Pjotr Iljitsch Tschaikowski, losgelöst von der Erhabenheit des Kaiserlichen Theaters in Sankt Petersburg oder der himmelstürmenden Tragik seiner späten Sinfonien. So präsentiert der Pianist Daniil Trifonov den weltberühmten Komponisten. Diese Auswahl von Werken zeigt abwechselnd den jungen, aufstrebenden Tschaikowski und den reifen Künstler, der sich an die Freuden und Leiden seiner Kindheit erinnert. Diese beiden Aspekte ergänzen sich nicht nur gut, sondern werfen auch ein aufschlussreiches Licht aufeinander, wie Trifonov gegenüber Apple Music Classical erklärt. Dies gilt seiner Meinung nach selbst für das relativ bekannte „Kinderalbum“ mit Stücken wie „Morgengebet“ und „Süße Träumerei“, die vielen Klavierschüler:innen vertraut sind: „Es ist eine völlig andere Erfahrung, Jahre später zu ihnen zurückzukehren und den philosophischen Aspekt zu erkennen, während man den gesamten Zyklus spielt.“
Trifonov eröffnet sein Album jedoch mit zwei weniger bekannten Werken. Das „Thème original et variations“ aus „Sechs Klavierstücke, op. 19“, komponiert 1873 – ein Jahr, bevor Tschaikowski sein erstes Klavierkonzert schrieb –, ist außerhalb Russlands kaum bekannt. Der Solist kennt es aus seiner Studienzeit in Moskau: „Ich habe es auf dem Weg zum Tschaikowski-Wettbewerb und bei mehreren Konzerten gehört.“ Wie das „Kinderalbum“ bietet es hervorragendes Material zur Entwicklung von Musikalität und Technik. Es beginnt mit einem Thema, das für Tschaikowskis Stil charakteristisch ist – charmant und leicht wehmütig (Trifonov spielt es mit sanfter Hingabe). Dann wird die Musik technisch wie musikalisch anspruchsvoll: in der filigranen „Variation Nr. 2“, den virtuosen Stakkato-Akkorden der „Variation Nr. 4“ oder den dramatischen Kontrasten zwischen den „Variationen Nr. 8 und 9“.
Es folgt die erfindungsreiche „Klaviersonate in cis‑Moll“, die zwar als „Nr. 2“ bezeichnet wird, tatsächlich jedoch 13 Jahre vor der „Großen Klaviersonate in G‑Dur“ (1878) entstand. Für Trifonov ist es „ein faszinierendes Stück – Tschaikowski schrieb es während seines Studiums am Sankt Petersburger Konservatorium. Und es zeigt, wie intensiv er mit seiner musikalischen Sprache experimentierte. Auch pianistisch ist es ausgesprochen anspruchsvoll. Am meisten überraschte mich seine technische Komplexität, die darauf hindeutet, dass er zu diesem Zeitpunkt vielleicht darüber nachdachte, Konzertpianist zu werden.“
Dies ist durchaus möglich – vielleicht zeigt sich Trifonov zurückhaltend in seiner Einschätzung dessen, was er aus Tschaikowskis Klaviersatz macht, der bei anderen Pianist:innen oft schwerfällig wirkt. Mit seiner sensiblen Anschlagskunst bringt er den Reichtum der basslastigen Akkorde, mit denen die Sonate beginnt, eindrucksvoll zur Geltung und lässt das kontrastierende zweite Thema schimmern. Anschließend betört er mit den harfenartigen Texturen, die den zweiten Satz „Andante“ eröffnen, und stellt die klangvolle zentrale Formulierung später den sanften, fast magischen Schlussakkorden gegenüber.
„Scherzo“, der dritte Satz der Sonate wird denen vertraut sein, die das Gegenstück in Tschaikowskis „Erster Sinfonie“ kennen. Trifonov lässt die Klavierversion dabei sowohl in ihrer Leichtigkeit als auch in ihren ausdrucksstarken Momenten der Orchesterfassung ebenbürtig erscheinen. Im Gespräch mit Apple Music Classical hebt er hervor, dass diese Soloklavierwerke eine Facette von Tschaikowskis musikalischer Sprache hervorheben, die in größeren Werken leicht übersehen wird: „Die persönliche Seite des Komponisten ist auch in seinen großen Opern, Sinfonien und Balletten deutlich präsent – sie macht seine Musik sofort unverkennbar. In Werken für wenige Interpret:innen, etwa Gesang und Klavier oder Klavier solo, tritt sie noch stärker hervor.“
„Die Sonate ist bereits ein origineller und lebendiger Ausdruck des jungen Komponisten“, fährt Trifonov fort. „Ihre Keimzellen finden sich später in Werken wie der ‚Ersten Sinfonie‘ wieder – und doch bleibt die Sonate ein kraftvolles Zeugnis des jungen Tschaikowski.“
Nach dem „Kinderalbum“ schließt Trifonov das Programm mit Mikhail Pletnevs beeindruckender Bearbeitung einer Suite aus Tschaikowskis Ballett „Dornröschen“ ab. „Eine herausragende Hommage an Tschaikowski“, so der Pianist. „Ich spiele gern Klaviertranskriptionen, die erfinderisch sind und eine Orchesterpartitur auf ein einzelnes Instrument übertragen – eine oft schwierige Aufgabe.“ Auch Pletnevs Transkription ist anspruchsvoll, doch Trifonov meistert ihre lyrischen und majestätischen Klangfarben mit beeindruckender Leichtigkeit in einem fulminanten Finale.