmen (sofern wir sie wahrnehmen können), auf Tonlagen, Sprachmuster. Manche erinnern uns an Macht oder Bildung, andere eben weniger.
Dann bleibt Sprache eben ein Eintrittsticket, das ist nicht böse, aber verdammt gefährlich und eben ausgrenzend.
Die soziale Herkunft
Wird mit dem schönen Fachbegriff Klassismus bezeichnet. Hier die tolle Erklärung von Wikipedia dazu.
Es wird ja oft gesagt, Bildung sei der große Gleichmacher.
Stimmt aber nur auf dem Papier.
Ein Arbeiterkind, wird schon mal viel seltener überhaupt für höhere Schulen empfohlen als Kinder von Akademikern.
Hat es dann erfolgreich das Studium abgeschlossen, kennt es die ungeschriebenen Regeln der „Oberschicht“ nicht. Nicht die Sprache, nicht den Smalltalk, nicht die Codes.
Es gibt keine Mentoren auf dem Golfplatz, keine Eltern, die „mal eben“ beim Vorstand anrufen, Praktikumsplätze etc fixmachen können usw. Dazu gibt es auch eine klasse Studie vom Kiel Institut, über die Schwierigkeit des sozialen Aufstiegs in Deutschland, die ich hier verlinke.
Wer keinen kennt bleibt oft draußen, egal wie klug oder gebildet.
Kompetenz haben hilft nichts, wenn du sie nicht zeigen darfst.
Das Geschlecht
Das gilt jetzt nicht nur für Frauen, auch für alle anderen Geschlechter.
Frauen z.B. gelten als zu emotional, nicht durchsetzungskräftig oder ehrgeizig genug.
Männer gelten per se als entschlusskräftig, ehrgeizig.
Darüber hab ich schon in Was ist eigentlich Intersektionalität geschrieben, ebenso in it is a men`s world
Keiner würde es laut zugeben, es wirkt aber bei jeder Bewertung.
Andere Geschlechter als das normative müssen doppelt soviel leisten, um als kompetent zu gelten, dürfen maximal halb so viel lächeln, um ernst genommen zu werden.
Verrückt dabei ist ja auch, Männer dürfen scheitern, dabei werden sie dann als risikofreudig wahrgenommen.
Frauen scheitern natürlich auch mal, sie waren dann aber völlig überfordert…. ähm ja.
Das ist übrigens keine Einbildung, das ist durchaus messbar.
Könnte natürlich auch daran liegen, dass eine Frau oft erst dann an die Spitze geholt wird, wenn eh schon alles am Sinken zu sein scheint, also die Chance des Scheiterns am größten ist, so wie gerade bei der Bahn. Glas cliff, Wikipedia
Jetzt nur meine Meinung, aber Risikofreude bei Männern wäre für mich, wenn sie dann, wenn´s kurz vor Knall ist (und sie das ganze schon sauber an die Wand gefahren haben), das Risiko tatsächlich tragen würden, anstatt sich genau dann zu verpissen und die Frau die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Just my 2 cents.
Wenn ich mir nämlich so die letzten großen Geschichten anschaue, wo es genau so gelaufen ist: Schafft die Frau es auch nicht mehr den Karren aus dem Dreck zu ziehen, wussten es natürlich alle „Frauen können das halt auch nicht besser“, schafft sie es „war Glück“.
Und der nächste Mann übernimmt die Führung über den jetzt wieder funktionierenden und stabilisierten Scherbenhaufen.
Herkunft und Hautfarbe
Diesmal nicht soziale Herkunft sondern die Frage ob Migrationshintergrund da ist. Macht sich ja teilweise schon am Namen fest, selbst wenn die betreffende Person schon seit 3 Generationen hier lebt und den deutschen Pass hat.
Da gibt es dann sogar die doppelte Glasdecke.
Erst kommt man kaum ran an entsprechende Jobs, und dann gibt es das Integrationsparadox. Das hat Cengiz Toklu in diesem LinkedIn Post wunderbar beschrieben.
Es wird immer gefordert, alle sollen sich integrieren.
Je sichtbarer dann aber der Erfolg wird, desto größer wird die Ablehnung.
