Gezeiten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. Dezember 2016 um 19:34 Uhr durch 37.201.136.215 (Diskussion) (Betrachtung der Vertikal- und Horizontalkomponenten der Gezeitenbeschleunigung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hoch- und Niedrigwasser an einer Schiffsanlegestelle in der Bay of Fundy
Schematische Darstellung des Auftretens von Spring- und Nipp-Tiden; Trägheiten führen dazu, dass z. B. Springtiden etwas später als bei Voll- und bei Neumond auftreten.

Die Gezeiten oder Tiden (niederdeutsch Tid, Tied [tiːt] „Zeit“; Pl. Tiden, Tieden [tiːdən] „Zeiten“) sind periodische Wasserbewegungen des Ozeans, die sich vorwiegend an dessen Küsten auswirken. Dort führen sie zu Tidehochwasser und -niedrigwasser. Sie sind eine Folge der Gezeitenkräfte von Mond und Sonne, wobei der stärkere Einfluss vom Mond ausgeht. Die Erdrotation bewirkt, dass diese Gezeitenkräfte an einem festen Ort der Erdoberfläche zeitlich variieren. Daher gibt es an den meisten Küsten während des Mondumlaufs von knapp 25 Stunden je zweimal Hochwasser und zweimal Niedrigwasser.

Bei Voll- und Neumond addieren sich die Gezeitenkräfte von Sonne und Mond zu einer besonders großen Tide, der Springtide, bei Halbmond dagegen ergibt sich eine besonders kleine Tide, die Nipptide. Die Gezeitenkräfte der Sonne betragen etwa 46 % derjenigen des Mondes.[1][2]
Besonders große Gezeitenkräfte und Springtiden ergeben sich, wenn sich zusätzlich der Mond im erdnahen Bereich seiner Umlaufbahn befindet.

Durch die zur Erdachse veränderliche Neigung der Mondbahn ergibt sich eine etwa jährliche Variation der Tiden.

Die Lehre von den maritimen Gezeiten der Erde heißt Gezeitenkunde. Ihre Grundaussagen sind Bestandteil der nautischen Ausbildung.

Begriffe und Bezeichnungen

Flut ist der Zeitraum und der Vorgang ansteigenden, „auflaufenden“ Wassers. Ebbe ist der Zeitraum und der Vorgang sinkenden, „ablaufenden“ Wassers. Der Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes heißt Hochwasser (HW), der des tiefsten Wasserstandes Niedrigwasser (NW). Der Wasserstand zu diesen Zeiten heißt Hochwasserhöhe (HWH) bzw. Niedrigwasserhöhe (NWH). Aufeinander folgende Hochwasser- und Niedrigwasserhöhen sind unterschiedlich, da sich die Stellungen von Mond und Sonne relativ zur Erde ändern. Der Zeitpunkt des Wechsels von auflaufendem zu ablaufendem Wasser oder umgekehrt heißt Kentern. Beim Kentern der Tide kommt es für kurze Zeit zu einem Stillstand der Gezeitenströmung, dem Stauwasser.

Der Höhenunterschied zwischen Niedrigwasserhöhe und der folgenden Hochwasserhöhe (während der Flut) heißt Tidenstieg. Der Höhenunterschied zwischen Hochwasserhöhe und der folgenden Niedrigwasserhöhe heißt Tidenfall. Der Mittelwert aus Tidenstieg und Tidenfall heißt Tidenhub. Der zeitliche Verlauf des Wasserstandes zwischen Niedrigwasser, Hochwasser und darauf folgendem Niedrigwasser ergibt die Tidenkurve. Die gezeitenbedingte Höhe des Wasserstandes bezogen auf das örtliche Seekartennull (meistens LAT) heißt Höhe der Gezeit.

Gezeitenbegriffe

Gezeitenwasserstände:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung
Höchstmöglicher Gezeitenwasserstand Highest Astronomical Tide HAT Bezug für Durchfahrtshöhe unter Brücken
Mittleres Springhochwasser MSpHW Mean High Water Spring MHWS
Mittleres Hochwasser MHW Mean High Water MHW Definition der Küstenlinie
Mittlerer Wasserstand MW Mean Sea Level MSL Seekartennull in gezeitenfreien Gewässern, dort Übereinstimmung der Wassertiefen in See- und Landkarten
Mittleres Niedrigwasser MNW Mean Low Water MLW
Mittleres Springniedrigwasser MSpNW Mean Low Water Spring MLWS früher Nullebene für Wassertiefen (lt. IHO veraltet)
niedrigst möglicher Gezeitenwasserstand NGzW Lowest Astronomical Tide LAT Seekartennull in Gezeitengewässern, Nullebene für Wassertiefen in Seekarten

Die deutschen Abkürzungen werden in offiziellen Werken der IHO nicht mehr verwendet.

Gezeitenunterschiede:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung
Höhe der Gezeit Height of Tide Unterschied zwischen aktuellem Wasserstand und Seekartennull
Mittlerer Springtidenhub Spring Range of Tide Unterschied von Ebbe und Flut bei Springzeit (Hub groß)
Mittlerer Nipptidenhub Neap Range of Tide Unterschied von Ebbe und Flut bei Nippzeit (Hub klein)

Seekartennull:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung
Seekartennull SKN Chart Datum CD Grundlage für:
• amtliche Definition der Basislinie
• Nullebene für die Messung von Wassertiefen

ist bezogen auf:
• LAT Lowest Astronomical Tide (oder MLLW)
• oder auf MSL in tidenfreien Gewässern

Erklärungsgeschichte der Gezeiten

Dass Ebbe und Flut vorwiegend mit dem Mond korreliert sind,[3] dürfte zu den ersten astrophysikalischen Erkenntnissen des Menschen gehören. Denn es ist – jedenfalls an den Ozeanküsten – unmittelbar zu beobachten, dass der Mond bei Hochwasser am selben Ort regelmäßig an derselben Stelle seines (ungefähr) täglichen Umlaufs steht. Auch detailliertere Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Mond und Gezeiten, bis hin zur längerfristigen Periodizität abhängig von Mondphasen und Jahreszeiten, ist schon im alten Indien, bei den Phöniziern und Karern nachgewiesen,[4] und war auch dem Seefahrer und Entdecker Pytheas bekannt.[5]

