AJ Tracey
Wenn ein trinidadischer Rapper und eine walisiche Jungle-DJ zusammenkommen und ein Kind bekommen, das sie nach dem Revolutionär Che Guevara benennen, dann hat man vermutlich eine erhöhte Chance, einen Künstler erschaffen zu haben. Genau so geschah es im Ladbroke Grove in Brixton, London, wo 1994 Che Wolton Grant zur Welt kommt. Ein kleiner Pin an diese Stelle, denn der Name soll später noch einmal relevant werden. Der Junge, der sich bald AJ Tracey nennen wird (aufgrund einer Geschichte, dass einer der härtesten Jungs in seinem Viertel sich Stayc nannte - und er es beeindruckend fand, trotz des Mädchennamens gerade um so gruseliger zu sein), wächst dementsprechend mit ganz typischem London-Programm auf. Er ist Fan der Tottenham Hotspurs, er geht zu einer durchwachsenen Schuler und hört den ganzen Tag Grime. Grime ist auch die Sache, die ihn zunächst dazu inspiriert, künstlerisch aktiv zu werden: Anfang der Zehnerjahre macht er sich erstmals Accounts bei all den einschlägigen Internetforen, bei denen man Musik hochladen kann, und veröffentlicht Material. Es gibt ein Mixtape, ein Mixtape für die Tracks und Freestyles, die es nicht auf das Mixtape geschafft haben, am Ende führt es zu einem Album namens "Scirocco Music". Er ist ein Teenie, nennt sich zu der Zeit noch Looney oder Loonz und langsam connectet er sich mit mehr Rappern aus der Gegend. Einer von denen, Big Zuu, zieht ihn zum ersten Mal ein bisschen nach oben. Die Crew heißt My Team Paid, die Musik wird inzwischen wie bei den Amis über Datpiff vertrieben, und die Energie stimmt. Aber so richtig Aufmerksamkeit erregt er erst ab 2015, weil er sich da ins Programm von illegalen Radiostationen mischt. Das ist ein ziemlich realer Weg, um Bekanntheit zu erlangen, und schließlich wird seine EP "The Front" und die direkt darauf folgende EP "Alex Morgan" ein Achtungserfolg. Er arbeitet an seiner Liveshow, man munkelt an dieser Stelle schon, seine Festivalauftritte seien etwas ziemlich Besonderes - und AJ Tracey beginnt, sich ernstlich zu etablieren. 2016 schleust seine Fußballliebe ihn mit einem anderen britischen Megastar zusammen: In Zusammenarbeit mit Dave entsteht der Track "Thiago Silva", der ihn so richtig kommerziell explodieren lässt. Und einmal festgebissen, lässt er nicht locker. 2017 arbeitet er viel für seine Labelkollegen zu, 2018 wird er eins der vielbeachteten Gesichter für die OVO Sound Collection von Drakes Label. Genau in diesem Jahr schließt sich auch der Kreis vom Anfang: Seine Megasingle "Ladbroke Grove" explodiert komplett und schafft es bis auf Platz drei der britischen Charts. Darauf folgt 2019 sein selbstbetiteltes Debütalbum "AJ Tracey".Den Lockdown beschreitet er, indem er seine mystische Australien-Tour doch fallen lassen muss. Mehr Zeit, um an Musik zu arbeiten. 2021 erscheint sein nächstes Tape "Flu Game", das sowohl eine Hommage an ein legendäres Michael Jordan-Match wie auch an die Pandemie gerät. Es folgen eine ganze Menge Kollaborationen, unter anderem mit Digga D, den Gorillaz und mit Nelly Furtado. Eine vielgeachtete Kollaboration mit Jorja Smith läutet 2025 sein nächstes Projekt ein: "Don't Die Before You're Dead" wird ein weiterer Meilenstein seiner Relevanz. Inzwischen hat er sich klar weg davon entwickelt, nur der Grime-Junge zu sein, der er noch als Looney oder Loonz war. Zwischendrin gab es Flirts mit dem UK-Drill und den darin prominent vorkommenden Samples, die neuere Musik ist stellenweise introspektiv, beweist aber vor allem: Dieser Mann hat die Sauce und das Talent, wirklich quasi jeden populären Sound seiner Szene umzusetzen. Und genau das tut er auch. Er ist einer der wenigen, die die Krone von London legitim beanspruchen können, er ist ein überregional bekannter Popstar und einer der charismatischsten Rapper der Insel. Nur die Frage, ob und inwiefern er vielleicht auch noch in Übersee Wurzeln schlagen kann, bleibt bis auf weiteres unbeantwortet. Aber man weiß ja nie!
© Laut
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