„So erfolgreich, trotz ihres Akzents/Migrantischer Eltern/Hautfarbe/Religion…..
„So eine Position, trotz ihres Kopftuchs“
Als ob der Erfolg nur in vertrauter Verpackung (= dunkler Anzug, Krawatte, weiß und Männlich, Vorname möglichst Dieter oder Stefan) akzeptabel ist.
Das ist nicht immer offener Rassismus, dieser stille Rassismus hält sich leider genau deshalb so hartnäckig.
Behinderung und Neurodivergenz jeglicher Art
Das ist das nächste Hindernis.
Wer sich ständig anpassen muss, um mitzuhalten, ist nicht gleichberechtigt.
Nicht jede*r hält stundenlange Meetings ohne Pausen aus. Reizüberflutung durch zu viele Menschen die durcheinander reden, Meetings ohne klare Struktur, oder schlicht laute Großraumbüros.
Menschen sind eben nicht genormt.
Was den einen nichts ausmacht, bringt andere weit über ihre Grenzen.
Dabei bedeutet das nicht, dass diese Menschen weniger leistungsfähig sind, sie brauchen nur andere Voraussetzungen.
Gleiches gilt für Menschen mit anderen körperlichen Einschränkungen, z.B. nur weil jemand schlecht oder gar nichts hört, bedeutet es doch nicht, dass diese Person nicht mindestens so viel beizutragen hat wie alle anderen.
Ja und jetzt? Die Decke ist also da, dieses gläserne Ungetüm.
Jetzt können wir es weiter ansprechen. Aufmerksam machen und es ändern.
Natürlich geht es erst wirklich, wenn diejenigen, die an der Macht sind, dazu bereit sind.
Wenn sie lernen, so geht´s besser, so macht das Unternehmen besseren Umsatz, kommen mehr Innovationen, die Personalfluktuation ist weniger, der Krankenstand geht runter….
Natürlich kostet das manchmal auch Geld. Rampen statt Treppen, größere Türen, barrierefreie Toiletten, Hinweise in Blindenschrift, manchmal auf speziell ausgestattete Räume mit anderem Licht zum Beispiel.
Aber es ist Geld, das allen letztendlich zugute kommt.
Jeder kann einen Unfall haben, und dann genau darauf angewiesen sein.
Durch die Vielfalt im Unternehmen, in der Führungsetage, überall, verändert sich das Unternehmen zum Besseren.
Wer für mehr Menschen mitdenkt, in der Planung der Meetings, im Unternehmen, in der Ausstattung… der denkt das automatisch auch bei der Produktentwicklung mit und vergrößert damit den Kund*innenkreis.
So vielfältige Mitarbeitende und Führungsteams bringen neue Ideen, neuen Schwung und mehr Reibung.
Reibung soll gut sein?
Reibung ist sehr gut, ist notwendig für Innovation.
Wie sollen wir denn auf neue Ideen kommen, wenn wir immer nur die ausgelatschten Pfade laufen? Wenn alle immer harmonisch in eine Richtung denken, entsteht nichts neues.
Deshalb ist Reibung etwas gutes.
Solange wir andere Meinungen als Meinung sehen, nicht als persönliche Angriffe, nur weil jemand vielleicht andere Ideen hat als man selbst.
All das was ich hier geschrieben habe, gilt mindestens, wenn nicht noch mehr auch in der gesamten Gesellschaft. Regierungen, die sich nur aus halbwegs gesunden, reichen, weißen Cis-Männern zusammen setzen, können, KÖNNEN nicht für alle denken und agieren.
Sie sehen viel zu vieles nicht, können sie gar nicht, weil es außerhalb ihres Erfahrungshorizontes liegt.
Wer nie arm war, nie am Existenzminimum rumgekrebst hat, der wird nie erahnen können, wie schrecklich es ist.
Wer nie ausgegrenzt wurde, kann sich nicht mal vorstellen was das mit einem macht, ständig alles doppelt und dreifach beweisen zu müssen, falls man überhaupt die Chance dazu bekommt.
Genau deshalb ist es ja so wichtig, dass mehr Vielfalt in unsere Regierung kommt.
Dass Menschen mit anderen Hintergründen, anderer Denke, anderen Erfahrungen mitreden können.
