Verschiedene: Die Gartenlaube (1859) | |
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Darum laßt mich nur immer bleiben, was ich war und bin – eine Putzmacherin.“
Das junge Ehepaar nahm bald Abschied, denn es dämmerte schon und Aline ängstigte sich um ihre Kleinen, von denen sie ungewöhnlich lange fortgeblieben war. Bei dem Lächeln und Plaudern ihrer Kinder, an der Seite ihres Mannes dachte die junge Mutter mit doppelter Wehmuth an das freudenleere Loos ihrer Wohlthäterin, allein der traurige Gedanke an ein ödes, glückloses Leben trat vor dem eignen Glück auch bald wieder in den Hintergrund.
Die Putzmacherin saß indeß, ermüdet von dem ungewohnt vielen Sprechen, in dem kleinen dämmernden Stübchen. Hier war sie einst, freudig und hoffnungsvoll, viele Jahre hindurch Tag aus Tag ein bis lange nach Mitternacht fleißig gewesen, im Stillen immer wieder berechnend, was Gustav für ihren Arbeitslohn haben könne, oder wie lange es wohl noch bis zu ihrer Vereinigung wäre; hier hatte sie die letzte Zeit vor ihrer Reise nach Berlin in einem Rausch des Entzückens zugebracht und später auf derselben Stelle das qualvolle Weh ihres Herzens still und einsam durchgekämpft und überwunden. Würde sie je ein Ort, und sei es der allerschönste auf dem ganzen Erdkreise, so anheimeln, wie dies kleine Zimmer, in dem sich ihr Dasein abgesponnen hatte? Schon darum konnte sie es nicht verlassen. Auch war ihr die hübsche, zierliche Arbeit lieb und werth geworden durch die lange Gewohnheit und noch mehr durch all’ die Träume, Wünsche, Gedanken und Empfindungen, welche ihr Inneres erfüllt hatten, während die Finger sich emsig geregt. Ueberdies hatte sie noch einen andern Grund, ihre Beschäftigung nicht aufzugeben, den zu nennen sie zu bescheiden gewesen. Nach ihrer Trennung von ihrem Geliebten hatte sie Niemand gehabt, für den sie arbeiten konnte, denn ihre Mutter war bei der jüngsten Tochter und bedurfte ihrer Unterstützung nicht. Dennoch war es ihr Bedürfniß, daß ihre Arbeit durch irgend einen Zweck gleichsam geheiligt werde; an sich selbst zu denken hatte sie nie gelernt, und die Nutzlosigkeit ihres Daseins vermehrte noch ihr Elend. Ihr warmes, großmüthiges Herz hatte indeß bald einen Lebenszweck gefunden. Ihr eignes Leben erschien ihr so gebrochen, daß sie es nicht der Mühe werth hielt, es mit größerer Gemächlichkeit, als sonst, zu umgeben oder gar mit dem Luxus, welchen der reichliche Ertrag ihrer Arbeit wohl gestattet hätte; – sie sparte eifrig, um einst das Geld für Andre zu verwenden. Ihr Lebensglück war durch den Mangel an Kenntnissen zerstört worden, sie wollte wenigstens einige Mädchen vor einem ähnlichen Loose bewahren. Alles, was sie erarbeitete und erdarbte und einst hinterließ, sollte einen Fond bilden, dessen Interessen zur Unterstützung armer Mädchen bestimmt waren, die Lust und Anlagen zu geistiger Entwickelung, aber nicht die Mittel dazu besaßen. Seit fast zwanzig Jahren hatte sie ihr bedeutendes Gehalt zu diesem Zweck gesammelt, das Wenige, was sie für sich verwendet, war nicht einmal der Rede werth. Und seit dem Rücktritt der Madame Albrecht hatte sie in Gemeinschaft mit der ehemaligen Directrice das Geschäft übernommen, in welchem das darauf verwendete Capital sich erstaunlich hoch verzinste. So hatte sie es jetzt schon zu einem ziemlich ansehnlichen Vermögen gebracht, doch nur ihre nächsten Freunde ahnten, wozu es bestimmt war, und durften davon niemals reden.
Das Mädchen brachte die Lampe, und Emilie las nun den Brief des ehemaligen Bräutigams. Er erzählte dem Bruder von seiner Frau und Familie und seinem häuslichen Glück. Diesem fehlte nur, wie er hinzusetzte, daß Emilie sich bewegen lasse, zu ihnen zu kommen. Er sprach in Ausdrücken von der Schwester seiner Gattin, welche bewiesen, daß er der Geliebten seiner Jugend eine Achtung und Theilnahme bewahrt hatte, wie sie nach der Auflösung solcher Verhältnisse selten zu finden sein mag.
Lange neigte sich das verwelkte Gesicht der Putzmacherin über diese Schriftzüge, deren Anblick einst ihr Herz in Entzücken klopfen gemacht hatte. Noch vor wenigen Jahren hätte sie dieselben nur mit tiefem Weh betrachtet, jetzt hatte sie sich endlich zum Frieden durchgerungen. Eine Freudenthräne, ein lange ungewohnter Gast in diesen trübgewordenen Augen, fiel auf das Papier; es freute sie, daß es ihm wohl ging und daß er ihrer gedachte.