Der griechische Astronom Seleukos von Seleukia übernahm im zweiten vorchristlichen Jahrhundert das heliozentrische Weltbild des Aristarchos und baute darauf seine Theorie der Gezeiten auf.[6] Ein umfangreiches Werk von Poseidonios aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. ist zwar verschollen, aber aus antiken Zitaten lässt sich schließen, dass es die lunisolare Theorie enthielt, also die Erklärung der täglichen und monatlichen Effekte aufgrund gegenseitiger Einwirkung der drei Himmelskörper.[7]

Im 14. Jahrhundert veröffentlicht Jacopo de Dondi (dall’Orologio), Vater des Giovanni de Dondi (dall’Orologio), De fluxu et refluxu maris, wohl angeregt durch griechisch-byzantinische Quellen.[8]

Im 16. Jahrhundert gab Andrea Cesalpino in seinem Werk Quaestiones Peripatetica (1571) eine Erklärung der Gezeiten durch die Erdbewegung – ähnlich dem Hin- und Herschwappen von Wasser in einem bewegten Eimer. 1590 erklärte Simon Stevin die Anziehung durch den Mond zur Ursache der Gezeiten.

Johannes Kepler formulierte 1602 eine "Theorie der Schwere", in der Erde und Mond eine gegenseitige Anziehung ausüben, die auch die Gezeiten verursacht. Galileo Galilei sah 1616 in seinem Discorso sopra il Flusso e Reflusso del Mare (unveröffentlicht) und im Dialogo (herausgegeben 1632) in den Gezeiten einen Beweis für die Erdrotation und den Erdumlauf um die Sonne mit dem gleichen Drehsinn.[5] Von der Sonne aus gesehen bewegt sich die Tagseite der Erde langsamer als die Nachtseite, wodurch sich die Gezeiten aufgrund der unterschiedlichen Beschleunigungen ergeben sollen. René Descartes gab im 17. Jahrhundert eine Erklärung auf Basis einer Reibung des „Äthers“ zwischen Erde und Mond, die allerdings schnell widerlegt wurde.[9]

Isaac Newton konnte als erster die Anziehungskräfte von Mond und Sonne auf verschiedene Teile der Erde berechnen und zeigen, dass die lunisolare Theorie auch quantitativ plausibel ist. In seinem im Jahre 1687 erschienenen Werk Mathematische Prinzipien der Naturlehre ging er von dem Modell eines Zweikörpersystems von Erde und Mond aus, das um den gemeinsamen Schwerpunkt, das Baryzentrum, rotiert.

Daniel Bernoulli und Pierre-Simon Laplace erweiterten Newtons Betrachtung um die Schwingungslehre, womit sie den Ansatz Cesalpinos („Schwappen in einem Gewässerbett“) wieder aufgriffen. Seitdem ist der dynamische Charakter der Gezeiten berechenbar geworden. Die im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend genauere Kenntnis der Massen der Himmelskörper trug zur Genauigkeit der durch Rechnung gewonnenen Voraussagen bei.

Historische Übersicht
1. Jh. v. Chr. Poseidonios Der Mond hat auf die Gezeiten mehr Einfluss als die Sonne
1590 Simon Stevin Anziehung des Mondes
1609 Johannes Kepler Anziehung durch Gravitation des Mondes
1616/1632 Galileo Galilei kinematische Gezeitentheorie
17. Jahrhundert René Descartes Reibung des „Äthers“ zwischen Erde und Mond
1687 Isaac Newton Berechnung der Anziehungskräfte von Mond und Sonne
18. Jahrhundert Daniel Bernoulli Gleichgewichtstheorie
18. Jahrhundert Pierre-Simon Laplace dynamische Gezeitentheorie
18. Jahrhundert William Whewell Gezeitenwellen
1842 George Biddell Airy Theorie auf Basis einfach geformter Becken mit gleichförmiger Tiefe
1867 William Thomson harmonische Analyse
20. Jahrhundert Sydney Hough dynamische Theorie unter Einbeziehung der Corioliskraft

Erklärung der Gezeiten und Berechnung von Gezeitenbeschleunigungen an ausgewählten Punkten

Bei der Erklärung kann sowohl ein außerhalb der Erde angeordnetes Bezugssystem als auch die Erde selbst als Bezugssystem dienen.

Entstehung der Gezeitenkräfte durch den Mond
(Bezugssystem außerhalb der Erde):
Oben: Gravitationskräfte durch den Mond (rechts außerhalb des Bildes) am mondfernsten, mondnächsten und Schwerpunkt der Erde
Unten: Gezeitenkräfte als Differenzen zur Gravitationskraft im Schwerpunkt am mondfernsten und mondnächsten Punkt
Entstehung der Gezeitenkräfte durch den Mond
(Bezugssystem ist die Erde):
Gezeitenkräfte an mehreren Stellen der Erdoberfläche als Resultierende der jeweiligen durch die Revolution der Erde um das Baryzentrum verursachten Zentrifugalkraft und der Gravitationskraft des Mondes.

Die Gezeitenkräfte sind in einem dreidimensionalen Feld angeordnet. Vereinfachend wird ein zweidimensionaler Schnitt der Erdoberfläche betrachtet.

Sie sind etwa zehnmillionenmal kleiner als die Erdanziehungskraft, weshalb die im mondfernsten und mondnächsten Punkt senkrecht auf der Erdoberfläche angreifenden Gezeitenkräfte die Ozeane kaum beeinflussen. Vielmehr lösen die parallel zur Erdoberfläche wirkenden Komponenten der Gezeitenkräfte (siehe Abbildung rechts) die Tiden aus. Sie wirken orthogonal zur Erdanziehung und erzeugen damit eine horizontale Fließbewegung des Ozeanwassers. Es entsteht der Tidenhub. Die Erddrehung um die Achse lässt diesen über die Erdoberfläche wandern, was ein stationärer Beobachter als periodische Schwankung erlebt. Diese Tiden erreichen eine Höhe von etwa drei Dezimetern. An den Küsten staut sich dieses über die Erdoberfläche strömende Ozeanwasser, und der Tidenhub vervielfacht sich.

