Essener Dora-Prozess
Der Essener Dora-Prozess war ein westdeutscher NS-Prozess gegen drei Beschuldigte zum Tatkomplex Gewalt- und Endphaseverbrechen im KZ Mittelbau-Dora. Dieser Prozess fand von November 1967 bis Mai 1970 vor dem Schwurgericht im Landgericht Essen statt. Offiziell wurde das Verfahren als Landgericht Essen 29 Ks 9/66, Strafsache gegen Bischoff u. a. bezeichnet. Vor Prozessende wurde das Verfahren gegen einen Angeklagten ausgesetzt. Der Prozess endete mit zwei Schuldsprüchen, die Haftstrafen mussten die Verurteilten jedoch nicht antreten. Der Essener Dora-Prozess gehört neben dem Dachauer Dora-Prozess zu den beiden bedeutenden Verfahren zum Tatkomplex Gewaltverbrechen im KZ Mittelbau-Dora.
Vorgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Erste Ermittlungen gegen einen im späteren Essener Dora-Prozess Angeklagten wurden 1959 in Essen nach einem anonymen Hinweis aufgenommen. Die zur Verfolgung von KZ-Verbrechen in Nordrhein-Westfalen tätige Zentralstelle bei der Kölner Staatsanwaltschaft nahm in der Folge Ermittlungen gegen über 30 Verdächtige auf, von denen jedoch nur drei Beschuldigte angeklagt wurden.
Hauptverhandlung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Hauptverhandlung begann am 17. November 1967 vor dem Schwurgericht am Landgericht Essen. Angeklagt waren Helmut Bischoff, der ehemalige KdS des Sperrgebiets Mittelbau, dessen früherer Mitarbeiter Ernst Sander und der leitende Aufseher der Stollenanlage des Kohnsteins beim KZ Mittelbau Erwin Busta.
Der Verfahrensgegenstand beinhaltete die Erhängung und Erschießung von Häftlingen nach gescheiterten Fluchten und wegen Sabotage. Des Weiteren wurde bezüglich der gruppenweisen Massenexekution von 58 Häftlingen vor der Lagerbelegschaft verhandelt, die der Zugehörigkeit zu einer Widerstandsgruppe verdächtig waren. Auch die Erschießung von sieben Kommunisten bei der Auflösung des KZ Mittelbau im April 1945 sowie die tödliche Misshandlung von Häftlingen bei verschärfter Vernehmung oder wegen Verstößen gegen die Lagerordnung war Verfahrensgegenstand.
Insgesamt 300 Zeugen aus der Bundesrepublik, der DDR sowie West- und Osteuropa sagten vor Gericht aus oder wurden kommissarisch vernommen. Delegationen des Gerichts besuchten u. a. die USA und DDR sowie Warschau und Moskau.
Der ostdeutsche Anwalt Friedrich Karl Kaul vertrat als Nebenkläger ehemalige Mittelbau-Häftlinge aus der DDR und aus anderen Ostblock-Staaten. Kaul beantragte mehrfach die Vorladung prominenter westdeutscher Zeugen, um deren Involvierung in die im KZ Mittelbau-Dora begangenen Verbrechen nachzuweisen und Nachkriegskarrieren in Westdeutschland aufzuzeigen. Mit dieser Strategie versuchte er, die DDR als antifaschistischen Staat darzustellen, in dem im Gegensatz zu Westdeutschland KZ-Verbrechen konsequent verfolgt wurden. Insofern war der Prozess auch vom Ost-West-Konflikt geprägt. Kaul wurde dabei von einer Arbeitsgruppe unterstützt, zu der u. a. ostdeutsche Historiker, Beschäftigte der Generalstaatsanwaltschaft der DDR sowie Mitarbeiter des MfS gehörten. So gelang es Kaul, dass der ehemalige NS-Rüstungsminister Albert Speer Ende Oktober 1968 als Zeuge vor Gericht aussagte und der ehemalige V-Waffen-Ingenieur Wernher von Braun im deutschen Generalkonsulat von New Orleans kommissarisch zum Prozessgegenstand vernommen wurde.
