verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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begeben. Kannst oder willst Du nicht mitgehen, so gehe ich allein, ich bin durchaus nicht die einzige, die ohne ihren Gatten Soireen besucht.“
„Das würde ich sehr unpassend finden, mein Kind,“ bemerkte die Geheimrätin. „Du bist so jung, daß Du eine Begleitung durchaus nötig hast, wenn Du es überhaupt für notwendig findest, ohne Walden auszugehen!“
„Wie – auch das soll ich nicht einmal dürfen?“ rief Elfe und ihre Augen standen plötzlich voll Wasser. „Da möchte ich wirklich fragen, warum habe ich denn geheiratet, wenn ich immer am Schürzenband der Gouvernante hängen soll? Das bißchen Selbständigkeit ist doch noch der einzige Ersatz für alles, was man aufgegeben hat –“ und nun rollten wirklich die Thränen über ihre Wangen.
„Elfe, süßes Weibchen, beruhige Dich, Du weißt, wie schädlich Dir jede Gemütsbewegung ist,“ rief Walden ganz erregt und warf einen vorwurfsvollen Blick auf die Mutter. „Weine nicht, ich bitte Dich inständig, Du darfst alles thun, was Du willst und was Dir Spaß macht! Nun trockne die Augen und erzähle: mit wem saßest Du zu Tische?“
„Mit Lieutenant Lüdeke,“ sagte sie scheinbar beruhigt und fuhr mit dem Taschentuche über ihr erhitztes Gesicht.
„Lieutenant Lüdeke?“ fragte die Mutter, „der Name klingt mir so bekannt; war der nicht einmal in einem unserer Regimenter?“
„Ja, er gehört auch noch dorthin und ist erst seit kurzem hierher kommandiert zur Kriegsakademie.“
In dem Bestreben, ein ungefährliches Thema festzuhalten, fragte Walden weiter: „Kanntest Du ihn denn auch früher schon, ich meine, in Deiner Mädchenzeit?“
„Ja, gewiß,“ meinte Elfe leichthin und lachend setzte sie hinzu: „er war ja so eine Art Bräutigam von mir.“
„So eine Art Bräutigam?!“ fragten die Mutter und Walden wie aus einem Munde, und die Geheimrätin fuhr fort: „eine Art Bräutigam, wie das klingt!“
„Nun, er bildete sich doch ein, daß ich ihn heiraten würde!“
„Ach so!“ sagte mit erleichterten: Aufatmen die Mutter. „Nun, von dieser Art Bräutigam hat ein hübsches Mädchen wohl immer mehrere.“
„O, so ganz ohne Grund war diese Einbildung auch nicht,“ meinte Elfe, in der plötzlich ein kindischer Trotz erwachte. „Ich war ihm in der That sehr gut und habe ihm das, auf seine Frage, wohl auch mehr als einmal gesagt!“
Die Geheimrätin war blaß geworden und rückte unruhig auf ihrem Stuhle hin und her, Walden aber, der die Stirn in düstere Falten gezogen hatte, rief in ziemlich heftigem Ton: „Und das erfahre ich jetzt erst?“
„Hast Du es etwa für nötig gehalten, mich in alle Deine Liebschaften einzuweihen?“ fragte sie, mit einem Lächeln um den Mund, das darauf berechnet schien, ihn zu reizen.
„Elfe!“
„Ja,“ erwiderte sie, „man sagte mir, trotz Deiner Jahre wärest Du auch bei uns noch sehr stark auf diesem Gebiet gewesen –“
„Elfe, ich bitte Dich, wie unpassend!“ rief die Geheimrätin dazwischen, aber jene fuhr mit größester Gelassenheit fort:
„Neulich erzählte mir noch jemand – wer war’s doch? – Du hättest gerade in der Zeit, in der Du Dich um mich bemühtest, ein Verhältnis mit einem älteren Fräulein aus gutem Hause gehabt – Eichholz oder Eichfeld oder so dergleichen – das sich noch jetzt über Deine Untreue grämt.“
Walden sprang auf und stieß den Stuhl polternd gegen die Wand.