Die erdoberflächenparallelen Kräfte haben etwa die gleiche Größenordnung wie die im mondfernsten und im mondnächsten Punkt senkrecht angreifenden Kräfte. Letztere lassen sich am leichtesten bestimmen, was im Folgenden geschieht.

Berechnung von Gezeitenbeschleunigungen an ausgewählten Punkten

Die ausgewählten Punkte sind der entfernteste und der nächste Punkt (kurz Pole genannt) des von einer Masse beeinflussten Körpers. Bei den Gezeiten sind das der mondfernste und der mondnächste beziehungsweise der sonnenfernste und der sonnennächste Punkt der Erde.

Bezugssystem außerhalb des betrachteten Himmelskörpers

Die im Folgenden hergeleiteten Gleichungen gelten allgemein für zwei beliebige in Bezug stehende Himmelskörper (Massen).

Für die Gezeitenbeschleunigung ag, die eine Masse M maximal auf der Oberfläche eines im Abstand r befindlichen Himmelskörpers mit dem Durchmesser 2R verursacht, gilt:

(1)
Herleitung

Die Gravitationsbeschleunigung a eines Körpers in einem äußeren Gravitationsfeld der Masse M ist mit der Gravitationskonstante G und dem Abstand r des Körperschwerpunktes zu M wie folgt gegeben:

(2)

Auf ein auf der Verbindungslinie zwischen Körperschwerpunkt und der Masse, die das Gravitationsfeld erzeugt, und auf der Körperoberfläche liegendes Massenelement wirkt die Beschleunigung

(3)

Der Punkt mit liegt auf der der Masse abgewandten Seite und ist von ihr am weitesten entfernt. Der Punkt mit liegt auf der ihr zugewandten Seite und ist ihr am nächsten. Die Beschleunigungen dieser beiden Massenelemente sind wie ihre Abstände von der Masse die beiden Extremwerte.

Die Gezeitenbeschleunigung dieser Elemente ist jeweils die Differenz zwischen ihrer Gravitationsbeschleunigung und der Gravitationsbeschleunigung des Körperschwerpunkts:

(4)

Die Näherung folgt aus der Reihenentwicklung um und Abbruch nach dem linearen Glied von

(5)

Die Gezeitenbeschleunigung weist auf beiden Seiten vom Körperschwerpunkt weg. Sie ist aber auf beiden Seiten nicht ganz gleich groß, was in obiger Formel zu erkennen ist, wenn man den Näherungsteil weglässt.

Rechenbeispiel – Gezeitenbeschleunigung auf der Erdoberfläche durch den Erdmond

Mit den Konstanten

, der Gravitationskonstante,[10]
, der Masse des Mondes,
, der mittleren Entfernung des Mondes,
, dem mittleren Radius der Erde,

ergibt sich

für die Gezeitenwirkung des Mondes auf die Erde.

Wendet man die in obiger Formel enthaltene Näherung nicht an, ergibt die Rechnung

für die dem Mond abgewandte Seite und
für die dem Mond zugewandte Seite.

Im Schwerpunkt der Erde ist die vom Mond stammende Gravitationsbeschleunigung

.

Somit ist die Gezeitenbeschleunigung etwa 30-mal kleiner als die Gravitationsbeschleunigung.

Die mittlere Erdbeschleunigung ist etwa zehnmillionenmal größer als die Gezeitenbeschleunigung.

Betrachtung der Vertikal- und Horizontalkomponenten der Gezeitenbeschleunigung

Die rechtsstehende Grafik bildet die Tangential- und die Normalkomponenten der Gezeitenbeschleunigung maßstabsgerecht ab. Die schwarzen Pfeile stellen die Vertikalkomponente und die rotfarbenen Pfeile die Horizontalkomponente dar; nur diese ist für die Erzeugung der Gezeiten verantwortlich.

Zerlegung der Gezeiten­beschleunigung auf der Erdoberfläche durch den Mond in Komponenten.
1: Richtung zum Mond und Rotationssymmetrieachse

Für einen Punkt auf der Erdoberfläche unter dem Winkel gegenüber dem Schenkel Erdmittelpunkt − Mond, gilt[11]

für die Vertikalkomponente und
für die Horizontalkomponente der Gezeitenbeschleunigung.

An den Polen () hat die Vertikalkomponente den Betrag von

,

während hier die Horizontalkomponente ist. Die Horizontalkomponente nimmt ihren Maximalwert unter den Winkeln an und beträgt hier

.
Rechenbeispiel – Gezeitenbeschleunigung auf der Erdoberfläche durch die Sonne

Mit den Konstanten

, der Masse der Sonne, und
, der mittleren Entfernung der Sonne,

ergibt sich

für die von der Sonne herrührende Gezeitenbeschleunigung und

für die Gravitationsbeschleunigung.

Die Gezeitenbeschleunigung skaliert mit der dritten Potenz des Abstandes vom Gravitationszentrum und fällt schneller ab als die Gravitationsbeschleunigung, die quadratisch skaliert. Dies führt dazu, dass die Gezeitenbeschleunigung der viel weiter entfernten Sonne kleiner ist, obwohl sie die 2,7·107-fache Masse und folglich die fast 180-fache Gravitationsbeschleunigung des Mondes hat.

Vergleich der Gezeitenbeschleunigung von Mond und Sonne mit denen einiger Planeten
Je näher ein Planet seinem Zentralgestirn (Gravitationsquelle) kommt, desto mehr wird er zu einem Ellipsoid verformt.
Die bogenförmige Markierung ist die Roche-Grenze.
Himmelskörper Rel. Beschl. Auslenkung
Mond 1 30 cm
Sonne 0,45 14 cm
Venus in unterer Konjunktion 5·10−5 17 µm
Jupiter 6·10−6 2 µm
Mars in Opposition 2·10−6 0,5 µm
Mars in Konjunktion 1·10−8 3 nm

Die tabellierte Auslenkung ist der Anstieg des Wasserspiegels auf dem offenen Meer. Die allgemeine Wirkung der beidseits vom Körperschwerpunkt wegweisenden Gezeitenbeschleunigung ist die Verformung des Körpers zu einem Ellipsoid (siehe Abbildung).

