Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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wurden, so lag doch auf den Gemütern der Einwohner jener Druck, der oft unheilvolle Ereignisse ankündigt.
Scheinbar ging zwar das Leben im gewohnten Geleise; aber scheinbar war auch die weiße Decke unwandelbar, und doch bestand sie aus Märzenschnee, dessen Vergänglichkeit sprichwörtlich ist, und Ostern war bereits vor der Thür.
In der Superintendentur wurden alle Vorbereitungen zu den kirchlichen Feierlichkeiten getroffen.
Der Kastenknecht und die Magd gingen mit Besen und Scheuerwisch hinüber nach der Oberkirche; der Bediente, ein Schulmeisterkandidat, der sich im Dienst des Kirchenhauptes zu seinem Beruf ausbildete, versah die silbernen Altarleuchter mit hohen gelben Wachskerzen.
Und in der Wohnstube saßen Magdalene, die neunzehnjährige Tochter des Hauses, und Fieke, die, obgleich nur ein paar Jahre älter, doch schon als geschickteste Nähterin der Stadt galt, und besserten das weiße Altartuch aus, das während der Leidenszeit aufgelegt wurde.
„Horch!“ plauderte Fieke, und ihr aufgestülptes Näschen hob sich neugierig nach dem Fenster, „der junge Kantor Sebastian Bach paukt seinen Schülern das Sonntagslied ein.“
Aus dem kleinen Kantorenhaus, das sich den Wohnungen der Geistlichkeit anreihte, tönte es, von tapfern Taktschlägen geleitet, herüber: „Verzage nicht, du Häuflein klein.“
„Ein Lied, in Kriegsgefahr zu singen?“ verwunderte sie sich, während ihre Nadel in der Luft schwebte. „Wir leben doch im tiefsten Frieden!“
„Vielleicht wissen es der Herr Vater und sein Kantor besser,“ sagte ernst Magdalene, die so gerade auf ihrem hochlehnigen Stuhl saß, daß das amarantfarbige Kamisol kein Fältchen schlug vom zarten Spitzengekräusel des eckigen Ausschnitts bis zu der straff zusammengeschnürten Schnebbe.
Fieke spitzte förmlich die Ohren. Da jedoch keine Erklärung folgte, spähten die blauen Augen, die wie ein paar Schlehen in dem rotbackigen Gesicht saßen, abermals zum Fenster hinaus. „Nun guckt nur! Da holt das Bäschen vom jungen Bach, das vorige Woche vom Walde herabgezogen ist, am Pfarrbrunnen das Wasser! Ihrer Muhme, der Jungfer Wedemannin, bei der sie wohnt, steht der Waisenhausbrunnen doch vor der Nase.“ Sie kicherte. „Ja so! sie wird dem Vetter zu Gefallen gehen. Aber daß sie ein Tüchlein über den Kopf bindet wie eine Walddirne, schickt sich nicht allhier.“ Selbstgefällig tippte sie an ihr Häubchen, dessen Spitze von einer Florschleife emporgesträubt war.
„Noch viel weniger schickt es sich, einem Junggesellen zu Gefallen zu gehen,“ rügte Magdalene, die zart gezeichneten Brauen emporziehend.
„Wenn das Bärbchen Marei ihn aber heiraten will!“ lehnte Fieke sich auf, und wieder schwebte ihre Nadel in der Luft. „Wie sie den Kopf nach der Melodie wiegt! Sie soll singen können wie ein Waldvöglein, und sie ist auch so braun wie eine Drossel. Plautz! Da wirft unser Herr Kantor den ganzen Chor zur Thür hinaus, daß der lange Chorpräfekt über seinen Degen stolpert. Haben gewiß wieder einmal greulich queruliert.“
Bei dem Lärm war Barbara Marie Bachin mit ihrer Wasserkanne aufgefahren wie die Haubenlerchen, die in den Schneefurchen gepickt hatten.
Nun fiel die wilde Schar der Chorknaben mit Schneebällen über sie her.
Da erhob sich Magdalene zu ihrer ganzen zierlichen Höhe. Das feine Gesichtchen schaute unter dem hochtoupierten leicht gepuderten braunen Haar streng auf die kleinen Sünder hinaus.
Erschrocken duckten sie sich, rafften ihre blauen Kurrendemäntelchen zusammen und liefen davon.
Ein dankbarer Blick aus den glänzenden dunklen Augen begleitete das Knixchen des Waldvögleins vor der Superintendententochter. Dann lugte es scheu nach dem Kantorenhaus zurück.
Sebastian Bach stand auf der Schwelle. Sein Gesicht mit den starken festen Zügen drückte Zufriedenheit mit dem vollführten Strafgericht aus, während er die Thür schloß – lautlos; denn der Hausklingel hatte er gleich beim Einzug um ihres unreinen Tones willen das Zünglein festgebunden.