Endlich faltete sie das Blatt zusammen und flüsterte dann: „Gott segne Dich, mein Gustav, Dich und die Deinigen. Wie habe ich Dich lieb gehabt – so sehr, daß ich gern noch einmal all’ das vergangene Leid auf mich nähme, wenn es Dir nützte.“
Sie nahm den begonnenen Hut vor und vollendete ihn, Friede und Heiterkeit im Herzen. Hatte sie doch auch Ursache zufrieden zu sein und ihre Beschäftigung zu lieben. Auf ihrer Seele lag nicht wie ein drückender Alp jener Fluch, der gewöhnlich alte Mädchen verfolgt, der Fluch eines unnützen, zwecklosen Daseins. Ihr Leben war, bei aller anscheinenden Armuth, Beschränkung und Einseitigkeit, nicht verfehlt; sie hatte durch Fleiß und Ausdauer eine Geschicklichkeit in ihrem Fach erlangt, die segensreich für Viele geworden war. Sie hatte ihrem Geliebten eine ehrenvolle, ihn befriedigende Laufbahn möglich gemacht und dazu beigetragen, daß ihre Schwester eine passende Gattin für ihn wurde. Seine Verwandten dankten ihr Wohlstand, Erziehung und eine ehrenvolle Stellung im Leben, und zu Alinens Glück hatte sie auch mitgewirkt. Und einst würden noch viele Mädchen, die sonst bei dem Drang nach höherer Entwicklung in Unwissenheit verkommen wären, eine Thräne der Dankbarkeit haben für das edle, dann längst in Staub zerfallne Herz, welches das eigne düstre Dasein mit dem Streben erhellte, Andern das Licht zugänglich zu machen, welches ihm selber fehlte.
Was kümmert es sie, daß ihr Mühen verkannt wird? Das eigne Bewußtsein überwiegt unendlich die Meinung der Menge, und es würde ihr nur peinlich sein, wollte Jemand ihr Beweise von Achtung zollen. Still und geräuschlos, eben so unermüdlich, obgleich nicht in so übersprudelnder Hoffnungsfreudigkeit, wie einst das Geld zu Gustavs Studien, erarbeitet sie eine kleine Summe nach der andern. Die Leute aber, welche der verfallenen Gestalt in dem unscheinbaren Anzüge zuweilen ansichtig werden, schütteln den Kopf und sagen: „Wie kann man nur so geizig sein! – die Habsucht verzehrt die alte Putzmacherin ganz – so viel, wie sie braucht, muß sie doch längst zusammengescharrt haben.“ Oder es heißt auch wohl: „Da geht eine närrische alte Jungfer – wozu war die wohl nütze in der Welt?“
Die Redaction der Gartenlaube hat es sich stets angelegen sein lassen durch geeignete Beiträge die Erinnerung an Schiller, den Liebling der deutschen Nation, wach zu halten und auf jede Weise zu fördern. Der Besuch im Schillerhause (1853, Nr. 13), Schiller in Volksstedt (1855, Nr. 27), Schiller’s Eltern (1855, Nr. 39), Schiller’s Frau (1855, Nr. 19), das Schillerfest in Leipzig (1855, Nr. 51), Weimar’s Dichter (1856, Nr. 24), Erinnerungen an Schiller’s Familie (1857, Nr. 40), das Schillerhaus in Lauchstedt (1857, Nr. 26) legen Zeugniß davon ab. Wir dürfen zudem bei den Lesern der Gartenlaube voraussetzen, daß ihnen die Lebensschicksale ihres Lieblingsdichters bekannt sind, und verzichten deshalb darauf, ihnen diese nochmals vorzuführen.
Wenn wir trotz dieser vielfachen Beweise der Verehrung heute zur Feier des Tages dem Unvergeßlichen nochmals den Tribut unserer Liebe in Wort und Bild zollen, so folgen wir damit nur dem Drange unseres Herzens und den gerechten Anforderungen der deutschen Nation, die mit Recht verlangt, daß die Presse das Andenken eines Mannes feiere, der so viel und so schön zum geistigen Aufschwung der Nation beigetragen. In Schiller feiern wir unsere edelsten Bestrebungen, unser sittlich-größtes Ringen und deshalb ist uns Alles – Alles, was uns das Andenken dieses Mannes zurückruft und derer, die ihn am nächsten standen, so unendlich lieb und werth.
Indem wir die bekannten Bildnisse der Eltern Schiller’s und seiner Frau nochmals vorführen (wenigstens den Lesern des Jahrgangs 1855 schon bekannt), freut es uns, heute in nebenstehendem Bilde das Portrait des sechsundzwanzigjährigen Dichters geben zu können, das nach dem allgemeinen Urtheile als das einzig ähnliche aus jener Zeit betrachtet werden kann. Das Original-Oelgemälde von Reinhardt befindet sich bekanntlich im Besitze des in Leipzig lebenden Dichters Adolf Böttger, der davon auch eine gute Lithographie fertigen ließ.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_664.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)