Betrachteter Himmelskörper als Bezugssystem

Erde und Mond umrunden ihren gemeinsamen ruhenden Schwerpunkt (Baryzentrum), der sich innerhalb der Erde befindet (sonst nicht maß­stabs­ge­treue Illustration).
Die nicht rotierend gedachte Erde kreist um ihren mit dem Mond gemeinsamen Schwerpunkt (Baryzentrum): Alle Orte auf ihr sind der gleichen Zentrifugalkraft (blaue Strecken) unterworfen.

Die quantitative Beschreibung ist bei dieser Betrachtungsweise mit der oben angeführten identisch, denn die in die Betrachtung eingeführte Zentrifugalkraft hat den gleichen Wert wie die dort im Vergleich enthaltene Gravitationskraft; d. h., die Zentrifugalbeschleunigung ist gleich der im Schwerpunkt wirkenden Gravitationsbeschleunigung . Diese Art der Betrachtung hat einen anschaulichen Vorteil, weil an den betreffenden Oberflächenstellen Bilanzen mit dort lokalisierten Kräften gebildet werden. Das „naive“ Verständnis, dass durch Anziehung des Mondes auf der ihm abgewandten Seite kein Kraftüberschuss in Gegenrichtung entstehen könne, wird dadurch nicht strapaziert, denn auf der dem Mond abgewandten Seite ist dessen Anziehung zwar kleiner, sie wird aber von der in Gegenrichtung wirkenden Zentrifugalkraft übertroffen.

Die Gravitationskraft auf den Himmelskörper ist die Radial- oder Zentripetalkraft, die seine Bewegung auf einer Kreisbahn (allgemein: auf gekrümmter Bahn) um die die Gravitation ausübende Masse bewirkt (allgemein: um den gemeinsamen Schwerpunkt von Körper und ausübender Masse, das Baryzentrum). Beim Kreisen des Himmelskörpers (Abbildung links) um das Baryzentrum entsteht in jedem seiner Punkte eine Zentrifugalkraft von gleichem Betrag (Abbildung rechts: Umlaufen ohne Rotation, auch Revolution genannt). Diese Kraft ist immer von der ausübenden Masse weg gerichtet.

Für die Zentrifugalbeschleunigung, die ein auf einem Kreis mit dem Radius r’ und mit der Winkelgeschwindigkeit ω umlaufender Massepunkt erfährt, gilt:

(6)

Für die an den betreffenden Oberflächenstellen mit dort lokalisierten Kräften gebildeten Bilanzen wird die in Gleichung (4) enthaltene Gleichung (2) durch Gleichung (6) ersetzt. Es entsteht:

(7)
Kontrollrechnung – Gezeitenbeschleunigung auf der Erdoberfläche durch den Erdmond

Zu kontrollieren ist lediglich die Übereinstimmung der Werte für die Zentrifugalbeschleunigung (Himmelskörper als Bezugssystem) mit der Gravitationsbeschleunigung (Bezugssystem außerhalb des betrachteten Himmelskörpers, siehe oben):

Gravitationsbeschleunigung (siehe oben)

Zentrifugalbeschleunigung

ist der mittlere Radius der Revolutionsbahn der Erde.
ist die Winkelgeschwindigkeit der Revolution (siderischer Monat = 27,32 Tage).

Überlagerung der vom Mond und von der Sonne verursachten Gezeitenkräfte

In der oben genannten Periode von etwa 29½ Tagen liegen Sonne, Erde und Mond zweimal auf einer Linie (Voll- und Neumond, siehe auch schematische Darstellung in der Einleitung) und die von ihnen verursachten Gezeitenkräfte addieren sich, wobei sie den Wasserspiegel des Ozeans etwa ¾ Meter (etwa ½ Meter durch den Mond und etwa ¼ Meter durch die Sonne) anheben.[12] In den beiden Momenten des Halbmondes liegt zwischen den beiden Gezeitenkräften ein rechter Winkel. Ihre Überlagerung führt zu Kräften, die den Wasserspiegel des Ozeans weniger stark anheben. Die Periode für die Höhenveränderung durch Überlagerung ist mit etwa 14¾ Tagen die Hälfte der Periode der Mondphasen.[13]

Die periodische Wasserbewegung in den Ozeanen

Bei der Drehung der Erde um ihre eigene Achse würden die Wasserberge und -täler auf der Erde umlaufen, wenn der Ozean die Erde umfasste. Durch die Existenz der Kontinente ist der Ozean in mehrere mehr oder weniger in sich geschlossene Einzelozeane aufgeteilt, an deren Rändern das anströmende Wasser nicht nur aufgehalten, sondern auch reflektiert wird. Eine Wasserwelle läuft zurück und wird am gegenüberliegenden Rand erneut reflektiert. Das Wasser schwappt in den Ozeanbecken zwischen deren Rändern hin und her, wobei sich vor- und zurücklaufende Wellen überlagern, was zu stehenden Wellen führt. Bei Resonanz zwischen der Wellenausbreitung und dem von der Erddrehung verursachten Wechsel der Gezeitenkräfte entstehen Resonanzen, wodurch sich die Wellenamplitude vergrößern kann.

Dynamische Gezeitentheorie

Gezeiten als in den Weltmeeren umlaufende Wellen. Die Amplitude der Pegelschwankungen ist farbkodiert. Es gibt mehrere Knotenpunkte verschwindender Amplitude, um die die Wellen herumlaufen. Linien gleicher Phase (weiß) umgeben die Knotenpunkte büschelförmig. Die Wellenausbreitung erfolgt senkrecht zu diesen Linien. Die Richtung ist durch Pfeile angedeutet.