„Wie Mamsell Lenchen sich eine Würde geben kann,“ bewunderte Fieke, wieder eifrig nähend. „Sie ist zur Frau Hofrätin geboren. Gelt, wenn Sie den Herrn Sekretarius Struve bekommt, schenkt Sie mir zum Brautputz das rote Kamisol da? Thu’ Sie nur das Gelübde! das hilft immer.“
In Magdalenes Wangen war eine tiefe Röte gestiegen; aber spröde erwiderte sie: „Um einen Mann zu bekommen, thut kein sittsames Mädchen ein Gelübde.“
Fiekes Mund mit der immer gesprächsam aufgeschürzten Oberlippe blieb offen stehen. „Auch nicht, wenn es der Herr Sekretarius ist?“ rief sie. „Der einmal Hofrat wird, wie alle seine Altvordern, dem die Leute auf der Straße ausweichen und der doch so wohlwollend mit dem Aermsten spricht? Der schöne Mann! Eine so hohe Statur, eine so stolze weiße Stirn hat keiner von den hiesigen Honoratioren aufzuweisen.“
„Du hast ihn Dir ja sehr genau angesehen,“ unterbrach sie Magdalene gereizt.
Fieke lachte. „Ach, das thun noch ganz andere Mädchen, als ich bin. Justizienrats Christelchen guckt sich noch die Augen nach ihm aus, und – hi! hi! – das Hoffrölen Kiliane von Heymbrot schäkert gar zu gern mit ihm.“ Sie sah voll Genugthuung, wie Magdalenes Hände zu zittern begannen. „Ja, ja, wenn die Demoiselles nur nicht immer thäten, als machten sie sich nichts aus den Mannsleuten!“ Dann hielt sie den gründlich gestopften Zipfel des Altartuches gegen das Licht. „Das Hoffrölen hat eigentlich recht, wenn sie sagt: ‚ein Loch ist vornehmer als eine Flicke.‘“
„Das sieht der leichtsinnigen Heymbrotin ähnlich,“ erwiderte Magdalene geringschätzig.
„Aber Lenchen,“ verwies sie ihre Mutter, eine blasse Frau mit sanften Zügen, die bei den letzten Worten ins Zimmer getreten war. „Das arme verwaiste Kind hat es nicht besser gelernt. Sie ist wie eine Lilie auf dem Felde.“ Dann setzte sie für Fieke das Vesperbrot hin und fragte: „Bist Du jetzt oft draußen auf dem Schlößchen Augustenburg?“
„Erst vorige Woche war ich wieder dort,“ erzählte Fieke selbstgefällig. „Der Oheim des Frölen, der Herr Kanzellarius von Heymbrot schickte mich hinaus, weil sie ein zerrissenes Schnupftuch bei ihm hatte liegen lassen. Sie hat freilich keine Zeit zum Flicken. Muß den ganzen Tag das Mannsvolk am Narrenseil hinter sich herziehen. – Schön ist’s dort! Das Wachsfigurenkabinett der Frau Gräfin – ja so! – Fürstin heißt’s jetzunder – man sieht sich nicht satt. Und die beiden Wachsbossierer, die aus dem Kloster in Erfurt gekommen sind, verstehen ihre Sache. Aber so hübsch alles ist – eine unvergnügte Ehe führen die Herrschaften doch. Er, der Fürst, früher immer auswärts. beim Kaiser in Wien, bei seinen Schwägern in Braunschweig zur Jagd, jetzt in der weitläufigen Neidecke, wo alles so versteinert und öde ist wie im verwunschenen Schloß. Sie mit ihrem eigenen Hofstaat, in der Augustenburg, wo“ – ihre Stimme sank zum Flüstern herab – „wo es umgeht.“
Die Hausfrau hatte sorgenvoll geseufzt zu Fiekes Reden. Jetzt mahnte sie: „Gewöhne Dir doch den Aberglauben ab! Wenn Du in einem Hause gewesen bist, wollen abends Kinder und Gesinde nicht mehr aus der Stube hinaus. – Nein,“ unterbrach sie sich, als Fieke das Butterbrot in ihr Handkörbchen packen wollte, „bei uns mußt Du Deine Mahlzeiten selbst verzehren. Es ist nicht recht von dem Riesen Goliath, dem Märten, daß er sich von Dir ernähren läßt.“
„Wenn’s weiter nichts ist! Wir wollen uns doch heiraten,“ widersprach Fieke.
„Fiekchen, nimm Deinen Verstand zusammen,“ redete die Hausfrau milde zu. „Woher wollt Ihr die hundert Meißenschen Gülden nehmen, die der Schutzbürgersohn bei uns nachweisen muß, wenn er die Erlaubnis zum Heiraten haben will?“
Fiekes Augen funkelten. Aber die aufstutzige Rede, die ihr auf der Zunge saß, blieb ungehalten.
Helles Geklingel tönte von der Straße herein. „Das Hoffrölen!“ rief sie hinausschauend. „Nee, die Pracht! Als käme unsere Frau Fürstin selbst.“
Die Superintendentin rückte die weiße, mit gebrannten Spitzen umsäumte Dormeuse auf dem Kopf zurecht. „Das Fräulein kommt also im Auftrag Ihrer Durchlaucht. Wir wollen ihr entgegen gehen, Lenchen!“
Magdalene preßte die Lippen zusammen und erhob sich.
Fieke benutzte den Aufstand, um ihr Butterbrot doch im Körbchen zu verstecken.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_566.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)