Am 26. Mai 1970 wurde das Verfahren gegen Helmut Bischoff mit folgender Begründung eingestellt:
„Die Hauptverhandlung ist inzwischen soweit gediehen, daß mit der Verkündigung des Urteils gerechnet werden kann. Sollte dieses Urteil, was nach den bisherigen Ermittlungen der Hauptverhandlung zumindest nicht unwahrscheinlich ist, dahin lauten, daß der Angeklagte Bischoff als Mörder verurteilt wird, so ist nach dem Ergebnis der Begutachtung durch den Sachverständigen de Boor damit zu rechnen, daß es bei dem Angeklagten Bischoff infolge der Verkündigung des Urteils zu einer exzessiven Blutdrucksteigerung kommt, die seinen Tod – möglicherweise noch im Gerichtssaal – zur Folge hat“.[1]
Bischoff starb unbehelligt 1993.
Am 8. Mai 1970 wurden nach 182 Sitzungstagen die Urteile verkündet.
Angeklagter | Straftat | Urteil |
---|---|---|
Ernst Sander | Beihilfe zum Mord | 7,5 Jahre |
Erwin Busta | Beihilfe zum Mord | 8,5 Jahre |
Die Verurteilten mussten ihre Haftstrafen jedoch aufgrund von Haftverschonung und Strafaufschub nicht antreten. Gegen Ende der 1970er Jahre galten Sander und Busta als haftunfähig.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Georg Wamhof: Geschichtspolitik und NS-Strafverfahren. Der Essener Dora-Prozess (1967–1970) im deutsch-deutschen Systemkonflikt. In: Helmut Kramer, Karsten Uhl, Jens-Christian Wagner (Hrsg.): Zwangsarbeit im Nationalsozialismus und die Rolle der Justiz – Täterschaft, Nachkriegsprozesse und die Auseinandersetzung um Entschädigungsleistungen. Nordhausen 2007, S. 186–208. (online PDF-Datei; 1,62 MB)
- Georg Wamhof: "Aussagen sind gut, aber Auftreten als Zeuge nicht möglich." Die Rechtshilfe der DDR im Mittelbau-Dora-Verfahren (1962–1970), in: Schuldig. NS-Verbrechen vor deutschen Gerichten, hg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland; Bd. 9). Ed. Temmen, Bremen 2005, S. 29–43, ISBN 3-86108-081-8.
- Georg Wamhof: Prozeßgebundene Kampagnenpolitik. Die "DDR-Nebenklage" im Essener KZ Dora-Prozeß (1967–1970). In: Sabine Moller; Miriam Rürup; Christel Trouvé (Hrsg.): Abgeschlossene Kapitel? Zur Geschichte der Konzentrationslager und der NS-Prozesse (Studien zum Nationalsozialismus in der edition diskord; Bd. 5). Ed. diskord, Tübingen 2002, S. 173–186, ISBN 978-3892957263.
- Andrè Sellier: Zwangsarbeit im Raketentunnel – Geschichte des Lagers Dora, zu Klampen, Lüneburg 2000, ISBN 3-924245-95-9.
- Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943–1945 Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Wallstein, Göttingen, 2007, ISBN 978-3-8353-0118-4.
- Hitlers Rüstungsminister Albert Speer als Zeuge vor dem Schwurgericht beim Landgericht Essen im Prozeß gegen die ehemaligen SS-Angehörigen Bischoff, Sander und Busta wegen im KZ Mittelbau-Dora begangener Massenmorde, Dokumentation uns Stenographisches Protokoll der Vernehmung am 30. Oktober 1968, Zusammengestellt von Professor Dr. Friedrich Karl Kaul, Veröffentlichung der Abt. VII / Zeitgenössische Rechtsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer Taschenbuch 2005, S. 51, Quelle: 24 Js 549/61 (Z) OStA Köln.