Nach dem Ansatz von George Biddell Airy, der von Henri Poincaré, Joseph Proudman und Arthur Doodson weiterentwickelt wurde, entstehen die Gezeiten im Wesentlichen durch die horizontale Komponente der Gezeitenbeschleunigung vor allem im tiefen Ozean. Dort handelt es sich um bis zum Meeresboden reichende, sogenannte Flachwasserwellen, deren Ausbreitungsgeschwindigkeit nur von der Wassertiefe abhängig ist. Ihre Periodendauer ist durch die der Gezeitenkräfte festgelegt. Ausbreitungsgeschwindigkeit und Periodendauer ergeben zusammen einen typischen Knotenabstand von etwa 5000 Kilometern in stehenden Wellen in den Ozeanen, siehe Bild. In den Knoten ist die Schwankungsamplitude des Pegels gering, die Strömungsgeschwindigkeit groß. Als Folge der Corioliskraft entstehen kreisende bis elliptische Bewegungen um die Knotenpunkte (Amphidromie). In den Schelfmeeren ist die Wellenlänge wegen der geringeren Wassertiefe kürzer. So gibt es in der relativ zu den Ozeanen kleinen Nordsee drei Amphidromie-Punkte.

Ebbe und Flut an den Küsten der Ozeane

Die Amplituden der Gezeitenwellen sind wegen der geringeren Wassertiefe der Schelfe vor den Küsten deutlich höher als in den sonst tiefen Ozeanen. Die geringere Wassertiefe bedeutet geringere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen, was zum Anstieg der Wasserpegel führt. In Buchten und Mündungstrichtern von Flüssen verursacht die Querschnittsverringerung ein weiteres Abbremsen und Vergrößern der Wellenamplitude. Die besonders großen Tidenhübe treten immer an solchen Stellen auf. Oftmals kommen rein topographisch begünstigte Resonanzüberhöhungen hinzu wie in der Fundy-Bucht, in der es den weltweit höchsten Tidenhub gibt. Sie ist gerade so lang, dass sich die rücklaufende Welle außerhalb der Bucht zu einem dort gerade angekommenen erneuten Wasserberg addiert.

An steilen Küsten mit großer Wassertiefe ist der Tidenhub klein, weil die Wellenausbreitung im Gegensatz zu Küsten mit vorgelagerten Inseln nicht gemindert ist.

Zeitabhängigkeiten

Die Ursache der Gezeiten ist eine astronomische, die Reaktion der Meere darauf hingegen ist eine geographische.[14]

Die Gezeiten sind einer größeren Zahl individueller Zeitabhängigkeiten unterworfen, die im Wesentlichen zeitliche Variationen der astronomischen Ursachen sind. Die Ortsabhängigkeit ist wegen der unbegrenzt vielfältigen Form der Küste und des vorgelagerten Meeresbodens zwar groß, ist aber mit Hilfe weniger, prinzipiell beschreibbarer topographischer Parameter erklärbar. Dennoch wird davon abgesehen, Tidenvoraussagen aufgrund einer allgemein formulierten Ortsabhängigkeit für größere Küstenabschnitte erstellen zu wollen. In der Regel werden sie auf einen Hafen begrenzt angefertigt.

Die scheinbare Umlaufzeit des Mondes und die Periode der Mondphasen sind mit etwa 24 Stunden und 53 Minuten bzw. mit etwa 29½ Tagen Mittelwerte aus sowohl kurzfristig als auch aus längerfristig deutlich veränderlichen Werten. Durch harmonische Analyse der tatsächlichen Tiden-Verläufe wurden zusätzliche periodische Anteile mit kleinerer Amplitude und meistens anderer Periodendauer und Phasenlage getrennt sichtbar gemacht. Der spätere Lord Kelvin baute bereits 1872/76 eine erste Gezeitenrechenmaschine, mit deren Hilfe schon zehn unterschiedliche Schwingungsvorgänge zum längerfristigen künftigen Verlauf der Tiden in der Themse zusammengesetzt wurden (harmonische Synthese). Heutige elektronische Gezeitenrechner setzen etwa hundert Teilschwingungen mit meistens bekanntem astronomischen Hintergrund zusammen.

Kurzzeitige Effekte: etwa ½ Tag

Wegen der zur Ekliptik und zur Mondbahn nicht senkrechten Erdachse haben zwei aufeinanderfolgende Gezeiten an Orten abseits des Äquators nicht gleichen Tidenhub. Zu beiden Zeitpunkten befindet sich der Erdort an Stellen, in denen die Gravitationskräfte nicht gleich groß sind.[15][16]

Mittelzeitige Effekte: etwa ½ Monat und ½ Jahr

Wegen des monatlichen Wechsels der Mondlage relativ zur Sonne (Mondphasen) schwankt die Resultierende aus den von Mond und Sonne verursachten Gezeitenkräften, was zur etwa halbmonatlichen Periode der Tidenamplitude führt: Spring- und Nipptiden.[17][18][19]

Beim Anstieg des Tidenhubs von Tag zu Tag (Springtiden) folgen sich die Fluten in geringeren Abständen als beim Abstieg (Nipptiden). Die in den Ozeanen entstandenen Pegelwechsel kommen als höhere Wellen über den Schelfen schneller voran als die weniger hohen.[20][21]

Im halbjährigen Rhythmus der Tagundnachtgleichen treffen die Sonne und annähernd auch der Mond die Erdachse senkrecht im Erdmittelpunkt. Die Gezeitenkräfte haben über die Erde als Ganzes gesehen die größte Wirkung.[22][23]

Langzeitige Effekte: etwa 4½ und 9¼ Jahre

Die elliptische Mondbahn dreht sich in etwa 8,65 Jahren einmal um 360°. An einer bestimmten Bahnstelle bei gleicher Lage der Bahn befindet sich ein Voll- oder Neumond nach etwa 4½ Jahren wieder und hat denselben Abstand von der Erde. Die Wirkung des unterschiedlichen Abstandes auf den Gezeitenhub ist gering, aber als Effekt mit etwa 4½-jähriger Periode in langzeitigen Vergleichen – zum Beispiel der bereits extremen Springtiden an oder zeitnah bei den Tagundnachtgleichen – erkennbar.[24]

