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ADB:Nohl, Ludwig

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Artikel „Nohl, Ludwig“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 755–757, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Nohl,_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 21:08 Uhr UTC)
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Nohl: Ludwig R., einer der schreiblustigsten Musikschriftsteller unserer Tage, geboren am 5. December 1837, † zu Heidelberg am 15. (nicht 16.) December 1885. Seine schriftstellerische Richtung und Thätigkeit scheint nicht so sehr aus eigenster Natur und Entwickelung hervorgegangen, als durch äußere Ziele und Zeitrichtungen bestimmt worden zu sein. Ein Einblick in das innerste Wesen des Mannes und seine Motive würde sich erst durch genaue Kenntniß seines Lebensganges gewinnen lassen. Nun theilt er uns zwar in seinem „Musik und Musikgeschichte“ (1876) den eigenen Lebenslauf mit; aber fast wie absichtlich bleibt dabei jede Thatsache, die auf sein äußeres Leben Bezug oder Einfluß haben konnte, verschleiert; selbst Heimath, Geburt, Schulstudien, der Kampf ums Dasein, werden in mystisches Dunkel gehüllt. Erst durch Briefe und Mittheilungen über Familienverhältnisse wurde der Verfasser dieser Lebensskizze in den Stand gesetzt, zu erkennen, auf welchem Wege N. sich bis zu Extremen verirrte, welche ihn endlich seiner eigenen Partei zur Last und Andern zum Gespött machten. – Geboren zu Iserlohn, wo sein Vater Justizrath war, ward auch er ursprünglich für die juristische Laufbahn bestimmt und vorgebildet, verließ aber als Referendar diesen Weg, um sich dem Studium der Musik zuzuwenden. Bald erkannte er jedoch, daß er weder als Componist, noch als Virtuose etwas leisten würde, und sich dem Lehrfache hinzugeben, war ihm zu mühsam. Er griff daher zur Musikschriftstellerei und wählte sich frischweg einen Vorwurf, der allerdings sehr anziehend ist, aber denn doch eine allseitige musikalische und historische Vorbildung verlangt, nämlich „Ludwig van Beethoven’s Leben“. Der erste Band erschien im 1864 und der dritte und letzte in zwei Hälften, 1874 und 1877. Die Kritik erkannte willig den Sammelfleiß des Verfassers an, warf ihm aber schon beim ersten Bande die absichtliche Buchmacherei vor, und als Thayer’s verdienstliche Biographie Beethoven´s schon zwei Jahre später (1866) erschien, verlor Nohl’s Werk völlig seinen Werth, so daß die späteren Bände in den Fachkreisen kaum noch einer Beachtung gewürdigt wurden. – Bei seinen Quellenstudien zur Beethoven-Biographie fielen ihm auch eine große Anzahl Briefe von Beethoven selbst, Mozart, Gluck, Ph. E. Bach, Jos. Haydn, C. M. v. Weber und Mendelssohn in die Hand, die er abschrieb, sammelte und 1865 bis 1867 unter den Titeln: „Briefe Beethoven’s (1865), „Mozart’s Briefe“ (1865) und „Musiker-Briefe“ (1867) herausgab. Von seinem Sammeltalente zeugen auch die Bücher: „Beethoven’s Brevier“ (1870), eine Sammlung der [756] von B. selbst ausgezogenen und angemerkten Stellen aus Dichtern und Schriftstellern alter und neuer Zeit, ferner: „Eine stille Liebe zu B. Nach dem Tagebuche einer jungen Dame“ (1875), „Beethoven nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen“ (1877) und „Mozart nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen“ (1880). Ueberall wurde freudig das Werthvolle seiner Ausgrabungen anerkannt, trotzdem das leidige Buchmachen den eigentlichen Genuß stets störte; denn was auf 20 Seiten mitzutheilen war, dehnte er bis auf 200 Seiten aus, weit vom Zwecke seines Themas abschweifend. Von einem Kritiker sehr treffend als „signatura operis“ bezeichnet, oder seine langen Abschweifungen als „begeisterte Unverständlichkeiten“. Dennoch hätte er der Wissenschaft in diesem Fache noch manchen Dienst leisten können, wenn seine Thätigkeit sich nicht auf ein anderes Feld geworfen hätte. Man versteht nicht recht, warum sich N. in den Jahren, als er sich hauptsächlich mit Mozarts und Beethoven’s Leben beschäftigte, gerade in München niederließ, welches doch so weit ab von dem Wirkungskreise der beiden Heroen lag, es müßte denn die Hoffnung gewesen sein, seine Zwecke dort durch Richard Wagner gefördert zu sehen. Diese Muthmaßung wird zur Gewißheit durch einen Artikel, den N. im J. 1883 im Frankfurter Journal und Frankfurter Presse Nr. 374 veröffentlichte, überschrieben: „Einige Briefe Richard Wagner’s.