Tindersticks
Es gibt wohl keine britische Band, die dermaßen versnobt auf die Bühnen der Welt tritt wie die Tindersticks. Im Gegensatz zu den meisten Kollegen versuchen sie nicht zu verbergen, dass sie englische Dandys sind. Bei ihren Konzerten tragen sie Anzüge. Die Sprache, in der sie Interviews geben, kann man wohl nur als Upper-Class-Englisch bezeichnen.Die Arroganz ist berechtigt. Als sie 1993 ihr Debüt veröffentlichen, bevorzugen sie einen dunkeln, chansonartigen und vielschichtigen Sound, der ganz anders ist als der gerade so erfolgreiche Britpop. Wo ihre Zeitgenossen oft direkt und auf den Punkt musizieren, sind die Tindersticks gemächlich, machen dichte und schwierige Lieder, die mit anspruchsvollen Texten und wieder kehrenden Melodien überlagert werden, getragen von murmelndem Gesang und melancholischer Orchestrierung.Stuart Staples (Gesang), David Boulter (Keyboard), Dickon Hinchcliffe (Violine), Neil Fraser (Gitarre), Mark Cornwill (Bass) und Al McCauley (Schlagzeug) kommen 1992 in Nottingham zusammen. Der Name stammt von einer Streichholzschachtel, die Staples an einem Strand in Griechenland gefunden hatte. Mit ihren ersten drei Alben "Tindersticks" (1993), noch einmal "Tindersticks" (1995, auch bekannt als "Second Album") und "Curtains" (1997), gelingt es ihnen, sich europaweit einen Namen machen.Nach dem unendlich traurigen "Can Our Love..." (2001), erscheint zwei Jahre später "Waiting For The Moon" als logische Fortsetzung. 2005 versammeln die Tindersticks insgesamt neun Videoclips auf einer DVD, die im eigentlichen Sinne eher Kurzfilme darstellen.Dabei handelt es sich um das vorerst letzte Lebenszeichen der Band. Im selben Jahr veröffentlicht Sänger Staples sein Solodebüt "Lucky Dog Recordings 03-04" und lässt in einem Interview offen, ob es jemals zu einem weiterem Tindersticks-Album kommt. Sein folgendes Projekt: eine Platte mit Kinderliedern und eine in Zusammenarbeit mit Lambchop-Frontmann Kurt Wagner.Kinderlieder sind auf "Leaving Songs" (2006) zwar nicht wirklich zu hören, dafür aber zehn unwiderstehliche Abschiedsmomente, die Herz und Verstand mit Hoffnung berühren. Aufgenommen wird das zweite Soloschmuckstück nicht im eigenen Studio in Frankreich, wo Staples mittlerweile samt Familie lebt, sondern in Nashville gemeinsam mit Mark Nevers, der auch schon Lambchop und Calexico harmonisch unterstützt hat.2006 kommt es dann doch zu einer Tindersticks-Reunion bei einem Konzert in London. Die sechs Originalmitglieder und eine neunköpfige Streichergruppe spielen ihr Debüt von 1993 in voller Länge. Es ist ein Neuanfang, auch wenn auf "The Hungry Saw" (2008) nur noch Staples, Boulter und Fraser übrig geblieben sind.Die drei Gründungsmitglieder lassen sich fortan von wechselnden Gastmusikern begleiten, wobei Dan McKinna (Bass) ab 2007 und Earl Harvin (Schlagzeug) ab 2009 fest zur Band zählen. Dass ein neuer Wind in der Band weht, zeigt sich an der Dichte der Auftritte und der Veröffentlichungen in den folgenden Jahren: 2010 erscheint "Falling Down A Mountain", 2012 "The Something Rain", 2013 die Neuaufnahme alter Stücke "Across Six Leap Years".Dazu kommen weitere Auftragsarbeiten. So nehmen sie ihren sechsten Soundtrack für die Regisseurin Claire Denis auf ("Les Salauds") und Klanglandschaften für die permanente Ausstellung über den ersten Weltkrieg im belgischen Ypres (2014). 2013 erscheinen zudem im Buch "Singing Skies" zum ersten Mal Texte von Staples in schriftlicher Form, begleitet von Zeichnungen seiner Frau, der Malerin Suzanne Osborne.Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass das nächste Bandalbum, "The Waiting Room", erst 2016 erscheint. Dafür setzen die Tindersticks wieder ein Ausrufezeichen, unter anderem mit einem Duett mit der 2010 verstorbenen US-Sängerin Lhasa De Sela.Zu jedem Stück entsteht zudem ein Kurzfilm. Eine noch größere Rolle spielt das Kino auf ihrer folgenden Veröffentlichung "Minute Bodies: The Intimate World Of F. Percy Smith" (2017). Es handelt sich um den Soundtrack zu Kurzfilmen des gleichnamigen britischen Naturfotografen, der zwischen den Weltkriegen neue Techniken erfand, um das Leben auf Zellebene zu filmen. Staples schneidet dazu das Material zu einem eher abstrakten Ergebnis zusammen. Nach dem experimentellen Album "Arrhythmia", das Staples 2018 solo veröffentlicht, erscheint mit "No Treasure But Hope" (2019) und "Distractions" (2021) wieder Band-Alben.Nach wie vor kann man ein Konzert der Tindersticks nur als Erlebnis beschreiben. Gerührte Fans vergießen Tränen und schreien sich die Seele zwischen den Titeln aus dem Leib. Die Band gibt es ihnen zurück, indem sie sich so weit in ihre Musik vertieft, dass man fast fürchtet, sie würden nie wieder ins normale Leben zurückkehren.Daran ändert "Soft Tissue" von 2024 nicht nur nichts, im Gegenteil erfährt die Band ein erneutes Hurra von ungeahnter Größe. Ein Album wie aus dem Handgelenk, das gleichzeitig so kunstfertig eingespielt wurde. Perfekte Unterhaltung, garniert mit einigen der besten Texten von Staples' Karriere, die immer noch schwarz in schwarz malen.
© Laut
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