Verschiedene: Die Gartenlaube (1895) | |
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„Heut’ morgen ging ich an die Arbeit in die Hopfengärten, und da die andern frühstückten, wanderte ich hinüber, wo der Feuerschein gewesen war.“
„Da bist also von der Arbeit gelaufen,“ zankten die Besitzer der Hopfengärten.
Unbewegt fuhr Märten fort: „Da sah ich die Bescherung. Lange Züge Husaren – hübsche Kerle!“
„Ach Gott! ach Gott!“ seufzten die Mütter.
„Baumlange Grenadiere, die Granaten werfen.“
Die jungen Bürger in feinen Schnallenschuhen kratzten sich hinter den Ohren.
„Sie fluchten das Blaue vom Himmel herunter; denn die Kanonen waren in dem Hohlweg stecken geblieben und versperrten den Durchzug. Ueber die Hecken konnte die Reiterei nicht weg. Da saßen sie noch fest, als ich zurück ging.“
„Gott sei Dank!“ atmete ringsum alles auf.
„Ich habe zwar alle Wegweiser herumgedreht, aber lange hält das nicht vor. Heut’ abend haben wir den Feind vor den Thoren.“
Schreiend liefen die Weiber nach Haus zu ihren Kindern. Die Männer hoben die Fäuste gegen die Räte auf ihrem Altan. Die perorierten untereinander, daß die großen Allongeperücken nickten.
Märten ergriff die ihnen aus den Händen gefallenen Zügel. Auf die zu feine Tüftelei folgt stets die rohe Kraft.
„Vor allen Dingen muß gestürmt werden,“ klang seine Stimme über das Getümmel, „damit jeder weiß, woran er ist.“ Nach allen Seiten rannte junges Volk den Türmen zu. „Und die Lärmtrommel muß gerührt werden, daß die Milizen zusammen kommen.“ Da begannen schon die großen Trommeln zu rasseln.
„Und wir schießen auch mit Kanonen,“ kommandierte Märten.
„Die sind ja verrostet, und wir haben keine Munition,“ wandte der alte Stadtwachtmeister ein, während er seinen großen Säbel martialisch dicht unter die Arme schnallte.
„Die Kartaune in meinem Hohenmauertürmchen ist geladen,“ beharrte Märten.
„Seit dem Dreißigjährigen Kriege,“ rief entsetzt der Stadtwachtmeister. „Wer die abfeuert, ist ein Kind des Todes. Wir haben schon oft beraten, wie wir den gefährlichen Schuß herausbringen könnten.“
„Den will ich schon herausbringen,“ lachte Märten. „Lunten werdet Ihr doch haben?“ Und er zog an der Spitze einer Schar nach der Rüstkammer im Rathaus.
„Art läßt nicht von Art,“ sagte der Bürgermeister. „Wie sein Vorfahr im Bauernkriege Rädleinsführer gewesen ist, bis man ihn allhier gehenkt hat, so thut der Nachkomme nichts lieber als Rotten machen, an die Glocken schlagen.“
Auf dem Laubengang des Regierungsgebäudes rannten die Justizien-, Kammer- und anderen Räte zusammen, schlotternd, zähneklappernd.
Ein Amtsbote brachte die Nachricht, daß ein Haufen Volkes, den gewissen Märten an der Spitze, die Thore der Stadt schließe.
Thatkräftiges Handeln hat für schwankende Menschen eine Ansteckungskraft.
Der Kanzler, die eine Hand auf den Degen gestemmt, die andere unter dem Jabot verborgen, damit niemand seine fliegenden Finger sehen sollte, sprach mit atemloser Stimme: „Die Thore der Neidecke sollen ebenfalls geschlossen werden. Meine Herren, ich schließe bis auf weiteres die Amts- und Regierungsstuben. Gebe Gott, daß wir uns froher wiedersehen.“
„Rette sich, wer kann,“ antworteten die Räte und stiebten mit brennenden Köpfen auseinander.
Der Kanzler aber erklärte, daheim angelangt, kategorisch: „Ich schließe auch meinen Alkoven.“
Die Glocken wimmerten unaufhörlich.
Die Milizen zogen mit ihren alten Feuerrohren leichenblaß und schlotternd nach den Thoren. Die Bürger bargen ihre Töchter auf dem Hausboden und befahlen ihnen, in der Not sich auf die Fallthür zu setzen. –
In der Superintendentur hatte Olearius die Entscheidung getroffen. „Jeder gehe seiner Pflicht nach. Und im übrigen lassen wir Gott walten.“ Damit zog er sich zurück, um nach seinen Worten zu thun, die nächste Predigt auszuarbeiten.
