verschiedene: Die Gartenlaube (1896) | |
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wich; er half nach, Frau Fricke half nach … „Lassen Sie die Kinder eine halbe Stunde spielen, ehe Sie mit ihnen ausgehen!“ sagte er zu dem Kindermädchen. „Aber verstehen Sie mich: Ihre Frau braucht nichts davon zu erfahren.“
„Herr Doktor,“ sprach Frau Fricke, „die Kinder werden wohl doch etwas davon verraten.“
„Nun also – meinetwegen denn. Ueberlassen Sie mir einmal die Kinder allein.“
Frau Fricke ging. Es war ihm unbehaglich, daß sie zusehen sollte, wie er sich mit den Kindern beschäftigte; er wußte nicht, ob nicht die ersten Versuche sehr unbeholfen aussehen würden.
Wahrhaftig: er spielte mit ihnen, plauderte mit ihnen. Er studierte sie, so sagte er sich zu seiner Entschuldigung. Und es waren zwei so allerliebste Geschöpfe!
Sie kamen täglich, und er ließ sich von ihnen „Onkel Doktor“ nennen. Er hielt streng eine bestimmte Zeit für den Besuch fest. „So, nun ist’s genug, nun kommt das Spazierengehen.“ Sie gingen seufzend – er vergrößerte immerfort den Vorrat an Spielzeug – und ihm selber war es gar nicht recht, wenn er einsam zurückblieb. Er brauchte immer erst einige Zeit, um sich zu sammeln, ehe er nachher arbeiten konnte, und in dieser Zeit hatte er ein Gefühl wie im Herbstwalde, wenn kein Vogel mehr singt. Sein Leben hatte gewonnen durch diese kleinen Vögelchen, die um ihn zwitscherten. Es war, als brächten sie ihm ein Stück Lebensfrühling wieder, wenn sie kamen.
Was die blonde schlanke Frau oben dazu denken mochte? Denn sie wußte sicher darum. Frau Fricke hatte recht: wie hatte er sich einbilden können, daß all das hinter ihrem Rücken geschehen könnte! Wenn er ihr wieder begegnen würde, so würden sie beide lächeln müssen. Nun gut: was er that, war eine Art Abbitte für den Brief. Er brauchte nur eine halbe Entschuldigung noch und konnte die Zuversicht haben, daß sie kaum mehr als Formsache sein würde. Sie wußte darum und störte nicht – das gab ihm eine so angenehme Empfindung! Sie überließ ihm täglich ihre Kinder auf eine Stunde; sie durften ihre Herzchen an ihn hängen! Das war viel für eine trauernde junge Witwe, der ihre Kinder alles bedeuten. Was beschwor sie da herauf?! …
Oder machte sie sich einen Scherz mit ihm? Amüsierte sie’s heimlich, daß er, der jenen Brief geschrieben ... Ah, danach sah sie nicht aus.
Wie ein Donnerschlag war es für ihn, als eines Morgens die Kinder ausblieben. Es war allerdings der erste regnerische Vormittag seit dem Umzug; aber ist dies ein Grund, die Kinder da oben festzuhalten?
Vielleicht kommen sie noch!
Er geht ungeduldig, fast erbittert, auf und ab. Ueber ihm trappelt’s – da sind sie nun – das ist Kurt – das ist die Theta … es scheint nicht, daß sie Urlaub für ihn erhalten werden.
Er ist plötzlich wieder der Alte, heftig, aufbrausend. Er geht in die Küche, zur Frau Fricke. „Nun?“ sagt er, „wo bleiben die Kinder heute?“
„Das Kindermädcheu war einen Augenblick unten, Herr Doktor – sie gehen nicht aus – und die Frau Hauptmann hatte gemeint: das ginge doch nicht alle Tage so …“
„Das ginge nicht? Warum soll das nicht gehen? Sie hätten mir das gleich sagen sollen …“
Er verließ sie, besann sich in der Stube … nein, er wird da nicht erst Visitentoilette machen. Er will nicht Visite machen, nur auf eine Stunde „seine Kinder“ wieder haben. So zieht er seinen Salonrock an und nimmt den schwarzen Filzhut.
Als er treppauf steigt, ist ihm doch ein wenig beklommen zu Mute. Er gäbe etwas drum, zu wissen, wie man ihn aufnehmen wird. Er geht wie ins Fegefeuer. Auf sein Klirren öffnet das Kindermädchen, lacht über das ganze Gesicht und nimmt seine Visitenkarte … „Gnädige Frau läßt bitten …“
Da ist das kleine Empfangszimmer, über seinem Schlafzimmer: ein rechtes Damenzimmerchen in Rokoko, wie er’s eigentlich nicht liebt. Die Thür zu nebenan steht mit einem Spalt offen … da trappelt es und Kurt steckt sein rundes Jungengesicht hindurch, das ganz aufgehellt aussieht, und sagt: „Tuten Tag, Ontel Dottor.“
„Marie, halten Sie die Kinder zurück,“ sagt eine weiche Altstimme bei der Thür, und da steht die Frau Hauptmann im Rahmen und sie verneigen sich beide. „Ich ahne, was Sie zu mir führt. Sie haben meinen beiden Kleinen viel Freundlichkeit erwiesen, Herr Doktor, das ist gewiß für mich als Mutter eine Genugthuung und ich danke Ihnen. Aber Sie sollen nicht täglich von ihnen belästigt werden.“
„Darf ich einen Augenblick Platz nehmen?“
„Bitte …“ nickt sie, und ihr schlankes blasses Gesicht färbt sich ein wenig. Wie licht ihr Kopf erscheint, mit dem nordisch aschblonden Haar, so einfach glatt aufgeknotet, gegen das schwarze Hauskleid! Ein unbeschreiblich angenehmes Gefühl sagt ihm: „Eine ganze Dame“. Ihm war, als habe er ein großes Glück vor sich.