Die Mondbahn um die Erde und die Erdbahn um die Sonne schneiden einander unter einem Winkel von etwa 5°. Die Schnittlinie (Knotenlinie) dreht sich in etwa 18,6 Jahren einmal um 360°. Wenn sich der Mond in einem der beiden Knoten befindet, gleichzeitig Voll- oder Neumond ist und Springtiden stattfinden,[25] so ist der Tidenhub in diesem Rhythmus von etwa 9¼ Jahren nochmals geringfügig höher. Ursache ist die exakt gleiche Richtung der vom Mond und von der Sonne verursachten Gezeitenkräfte.[26]

Gezeitenrechnungen

Mit Gezeitenrechnungen werden Vorhersagen über den zeitlichen Verlauf der Tiden und die Höhen von Flut und Ebbe gemacht. Sie sind vorwiegend für die küstennahe Schifffahrt, die bei zu geringer Wassertiefe eingestellt werden muss, von Bedeutung. Die Gezeitenströmung kann die Schifffahrt beschleunigen oder verlangsamen. Von besonderer Bedeutung ist die Vorhersage des Zeitpunktes, an dem sie ihre Richtung ändert (Kenterpunkt). Für die Schifffahrt in Flussmündungen sind Voraussagen über die Gezeitenwelle, die bei Flut stromaufwärts läuft, von besonderer Bedeutung.

Küstenphänomene

Durch Gezeitenbewegungen typisches östliches Inselende am Beispiel von Norderney

In Küstennähe sind die Gezeiten erheblich durch die geometrische Form der Küsten beeinflusst. Das betrifft sowohl den Tidenhub als auch den Zeitpunkt des Eintretens von Ebbe und Flut. Die für jeden Ort ungefähr konstant bleibende Zeitdifferenz zwischen Hochwasser und Höchststand des Mondes wird als Hafenzeit, Tiden- oder Hochwasserintervall bezeichnet. In der Nordsee z. B. laufen Ebbe und Flut in einer Kreiswelle herum.

Der Tidenhub ist an den Küsten der Weltmeere oft größer als auf offener See. Das gilt insbesondere für trichterförmige Küstenverläufe. Das Meer schwappt bei Flut gewissermaßen an die Küste. So beträgt der Tidenhub in der westlichen Ostsee nur etwa 30 Zentimeter, an der deutschen Nordseeküste etwa ein bis zwei Meter. In Ästuaren (Mündungen) der tidebeeinflussten Flüsse, zum Beispiel Elbe und Weser, beträgt der Tidenhub aufgrund der Trichterwirkung in diesen auch Tidefluss genannten Abschnitten bis über vier Meter. Noch höher ist der Tidenhub beispielsweise bei St. Malo in Frankreich oder in der Severn-Mündung zwischen Wales und England. Er kann dort über acht Meter erreichen. In der Bay of Fundy treten die weltweit höchsten Gezeiten mit 14 bis 21 Metern auf.

Die Zunahme der Höhe der Flutwelle an den Küsten erfolgt in etwa nach dem gleichen Prinzip wie bei einem Tsunami. Die Geschwindigkeit der Flutwelle verringert sich in flachem Wasser, wobei sich die Höhe der Welle vergrößert. Im Gegensatz zum Tsunami ist die Gezeitenwelle aber nicht Resultat eines einzelnen Impulses, sondern enthält einen Anteil, der durch die Gezeitenkraft stets neu angeregt wird.

Die durch die Tide auf hoher See an den Küsten angeregten Meeresschwingungen können auch zu Schwingungsknoten führen, an denen gar kein Tidenhub auftritt (Amphidromie). Ebbe und Flut rotieren gewissermaßen um solche Knoten herum. Herrscht auf der einen Seite Ebbe, so herrscht auf der gegenüberliegenden Seite Flut. Dieses Phänomen findet man vor allem in Nebenmeeren, wie der Nordsee, die drei solcher Knoten aufweist (siehe diesbezügliche Abbildung im Artikel Amphidromie). Herausragend ist hierbei vor allem die Tideresonanz der Bay of Fundy.

Durch die Gezeiten werden insbesondere in Küstennähe erhebliche Energiemengen umgesetzt. Dabei kann die kinetische Energie der Strömungen oder auch die potentielle Energie mittels eines Gezeitenkraftwerks genutzt werden.