Aber kaum hatte der ernste Mann die Thür seines Zimmers hinter sich geschlossen, so stieg seine würdige Hausfrau nach dem Oberboden hinauf, um zur Dachluke hinaus dem heranziehenden Feind entgegen zu spähen, begleitet von Fieke, die da meinte, den alten Talar zu wenden, sei noch später Zeit.
Nur Magdalene trennte, blaß und still wie jetzt immer, weiter mit feinem Messerchen die schweren Tuchfalten auf.
Da klopfte es an die Thür.
Sie erschrak bis ins tiefste Herz. So klopfte – er.
Mit zitternden Knieen ging sie und öffnete.
Ja, da stand Christian Struve vor ihr, ernst, aber gefaßt, und seine schönen Augen sahen sie voll Zärtlichkeit an.
Es wollte wie Jubel trotz allem in ihr aufwallen, aber sie besann sich und senkte das Haupt.
„Magdalene!“ rief er. „Ich kann jetzt nicht fern von Ihr sein. Will Sie mir nicht das Recht geben, daß ich über Ihr wachen, Sie schützen darf?“
Die großen Augen schauten aus dem blassen Gesichtchen ihn schmerzvoll an. „Ich darf nicht,“ sagte sie leise, aber fest.
Er faßte ihre Hand. „Soll ich auch in dieser schweren Stunde umsonst bitten?“ rief er.
Sie zog leise die Hand zurück. „Es kann nicht sein,“ flüsterte sie tonlos. „Mir ziemt nur, den Herrn Sekretarius um Verzeihung zu bitten, daß ich Ihn mit kleinlichem Verdacht beleidigte. Aber die Trübsal der Stunde darf ich nicht nützen um meinen Freund in gefährliche Bande zu verstricken.“
Er ließ verzweifelt die Hände sinken.
Da – dröhnte ein furchtbarer Kanonendonner über die Stadt hin. Die Fenster klirrten, ein Geprassel folgte, daß der Boden unter den Füßen bebte.
Ein Schrei – und Magdalene lag in Christians Armen. Sie klammerte die Hände um seinen Hals und rief: „Nun, in Gottes Namen! wenn’s denn einmal zu Ende geht, dann darf Er mit niemand sterben als mit mir.“
Christian hatte die Arme fest um Magdalene geschlungen. Beide vergaßen danach zu fragen, was eigentlich unter Donnerschall sich ereignet hatte in der Welt draußen, wußten nur, daß es trotz Kriegsgraus wie eine große Erlösung gekommen war, als sie an seinem Herzen ihre festverschlossene Liebe ausweinte, und er leise die Lippen auf den roten bebenden Mund drückte.
Draußen lief das ganze Haus zusammen.
Der Superintendent war von seiner Predigt aufgestört worden, die Mutter kam atemlos herein – und blieb stehen starr und stumm.
Da richtete Struve das Haupt auf und streckte ihr die Hand hin. „Wir sind einig, hochverehrte Frau Mutter, und nichts soll uns mehr trennen.“
„Wie ist das so schnell gekommen?“ fragte sie.
„Schnell?“ entgegnete Struve leise lächelnd. „Der Donnerschlag war unser Freiersmann.“
„Gott segne euch!“ sprach sie zitternd.
Auch der Vater kam herab und legte die Hand auf das Haupt seines Kindes.
Jammerrufe unterbrachen sie. Sie eilten an die Fenster. Draußen redeten die Menschen auf die hinausgelaufene Fieke ein.
„Märten hat die alte Kartaune abgefeuert, und bei dem Schuß ist das ganze Türmchen, in dem sie steht, mit niedergegangen. Der Feind aber ist unversehrt geblieben.“
„Ist Märten mit verunglückt?“ rief Struve erschrocken und eilte der schreiend davon rennenden Fieke nach.
„Und Ruh’ ist nicht hinieden,“ sprach ergebungsvoll die Superintendentin. Die Verlobung ihres starrköpfigen Töchterchens war endlich zustande gekommen. Nun stand wieder der Feind vor den Thoren, und die Stadt fiel ein.
An der Hohenmauer ballte sich ein Menschenknäuel zusammen Das Türmchen war ein Schutt- und Steinhaufen. Wie der Held auf seinem Schild lag die alte Kartaune darauf, mit dem Mundstück im tiefen Wallgraben, ihre beiden reich verzierten Handhaben triumphierend aus dem Geröll spreizend. Das Bodenstück, eine schön geformte Traube, ragte aus dem obersten Steingeröll hervor.
Fieke umkreiste mit fliegenden Haubenbändern laut jammernd die Trümmerstätte. „Ach, mein armer Märten! Und wir sind in Unfrieden geschieden! Hörst Du mich noch?“ rief sie in das Geröll hinein. „So greift doch an und räumt ab!“
Leichenblaß, aber umsichtig schon mit Hacke und Spaten versehen, kam Struve an.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_650.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2024)