„Gnädigste Frau“, sagte er, „eine Vorbemerkung! Ich bin ein verwöhnter Juuggesell, der sich’s bisher nach Laune bequem gemacht hat; etwas eigenwillig, wie Aerzte leicht werden. Lassen Sie, ich bitte, Gnade für Recht ergehen und vergessen Sie meinen Brief, für den ich ja meine Lektion schon weghabe.“ Er saß steif, als hätte er den Chapeau claque vor sich.
„Ach, der Brief –“ sagte sie einfach. „Es giebt solche Zwischenfälle … das Leben korrigiert uns alle Augenblicke.“
„So. Und nun: lassen Sie mir alle Tage eine Stunde meine Kinder!“
„Ihre Kinder!“ Jetzt lächelte sie. „Die müssen sich ja recht dreist bei Ihnen eingenistet haben.“
„Begreifen Sie, gnädigste Frau: so lange ich nicht den Vorzug hatte, Sie persönlich zu kennen, hatten diese beiden reizenden Dinger für mich weder Vater noch Mutter. Ich hatte keine Anschauung davon, wo sie sich sonst bewegten … sie flogen herein, zwei Vögelchen – die dann niemand auf der Welt etwas angingen als mich. Können sie sich jetzt hineindenken, wenn ich sage: Meine Kinder?“
„Ja, das ist ein gefährliches Spiel, Herr Doktor. Das giebt doppelte Erziehung. Sie verwöhnen mir die Kinder – Sie haben es leicht, sich ihre Herzen zu gewinnen, ich muß sie kürzer halten, und sie werden vergleichen: dabei komme ich zu kurz.“
„Sie rechnen scharf, Gnädigste …“
„Das müssen Sie einer Mutter zu gute halten …“
„Ah – ich führe alle Großeltern, Tauten, Onkel, Paten für mich ins Treffen. Wieviel Kinder giebt es wohl, die nicht irgendwo ein Weihnachtsland haben, wo man sie verwöhnt … lassen Sie mir die Kinder!“
Sie war ein wenig betroffen von dem warmen Ton, in dem er bat; der Blick, mit dem sie ihn ansah, sagte ihm das.
„Sie wundern sich über diese ausgiebige Sinnesänderung bei mir. Ehrlich gesagt: ich wundere mich selber, obwohl ich Ihnen ganz genau vorsecieren könnte, wie sie sich vollzogen hat. Ich war nie Kinderarzt – ich mußte in meine eigene Jugend zurücksteigen, um mich zu ihnen zu finden. Das war reizvoll, denn es war etwas ganz Neues für mich.“
„Sie praktizieren nicht mehr, sagt man mir?“
„Es giebt Aerzte wie Heuschrecken, und ich bin nicht mehr auf der Höhe der Wissenschaft, wie man hier sagt. Das kommt so, wenn man im Auslande lebt. Ich habe so viele Menschen behandelt in meinem Leben, mit immer weniger Freude und Vertrauen … ich sehe nicht den geringsten Grund, weshalb ich mich hier durchaus um meine Nachtruhe bringen lassen müßte.“
Sie sah vor sich hin. „Ist das nicht doch recht egoistisch gedacht? Im Interesse der leidenden Menschheit gesprochen! Es giebt Aerzte genug, aber nicht gerade viel hervorragende …“
„Gnädigste Frau erzeigen mir da eine besondere Ehre …“
„Ich bitte ... Ihre Vergangenheit genügt, um zu schließen, daß Sie kein Durchschnittsmensch sind.“ Sie errötete doch ein wenig, mit einer leichten Verlegenheit, als sie das sagte. Und sie erhob sich gleich darauf. „Also, ich will es mit den Kindern wagen … auf Widerruf, Herr Doktor!“
Er stand auf, reichte ihr mit raschem Impulse die Hand hin. „Ich danke Ihnen.“ Zögernd legte sie eine schmale kühle Hand in die seine und neigte leicht den Kopf.
„Wenn Sie meiner als Arzt je bedürfen sollten …“
„Hoffentlich nicht, Herr Doktor. Im übrigen habe ich einen tüchtigen Hausarzt, dem ich vertraue.“
„Ganz wie Sie befehlen“, nickte er, plötzlich abgekühlt.
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Nun hatte er mit ihr gesprochen.
Diese blonde Frau in ihrem ewigen Schwarz quälte ihn – sie nistete sich in seinem Kopfe ein – und in seinem Herzen. Darüber war er sich ganz klar. Welch ein Verhängnis!
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0800.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2024)