“ Hier bekennt er offenherzig seine damals pecuniär gedrückte Lage, die Bemühungen, dem Könige Ludwig II. sein Buch „Mozart’s Briefe“ persönlich zu überreichen und sich Wagner bemerkbar zu machen. Das Erstere glückte ihm, doch trug es ihm nur den Professortitel ein; Wagner dagegen wies ihn schroff ab, da er ihn in einem Artikel über Kiel nicht ganz und voll anerkannt habe. N. ließ sich das nicht zweimal sagen und dedicirte Wagner die 1865 erschienenen Briefe Beethoven’s. Wagner antwortet ihm in freundlicher Weise (Brief vom 31. Mai 1863). Nun glaubt N. das Feld gewonnen zu haben und bittet ihn, seinen Einfluß zu benutzen, um ihm einen festen Gehalt zu verschaffen. Wagner verspricht und vertröstet, bis er endlich 1869 selbst den Boden unter den Füßen verlor und sich nach Luzern zurückzog. Von anderer Seite unterstützt, konnte N. nun einige Jahre sich ganz seiner Beethovenbiographie widmen und seine Reisen bis Wien und Petersburg ausdehnen, obgleich gerade in diese Zeit die Schriften fallen, in denen er sich quasi zum Dollmetscher der Zukunftsmusikerpartei aufwirft, denn sein „Neues Skizzenbuch zur Kenntniß der deutschen, namentlich der Münchener Musik- und Opernzustände der Gegenwart“, „Neue Bilder aus dem Leben der Musik und ihrer Meister“, „Gluck und Wagner. Ueber die Entwicklung des Musikdramas“ und „Richard Wagner. Sein Leben und sein Schaffen“, fallen in die Zeit von 1869–1870. Er hatte sich durch diese Schriften und unzählige Zeitungsartikel in Fach-, Unterhaltungs- und politischen Blättern schließlich in eine wahre Berserkerwuth gegen Alles, was nicht von Wagner und Liszt herrührte, geschrieben. Jedes Thema, jeder ältere Meister, mußte nur zum Piedestal dienen, auf welches er Wagner und Liszt erhob. Er verstieg sich bis zur tollsten Verachtung alles dessen, was vor und neben Wagner componirt worden ist. Seine Verblendung ging so weit, daß er das ganze deutsche Volk schmähte und jede Gelegenheit benutzte, es verächtlich hinzustellen, nur unter dem Eindrucke, daß es Wagner und Liszt nicht hinreichend vergötterte, die er als die Einzigen erkannt wissen wollte, die zur Errettung der Kunst und der Menschheit überhaupt erstanden wären. Selbst über Goethe und Schiller thut er Aeußerungen wie die folgenden: „sie haben uns keine echt und volldeutsche Kunst gegeben“ (siehe sein „Gluck und Wagner“, 1870, S. 7) und in einem Briefe an Wagner von 1873: „Goethe und Schiller haben nicht bloß das Ganze der Kunst nicht vermocht (sic?), sondern gingen fast mit dem Unglauben an die Möglichkeit der Herstellung einer Kunst dahin.“ 1874 in den „Reisebriefen“, [757] Seite 235, schreibt er: „Beethoven ist hübsch ästhetisch fein, anmuthig in der Erscheinung. Sein Fidelio, die Messen, selbst die große, kommen aus diesem modernen Rührungsbrei im großen Ganzen nicht hinaus. Haydn nennt er stets den „kindisch eingepuppten Haydn“. Dann wieder: „In der Litteratur und Kunst ist vor Wagner’s Auftreten alles verkommen, Schiller und Goethe, Mozart und Beethoven, Anderer gar nicht zu gedenken, sind nur Bahnbrecher.“ An Mendelssohns und Meyerbeer versündigt er sich fast in jedem Buche. Nur ein Beispiel aus dem 1874 erschienenen Werke: „Beethoven, Liszt und Wagner“, 1874, Seite 45: „Nachdem die schneiderhafte Art der Nachromantiker und Capellmeister glücklich überwunden war, hoffte ich, daß der deutsche Genius mit wahrhaft explodirender Gewalt den Zwitter- und Mißgestalten beider Componisten ein- für allemal den Garaus machen werde“. Oder am andern Ort: „Es ist das Musikgebahren Meyerbeer’s durchweg die Art des Affen, der uns die natürlichen Bewegungen des äußeren und inneren Menschen in einer das tiefe Gefühl verletzenden Entstellung zeigt. Es ist ein erschreckendes Bild innerer Armuth“. N. selbst bietet uns in allen diesen Dingen ein erschreckendes Bild von Absurdität. Seine Urtheile sind so gut auf der einen wie auf der anderen Seite geschraubt und lächerlich, so wenn er über die Elsa im Lohengrin sagt: „sie ist das Weib der Zukunft, von der wir alle die Erlösung zu erhoffen haben“. Obwol die Kritik unbarmherzig über N. Gericht hielt, ließ er sich doch in seinem Gebahren nicht steuern; sie schwieg ihn schließlich todt. Vereinsamt und im Kampfe mit Kummer und Sorge ward er victima nil miserantis Orci. Omnes eodem cogimur!