Ausgewählte Tidenhübe rund um die Nordsee

Wattflächen im Wash
Lokalisation der Gezeitenbeispiele
Tidenzeiten nach Bergen (minus = vor Bergen)
• Amphidromiezentren
• Küsten:
  Küstenmarschen grün
  Watt blaugrün
  Lagunen leuchtend blau
  Dünen gelb
  Seedeiche purpur
  küstennahe Geest hellbraun
  Küsten mit felsigem Untergrund graubraun
Tidenhub [m]
(laufende Tabellen)
max. Tidenhub [m] Ort Lage
0,79 – 1,82 2,39 Lerwick[27] Shetland-Inseln
2,01 – 3,76 4,69 Aberdeen[28] Mündung des Dee-River in Schottland
2,38 – 4,61 5,65 North Shields[29] Mündung des Tyne-Ästuars
2,31 – 6,04 8,20 Kingston upon Hull[30] Nordseite des Humber-Ästuars
1,75 – 4,33 7,14 Grimsby[31] Südseite des Humber-Ästuars weiter seewärts
1,98 – 6,84 6,90 Skegness[32] Küste von Lincolnshire nördlich des Ästuars The Wash
1,92 – 6,47 7,26 King’s Lynn[33] Mündung der Great Ouse in das Ästuar The Wash
2,54 – 7,23 Hunstanton[34] Ostecke des Ästuars The Wash
2,34 – 3,70 4,47 Harwich[35] Küste East Anglias nördlich der Themsemündung
4,05 – 6,62 7,99 London Bridge[36] oben am Themse-Ästuar
2,38 – 6,85 6,92 Dunkerque (Dünkirchen)[37] Dünenküste östlich der Straße von Dover
2,02 – 5,53 5,59 Zeebrugge[38] Dünenküste westlich des Rhein-Maas-Schelde Deltas
3,24 – 4,96 6,09 Antwerpen[39] oben im südlichsten Ästuar des Rhein-Maas-Schelde Deltas
1,48 – 1,90 2,35 Rotterdam[40] Grenzbereich von Ästuardelta[41] und klassischem Delta
1,10 – 2,03 2,52 Katwijk[42] Mündung des Uitwateringskanaals des Oude Rijn ins Meer
1,15 – 1,72 2,15 Den Helder.[43] Nordende der holländischen Dünenküste westlich des Ijsselmeers
1,67 – 2,20 2,65 Harlingen[44] östlich des IJsselmeers, in das der Rheinarm IJssel mündet
1,80 – 2,69 3,54 Borkum[45] Insel vor der Emsmündung
2,96 – 3,71 Emden[46] an der Emsmündung
2,60 – 3,76 4,90 Wilhelmshaven[47] Jadebusen
2,66 – 4,01 4,74 Bremerhaven[48] an der Wesermündung
3,59 – 4,62 Bremen-Oslebshausen[49] Bremer Industrie-Seehäfen oben im Weserästuar
3,3 – 4,0 Bremen Weserwehr[50] künstliche Tidengrenze der Weser
2,6 – 4,0 Bremerhaven 1879[51] vor Beginn der Weserkorrektion
0 – 0,3 Bremen 1879[51] Große Weserbrücke, vor Beginn der Weserkorrektion
1,45 Bremen 1890[52] Große Weserbrücke, 5 Jahre nach der Weserkorrektion
2,54 – 3,48 4,63 Cuxhaven[53] an der Elbmündung
3,4 – 3,9 4,63 Hamburg St. Pauli[54][55] Hamburg Landungsbrücken, oben am Elbästuar
1,39 – 2,03 2,74 Westerland[56] Insel Sylt vor der nordfriesischen Küste
2,8 – 3,4 Dagebüll[57] Küste des Wattenmeers in Nordfriesland
1,1 – 2,1 2,17 Esbjerg[58][59] Nordende der Wattenküste in Dänemark
0,5 – 1,1 Hvide Sande[58] dänische Dünenküste, Einfahrt zur Lagune Ringkøbingfjord
0,3 – 0,5 Thyborøn[58] dänische Dünenküste, Einfahrt zur Lagune Nissum Bredning
0,2 – 0,4 Hirtshals[58] Skagerrak, gleiche Hübe wie Hanstholm und Skagen
0,14 – 0,30 0,26 Tregde[60] Skagerrak, SüdNorwegen, östlich eines Amphidromiezentrums
0,25 – 0,60 0,65 Stavanger[60] nördlich des Amphidromiezentrums, Tiden sehr unregelmäßig
0,64 – 1,20 1,61 Bergen[60] Tiden besonders regelmäßig
Zeeland 1580

Die Themsemündung mit ihrem sehr hohen Tidenhub ist ein klassisches Beispiel, dass bei sehr starken Tidenströmen die Erosion so stark und die Sedimentation so gering ist, dass sich ein Ästuar ausbildet. Im Rhein-Maas-Schelde-Delta haben Sedimentation und Erosion jahrtausendelang zusammengewirkt. Die Sedimentation hat bewirkt, dass die einmündenden Flüsse versandeten und in neue Betten ausbrachen, wodurch eine Vielzahl von Flussmündungen entstand. Zwischen Antwerpen und Rotterdam, wo der Tidenhub groß ist, haben die gezeitenbedingten Pendelströme diese Flussmündungen zu Ästuaren aufgeweitet. An der flachen Küste östlich des holländischen Dünengürtels sind vom frühen 12. bis ins frühe 16. Jahrhundert Sturmfluten weit ins Land gedrungen und haben von der Mündung des östlichsten Rheinarms IJssel aus die Zuiderzee ausgewaschen, an der Mündung der Ems den Dollart und noch weiter östlich den Jadebusen. Zwischen diesem und dem Ästuar der Weser bestand von Anfang des 14. bis Anfang des 16. Jahrhunderts ein Weserdelta aus Ästuaren und Hochwasserrinnen, das dem Delta in Zeeland ähnelte.