Und vor allem auch jüngere Menschen, Menschen mit Einschränkungen jedweder Art, mehr Frauen und Menschen aller anderen Geschlechter. ALLE die hier leben sollten entsprechend vertreten sein.
Leicht gesagt, nur wie werden wir diese gläserne Decke los?
Tja, jetzt wird es richtig unbequem.
Sowohl für „die da oben“ als auch für alle anderen.
Erst mal müssen die „Entscheider*innen“ egal ob in Unternehmen oder der Politik ihren Tunnelblick verlieren. Sie müssen hinsehen und dann, noch schlimmer, wirklich sehen was los ist.
Sie müssen anfangen zu sehen, dass es nicht reicht, Behindertenwerkstätten oder Wohnheime zu bauen (an denen man sehr gut verdienen kann, wenn man sie besitzt, nicht wenn man drin wohnt oder arbeitet).
Sie müssen lernen, Sexismus, Rassismus, Ausgrenzung als solche auch bei sich wahrzunehmen. Zuzugeben, dass sie massive Privilegien haben, und was vermutlich noch schwieriger ist, dass diese Privilegien nur funktionieren, wenn andere diesen Vorsprung halt nicht bekommen. Dazu hab ich ganz viel geschrieben in Privilegien, sowas hab ich doch gar nicht
Dazu müssen sie sich selbst reflektieren, Verantwortung übernehmen für Entscheidungen die ausgrenzen, Kriterien für Einstellungen und Beförderungen standardisieren und immer wieder kritisch hinterfragen.
Schlicht gesagt, strukturelle Änderungen vornehmen und vorleben. Nicht nur Makeup Änderungen auf die Website schreiben oder verkünden. Leben müssen sie ihnen geben.
Wir alle, jede*r einzelne von uns kann auch etwas tun.
Wenn du merkst, jemand wird unterbrochen, wiederhole du noch mal den Punkt und nenne den entsprechenden Namen : „Was xy grade gesagt hat, war…. xy kannst du das noch kurz ergänzen?“
Weise auf das Benehmen hin, nicht auf den oder die Einzelnen: „Ich hab gesehen, dass gerade … zweimal unterbrochen wurde. Könnten wir die Redeordnung nochmal kurz klären?“
Sponsore andere, statt nur Mentor*in zu sein. Stell Menschen aktiv vor, empfehle sie anderen, nimm sie mit in dein Netzwerk.
Dokumentiere: Notiere, wer spricht und wie lange. Wer ist eingeladen und wer nicht. Daten sammeln hilft ungemein bei der Diskussion.
Vor allem anderen: Schau hin, sei Verbündete*r, nimm Beschwerden und Bemerkungen ernst wenn jemand über Ausgrenzung, Rassismus und ähnliches spricht.
Solche Bemerkungen, solches Feedback ist kein persönlicher Angriff, auch nicht wenn jemand dich darauf hinweist, dass du selbst gerade etwas verletzendes gesagt hast.
Jeder empfindet es anders, sprich anderen nicht ihre Empfindungen ab, sondern frage was du ändern könntest. Nur weil du meinst es wäre nicht böse gewesen, könnte es andere trotzdem verletzen. Es ist eine Chance zu lernen und zu wachsen.
Sprich mit den Menschen.
Selbstreflexion ist anstrengend, kann weh tun und holt dich raus aus deiner Komfortzone. Keine Frage.
Trotzdem ist sie so verdammt notwendig und auf Dauer nützlich für alle.
Veränderung beginnt nämlich nicht mit neuen Gesetzen, die sind das Ergebnis davon.
Veränderung beginnt bei jede*m einzelnen von uns. Bei dir, bei mir.
Sie beginnt damit genau hinzuschauen, hinzuhören, und es auszuhalten, was wir sehen und hören.
Und damit dann endlich den Hintern in Bewegung zu bekommen und sich zu ändern.
Auch ich lerne täglich dazu, merke wie Dinge die ich gedankenlos gesagt oder getan habe, andere verletzt haben.
Ich lerne dazu, jeden Tag.
Bis neulich mal wieder
Antonia vom Cafè Ruhepol