„Der Scherz geht wirklich zu weit, Elfe!“
„Es ist gar kein Scherz – Du wirst das wohl am besten wissen. Warum hast Du übrigens das alte Fräulein nicht geheiratet? Die hätte vielleicht viel besser zu Dir gepaßt als ich!“
„Liebes Kind,“ sagte die Geheimrätin schnell, einer Antwort von ihm zuvorkommend, „Du mußt uns auch die Rücksicht, die wir auf Deinen gegenwärtigen Gesundheitszustand nehmen, nicht zu schwer machen! Du gehst in der That viel zu weit. Wir wollen das Gespräch abbrechen, und ich bitte in Deinem Namen Deinen guten Mann recht sehr um Verzeihung, wenn die kindischen Thorheiten, die Du da ausgekramt hast, ihn verletzt oder geärgert haben. Und damit will ich mich zurückziehen! Ich möchte noch vormittags einige Einkäufe machen und mich daher jetzt schon zum Ausgange ankleiden, vielleicht paßt es Dir, Elfe, mich dann zu begleiten –“
Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, ging sie schnell hinaus und in ihr Zimmer, setzte sich hoch aufatmend in den Lehnstuhl und fuhr mit dem Batisttuche über die Stirn, auf welcher die Erregung wirklich helle Schweißtropfen hervorgetrieben. Das war nun die Zerstreuung, die Erheiterung, die sie hier gesucht hatte! – Täglich diese Scenen! – Die verächtliche Schwäche von Walden Elfe gegenüber, die ihn sogar gegen sie, die Mutter, Partei nehmen ließ, wenn sie seine Rechte verteidigte – – und dann wieder diese Klagen über seine junge Frau, sobald er unter ihrer freilich geradezu herausfordernden Ungezogenheit und Rücksichtslosigkeit litt. Es ist wirklich nicht zu ertragen! Diese Inkonsequenz der Männer! Wenn sie durch ihre thörichte Verliebtheit sich alles Respekts berauben und für die Launen ihrer Frauen nur noch den Fangball abgeben, dann sollten sie doch wenigstens auch den Mut haben, alle daraus entstehenden Folgen in Geduld zu ertragen. Aber hier: nach einer Seite der girrende Täuberich und nach der anderen der grollende Donnergott! – um den Finger zu wickeln durch ein Lächeln, einen freundlichen Blick seiner jungen Gattin, und aufbrausend wie ein Plebejer, wenn sie seine empfindlichste Stelle, seine Eitelkeit, berührt oder gar, wie eben jetzt, seine Eifersucht wachruft! Wie soll das weiter gehen? Wird seine Liebe standhalten, bis Elfe ernster und reifer geworden ist, bis sie erkennen lernt, welch’ eine opferfähige, tiefe Empfindung er ihr darbringt?
Sie seufzte, stand auf und ging unruhig im Zimmer hin und wieder. Und doch that ihr Walden leid. Man konnte sich wohl vorstellen, wie sehr er seelisch unter diesen Verhältnissen litt. Gerade in Elfes wechselvoller Stimmung lag für ihn die größte Qual. Wäre sie stets so unfreundlich und lieblos wie eben jetzt gewesen, so hätte er sich wohl auf seine Rechte besonnen, aber wenn er Unerträgliches von ihr hingenommen hatte, wenn er von ihren Reden bis aufs äußerste gedemütigt und gekränkt war und sich in wahrer Empörung von ihr abwandte, dann konnte sie plötzlich ein paar vielversprechende Schmeichelworte für ihn finden, die ihn dann unfehlbar zum willenlosen Sklaven erniedrigten. Jeden Wunsch, auch den thörichtsten, auch den, der ihm aufs äußerste widerstrebte und den er ihr bereits versagt hatte, versprach er dann zu erfüllen, um schließlich, wenn ihre Stimmung wieder umschlug, sein Versprechen zu bereuen und, nur durch das gegebene Wort gezwungen, mißmutig und widerwillig es einzulösen! Was konnte dabei wohl herauskommen? Täglich, seit sie hier war, hatte sie in diesem Sinne mit ihm gesprochen, hatte ihn gebeten, Elfe gegenüber fest und bestimmt aufzutreten, seine Würde mehr zu wahren und seinem jungen Weibe ein Erzieher zu sein. Und was hatte sie damit erreicht? Auch nicht das mindeste! Oefter als je wurde sie Zeuge jener ehelichen Scenen, die sich anfangs doch nur in ihrer Abwesenheit abspielten. Nein, ändern konnte ihr Wort hier nichts! Vielleicht, mit der Zeit – wenn Elfe wieder im Vollbesitz ihrer Gesundheit und zugleich eines lieben Kindchens ist, das als neues Band zwischen beiden wirkt, vielleicht kommt dann das Verhältnis ganz von selbst ins richtige Geleise! Sie will sich nicht mehr darüber sorgen, will der Zukunft das weitere überlassen – ihre Seele ist müde genug von dem, was sie sonst alles durchgemacht hat! Aber da sie hier nicht die Erholung findet, die sie bei ihren Kindern gesucht hat und die ihr in Wahrheit nötig ist, so will sie fort, nach Hause – zu ihrem guten Manne, mit dem gemeinsam sich alles leichter trägt, dessen Liebe die ideale Macht ist in ihrem von so viel Berechnung bewegten Leben!
Leo und Elfe – ihre beiden Lieblinge – wie war jetzt das Schicksal beider so mißglückt trotz aller Fürsorge! Wie waren beide in einer Situation, die ihr unerträglich erscheint! Aber zu Hause hat sie wenigstens ein Gegengewicht für alles Schwere! Wie mag sich ihr Mann nach ihrer Rückkehr sehnen, trotzdem er nie davon schreibt, sondern im Gegenteil stets zuredet, den Aufenthalt zu verlängern! Dafür soll er jetzt durch ihre frühere Rückkehr belohnt werden! Noch heute packt sie und morgen früh, bei ihrer Abreise, will sie durch ein Telegramm ihre Ankunft ihm anzeigen, früher nicht, damit er nicht etwa Einspruch erhebt! Aber er wird es auch nicht, an seiner eigenen Sehnsucht muß er ja fühlen, wie sie empfindet!
Es wird ihr plötzlich ganz heiter zu Mute, wie sie sich das
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0792.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2024)