Der Tidenhub unterscheidet sich nicht nur zwischen verschiedenen Regionen; an vorgelagerten Inseln und Kapps ist er geringer als an der Festlandsküste, in Buchten und Flussmündungen manchmal höher als an der vorderen Küste. Mit der Ausbaggerung von Fahrrinnen für den Schiffsverkehr reicht der hohe Tidenhub der Mündung heute in den Ästuaren weit flussaufwärts, wo er früher schon deutlich nachließ (Vgl. Elbvertiefung und Weserkorrektion). Flussaufwärts wird der Tidenbereich heutzutage vielerorts durch Wehre begrenzt, die gleichzeitig als Staustufen in den zuführenden Flüssen einen Mindestwasserstand garantieren.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut: das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. Delius Klasing, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-7688-3193-2.
  • Werner Kumm: Gezeitenkunde. 2. Auflage. Delius Klasing, Bielefeld 1996, ISBN 3-87412-141-0.
  • Andreas Malcherek: Gezeiten und Wellen – Die Hydromechanik der Küstengewässer. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8348-0787-8.
  • Günther Sager: Mensch und Gezeiten: Wechselwirkungen in zwei Jahrtausenden. Deubner, Köln 1988, ISBN 3-7614-1071-9.
  • Jean-Claude Stotzer: Die Darstellung der Gezeiten auf alten Karten. In: Cartographica Helvetica. Heft 24, 2001, S. 29–35, (Volltext)
  • John M. Dow: Ocean tides and tectonic plate motions from Lageos. Beck, München 1988, ISBN 3-7696-9392-2 (englisch).
  • Bruce B. Parker: Tidal hydrodynamics. Wiley, New York NY 1991, ISBN 0-471-51498-5 (englisch).
  • Paul Melchior: The tides of the planet earth. Pergamon Press, Oxford 1978, ISBN 0-08-022047-9 (englisch).
  • David E. Cartwright: Tides – a scientific history. Cambridge Univ. Press, Cambridge 1999, ISBN 0-521-62145-3 (englisch).
Commons: Gezeiten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gezeiten – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Günther Sager: Gezeiten und Schiffahrt. Leipzig 1958, S. 59.
  2. Die Anregung einer Springtide ist etwa -fach stärker als die einer Nipptide [1]
  3. Martin Ekman: A concise history of the theories of tides, precession-nutation and polar motion (from antiquity to 1950). In: Surveys in Geophysics. 6/1993, Band 14, S. 585–617.
  4. Gudrun Wolfschmidt (Hrsg.): Navigare necesse est – Geschichte der Navigation: Begleitbuch zur Ausstellung 2008/09 in Hamburg und Nürnberg. norderstedt 2008, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
    Jack Hardisty: The Analysis of Tidal Stream Power. 2009 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  5. a b David Edgar Cartwright: Tides: A Scientific History. Cambridge 1999, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  6. Georgia L. Irby-Massie, Paul T. Keyser: Greek Science of the Hellenistic Era: A Sourcebook. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  7. Lucio Russo: Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens. Übersetzt aus dem Italienischen von Bärbel Deninger, Springer 2005, ISBN 978-3-540-20938-6, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  8. Jacopo Dondi (dall’Orologio): De fluxu et refluxu maris. Editiert 1912 von P. Revelli.
  9. Zu verschiedenen Theorien vor Newton siehe auch Carla Rita Palmerino, J. M. M. H. Thijssen (Hrsg.): The Reception of the Galilean Science of Motion in Seventeenth-Century Europe. Dordrecht (NL) 2004, S. 200 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. CODATA Value: Newtonian constant of gravitation. In: physics.nist.gov. Abgerufen am 28. Mai 2016.
  11. Andreas Malcherek: Gezeiten und Wellen: Die Hydromechanik der Küstengewässer. Vieweg+Teubner Verlag, ISBN 978-3834807878, S. 25.
  12. Günther Sager: Gezeiten und Schiffahrt. Leipzig 1958, S. 61.
  13. Es handelt sich deshalb um ein ganzzahliges Verhältnis, weil der scheinbare Umlauf der Sonne bei der Umlaufzeit der Mondphasen bereits enthalten ist.
  14. Zitat aus: Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut – Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. Delius Klasing Verlag, 2010, ISBN 978-3-7688-3193-2, S. 81.
  15. Welt der Physik: Die Kräfte der Gezeiten. Abschnitt: Wie die Erdneigung Ebbe und Flut verzerrt.
  16. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. Delius Klasing, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-7688-3193-2, S. 67–70.
  17. Welt der Physik: Was springt bei der Springflut?
  18. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 43–47.
  19. Wenn beachtet wird, dass wegen des geringen Unterschieds der Gezeitenkräfte bei Spring- und Nipptiden diese nicht genau gleich hoch sind, ändert sich die Periode auf die doppelte Zeit.
  20. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 61–66.
  21. Diese sich halbmonatlich wiederholende Verzerrung im Tidenkalender wird überlagert von einer kleineren, sich monatlich wiederholenden Verzerrung, die durch variierende Mondgeschwindigkeit auf seiner elliptischen Bahn entsteht. Die dabei stattfindende Variation des Mondabstandes von der Erde führt zudem zu kleinen monatlichen Schwankungen des Tidenhubs.
  22. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 50–54.
  23. Die beiden unmittelbar aufeinanderfolgenden Gezeiten sind zu diesen Jahresdaten gleich groß.
  24. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 71 f.
  25. Das sind auch die Stellungen für eine Mond- bzw. eine Sonnenfinsternis.
  26. Wolfgang Glebe: Ebbe und Flut. Das Naturphänomen der Gezeiten einfach erklärt. S. 73–78.
  27. Gezeitentabelle für Lerwick: tide-forecast
  28. Gezeitentabelle für Aberdeen: tide-forecast
  29. Gezeitentabelle für North Shields: tide-forecast
  30. Gezeitentabellen für Kingston upon Hull: Mobile Geographics and Tide-Forecast
  31. Gezeitentabelle für Grimsby: Tide-Forecast
  32. Gezeitentabellen für Skegness: Visit My Harbour und Tide-Forecast
  33. Gezeitentabellen für King’s Lynn: Visit My Harbour und Tide-Forecast
  34. Gezeitentabellen für Hunstanton: Visit My Harbour
  35. Gezeitentabelle für Harwich
  36. Gezeitentabelle für London
  37. Gezeitentabellen für Dunkerque: Mobile Geographics und tide forecast
  38. Gezeitentabellen für Zeebrugge: Mobile Geographics und tide forecast
  39. Gezeitentabelle für Antwerpen
  40. Gezeitentabelle für Rotterdam
  41. F. Ahnert: Einführung in die Geomorphologie. 4. Auflage. 2009.
  42. Gezeitentabelle für Katwijk
  43. Gezeitentabelle für Den Helder
  44. Gezeitentabelle für Harlingen
  45. Gezeitentabelle für Borkum
  46. Gezeitentabelle für Emden
  47. Gezeitentabelle für Wilhelmshaven
  48. Gezeitentabelle für Bremerhaven
  49. Gezeitentabelle für Bremen Oslebshausen
  50. BSH-Gezeitentabelle für Bremen Weserwehr
  51. a b geschätzt anhand von Ludwig Franzius: Die Korrektion der Unterweser. Anhang B IV.: Wochendurchschnitte der Tidenhübe 1879. 1898.
  52. telefonische Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamtes Bremen, Sachbereich Gewässerkunde, vom 26. März 2014.
  53. Gezeitentabelle für Cuxhaven
  54. Gezeitentabelle für Hamburg
  55. BSH-Gezeitentabelle für Hamburg St. Pauli
  56. Gezeitentabelle für Westerland (Sylt)
  57. BSH Gezeitentabelle für Dagebüll
  58. a b c d Danmarks Meteorologiske Institut: Tidal Tables
  59. Tide Forecast: Esbjerg
  60. a b c Vannstand – amtliche norwegische Wasserstandsinformation → englischsprachige Ausgabe