Sitz im Leben
Sitz im Leben ist ein Fachterminus der Formgeschichte und bezeichnet die mutmaßliche ursprüngliche Entstehungssituation bzw. Funktion eines Textes. Diese lassen sich bis heute aus dem Text erschließen. Der Sitz im Leben muss bei der Interpretation des Textes mit berücksichtigt werden, um ein Verständnis des Textes zu erhalten.
Herkunft
Der Terminus geht auf den deutschen protestantischen Theologen Hermann Gunkel zurück, dem Begründer der religionsgeschichtlichen Schule. Heute wird der Terminus auch außerhalb der theologischen Forschung gebraucht, und zwar immer dann, wenn es darum geht, einen Text auf seine soziologisch relevanten Aspekte zu untersuchen. In der Linguistik wird der Sitz im Leben heute durch die Textpragmatik untersucht und bestimmt. Daneben wird in der Prophetenforschung für Texte ein Sitz im Buch gestellt.
Beispiel
Der Sitz im Leben eines Abzählreimes („Ene mene Miste, es rappelt in der Kiste...“) ist, aus einer Gruppe von Kindern eines auszuwählen, das bei einem Spiel den Anfang machen wird.
Literatur
Wagner, Andreas: Gattung und 'Sitz im Leben'. Zur Bedeutung der formgeschichtlichen Arbeit Hermann Gunkels (1862–1932) für das Verstehen der sprachlichen Größe Text. In: Texte – Konstitution, Verarbeitung, Typik. Hrsg. von Susanne Michaelis und Doris Tophinke. (Edition Linguistik 13) München / Newcastle 1996, S.117–129 (+ Lit. S.149–163 passim).