Pietà
Die Pietà (it. für „Frömmigkeit, Mitleid“, nach lat. domina nostra de pietate „unsere Herrin vom Mitleid“), auch Vesperbild oder Marienklage genannt, ist in der bildenden Kunst die Darstellung Marias als Mater Dolorosa (Schmerzensmutter) mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus. Im Gegensatz zur Beweinung Christi liegt der Leichnam Jesu immer in Marias Schoß.
Geschichte
Das Motiv der Pietà ist in der Bildhauerkunst seit dem frühen 14. Jahrhundert gebräuchlich und wird von der älteren Forschung in Verbindung mit der Entstehung des Andachtsbildes gebracht. Der frömmigkeitsgeschichtliche Ursprung ist in der verstärkten Hinwendung zum Leiden Christi am Kreuz und des Mitleidens seiner Mutter mit ihrem Sohn zu sehen. Der formale Ursprung der Vesperbilder in mehrfigurigen Beweinungsdarstellungen wird immer wieder behauptet, ist aber nicht bewiesen. Die Pietà zählt zu den bekanntesten ikonographischen Darstellungen des Mittelalters.
Vesperbilder sind in den meisten katholischen Kirchen zu finden. Ein der Passion gewidmetes Stundengebet ist schon seit dem 4. Jahrhundert bekannt. Die Szene bildet die vorletzte Station der Kreuzwegandacht; sie ist Hauptinhalt des Gebetes zum Gedächtnis der Schmerzen Mariens. Die Bezeichnung Vesperbild beruht auf der Vorstellung, dass nach der Kreuzabnahme Maria den Leichnam ihres Sohnes am Karfreitag ungefähr zur Zeit des Abendgebets, der Vesper, entgegennahm.[1]
Beispiele
Die frühesten erhaltenen Darstellungen einer Pietà werden in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts datiert. Sie stammen aus dem Raum zwischen Naumburg (Naumburger Dom, um 1330), Erfurt (Ursulinenkloster, um 1340) und Coburg (Museum auf der Veste Coburg, um 1320) und aus dem Bodenseegebiet (Radolfzell, heute Augustinermuseum Freiburg, um 1330). In Schweizer Privatbesitz ist die Holzskulptur eines „freudvollen Vesperbildes“[2], das um 1300 entstand. Die Datierung der sogenannten Pietà Roettgen (Rheinisches Landesmuseum Bonn), die möglicherweise ebenfalls zu den frühesten Vesperbildern zählt, ist immer noch umstritten. Möglicherweise stand ein noch etwas älteres Vesperbild in der Kirche der Karmeliten zu Köln (nach Gelenius in einem Ablass zu 1298 erwähnt).
Zu den bekanntesten Bildwerken dieses Sujets zählen Michelangelos Pietà im Petersdom (Cappella della Pietà) aus Marmor, seine unvollendete Pietà Rondanini in Mailand und die früher ebenfalls Michelangelo zugeschriebene Pietà von Palestrina in Florenz.[3] Die Pietà bildet einen Schwerpunkt im Werk von Giovanni Bellini. Eine Kopie der Pietà von Michelangelo steht in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale in Berlin.
Drei Darstellungen einer Pietà aus Leder befinden sich in der Hauptpfarrkirche St. Peter und Paul im rheinischen Eschweiler und in der Wallfahrtskirche im hessischen Dieburg.
Einzigartig ist eine Pietà in der Heilig-Kreuz-Kapelle beim Wallfahrtskloster Blieskastel („Unsere Liebe Frau mit den Pfeilen“) aus dem 14. Jahrhundert. In der Skulptur stecken fünf eiserne, mittelalterliche Pfeilspitzen. Nach der legendarischen Überlieferung wurden die Pfeile von Frevlern hineingeschossen.[4] Ein Beispiel der bäuerlichen Volkskunst ist die Dieffler Pietà.
Aus dem 17. Jahrhundert stammt das Pietà-Fenster (Hôpital Laënnec) in Paris.
Eine Blüte erlebten Darstellungen der Pietà in der Zeit des Historismus. Der größte Teil der Figuren wurde im deutschsprachigen Raum nördlich der Alpen in Terrakotta oder in Gips durch meist Kunstanstalten genannten Manufakturen gefertigt.[5]
Eine Pietà, bei der der Leichnam Jesu zu Füßen der Schmerzensmutter Maria liegt, befindet sich in der Friedenskirche in Linz. Sie wurde 1923 von Adolf Wagner von der Mühl geschaffen.[6]
Literatur
- Wilhelm Pinder: Die Pietà (= Reihe Bibliothek der Kunstgeschichte, Bd. 29). Verlag E. A. Seemann, Leipzig 1922.
- Walter Passarge: Das deutsche Vesperbild im Mittelalter. Dissertation, Köln 1924.
- Frida Carla Schneider: Die mittelalterlichen deutschen Typen und die Vorformen des Vesperbildes. Dissertation Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel 1925.
- Werner Körte: Deutsche Vesperbilder in Italien. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte. Jg. 1 (1937), S. 1–138.
- Elisabeth Reiners-Ernst: Das freudvolle Vesperbild und die Anfänge der Pietà-Vorstellung. Neuer Filser-Verlag, München 1939.
- Curt Gravenkamp: Marienklage. Das deutsche Vesperbild im vierzehnten und im fünfzehnten Jahrhundert. Aschaffenburg 1948.
- Wolfgang Krönig: Rheinische Vesperbilder. Mönchengladbach 1967.
- Johannes Heinrich Emminghaus: Art. Vesperbild. In: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 4: Saba, Königin von ― Zypresse, 1972, Sp. 450―456.
- Volker Probst: Bilder vom Tode. Eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in der Weimarer Republik am Beispiel des Pietà-Motives und seiner profanierten Varianten. Wayasbah, Hamburg 1986, ISBN 3-925682-03-1, zugl. Diss. Hamburg 1986.
- Erich Steingräber: Zur „Italianisierung“ des deutschen Vesperbildes. In: Rainer Kahsnitz, Peter Volk (Hrsg.): Skulptur in Süddeutschland 1400–1770. Festschrift für Alfred Schädler. Berlin 1998, S. 11–16.
- Ulrike Bergmann (Hrsg.): Frühe rheinische Vesperbilder und ihr Umkreis. Neue Ergebnisse zur Technologie (= Kölner Beiträge zur Restaurierung und Konservierung von Kunst- und Kulturgut 20). München 2010.
- Ludmila Kvapilová: Vesperbilder in Bayer. Von 1380 bis 1430 zwischen Import und einheimischer Produktion. Petersberg 2017.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Beatrize Söding: Pietà. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 8. Herder, Freiburg im Breisgau 1999, Sp. 289.
- ↑ Elisabeth Reiners-Ernst: Das freudvolle Vesperbild und die Anfänge der Pietà-Vorstellung. Hrsg.: Bayerische Benediktiner-Akademie. Filser, München 1939, S. 8 f. (Abb.).
- ↑ Pietà di Palestrina von Michelangelo. Abgerufen am 13. August 2023.
- ↑ Thomas Strauch: Der Mythos um das Vesperbild von Blieskastel. in: Deutschen Steinkohle AG (Hrsg.): Jahrbuch zum Bergmannskalender 2008, S. 177–182.
- ↑ Artur Fontaine: Die religiösen Terrakotta-Bildnisse aus den 'Kunstanstalten' des 19. Jahrhunderts, BOD Norderstedt, 2. Auflage 2016
- ↑ Anton Brand: Bildhauer Adolf Wagner von der Mühl: seine Herkunft und sein Werk, Rohrbach 2014, S. 90f.