Update: Nach nochmaliger Betrachtung einiger Textstellen und Diskussion ergibt sich ein verändertes bzw. erweitertes Bild. Mir ist tatsächlich der AspekUpdate: Nach nochmaliger Betrachtung einiger Textstellen und Diskussion ergibt sich ein verändertes bzw. erweitertes Bild. Mir ist tatsächlich der Aspekt der Modernisierung, des Fortschritts als Gegenpol zu konservativen Gesellschaftsnormen, die mit einem Sicherheitsbedürfnis verknüpft sind durchgegangen. Ich lese das Buch nicht mehr eindeutig als Befreiungsakt und der Selbstliebe. Ehr als Kriegsschauplatz konkurrierender Weltanschauungen, in der die Moderne als unverbindlicher und vulgärer Raum geformt wird. Das Ende steht nun auch in einem anderen Licht. Ich werte das Buch einen Stern ab, da mir die verwendete Symbolik doch zu lose in der Geschichte platziert ist und man schon viel in Eigenarbeit hineinlesen muss, um ein stimmiges Bild zu erhalten.
Hier meine unveränderte 4 Sterne Erstbesprechung:
Marquez beschreibt verdichtet, mehrere Jahre umfassend, den Prozess der Selbstwerdung und Autonomie einer Frau, der gehoben Gesellschaft.
Er veranschaulicht durch eheliche Szenen und Reflexion Ana Magadalenas die Inkommunikabilität. Wie diese die Frau in einem konservativen Gesellschaftssystem, das sich nach Außen aufgeklärt, frei, geistreich und selbstbestimmt zeigt, als Ich verschwinden lässt.
Ana Magdalenas Ehe scheint auf den ersten Blick gut und harmonisch zu funktionieren. Bis sie beginnt, sich über ihren Wert Gedanken zu machen. 20 Dollar für ein Leben. Folgende Zitate streifen den gedanklichen Entwicklungsprozess:
„eine Erinnerung, die sie verbitterte, hatte ihr die Augen für die Wirklichkeit ihrer Ehe geöffnet, bis dahin von einem konventionellen Glück gestützt, das strittigen Fragen auswich, um nicht ins Stolpern zu geraten, etwa so, wie man den Schmutz unter den Teppich kehrt. Nie waren sie glücklicher als damals gewesen. Sie verstanden sich ohne Worte, lachten sich kaputt über ihre eigenen Späße und liebten sich leichtsinnig wie Teenager.“
„Ana Magdalena hatte sich ihm angepasst, war wie er geworden, und er kannte sie so gründlich, dass sie am Ende ein einziger Mensch waren.“
„schlief weinend vor Wut über sich selbst und das Unglück, eine Frau in einer Welt von Männern zu sein, wieder ein.“
Das sexuelle Begehren und die Leidenschaft sind eine wunderbare Ambivalenz die Marquez nutzt um den Mangel und das Streben nach Sicherheit zu transportieren. Häufiger, regelmäßiger Sex mit ihrem Mann dient der oberflächlichen Stabilität. Eine Leichtigkeit, die mit geistreichen Neckereien verwoben wird. Der Sex umgeht die Inkommunikabilität und verzögert die mögliche Konfrontation mit der Schwere (Themen die umgangen werden). Gleichzeit stellt Magdalenes Begehren und der Sex mit den Männern auf der Insel einen Akt der Befreiung dar. Anstoß zur Reflexion und damit eine Verhaltensveränderung ihrem Mann gegenüber. Sie schält sich aus der Eins mit ihrem Mann heraus. Es folgt Entfremdung und Sexualität in der Ehe kehrt sich in seine Negation.
Zudem nutzt Marquez Literarische Werke und neue Interpretationen von Klassischen Stücken um die tiefsitzenden gesellschaftlichen Normen und Geschlechterrollen zu kontrastieren. Ich kann nach Außen noch so aufgeklärte Literatur lesen, mich weltgewandt und offen präsentieren. Das, was wir leben, wie wir handeln, uns verhalten, zeigt wer wir sind. Der mutige Akt des Innenblicks, der Selbstreflexion und die Tat, die darauf folgt ebnet den Weg für Veränderung. Mit der Tat endet das Buch.
Dass er sich einige Stellen über ruhende, kleinmütige Tiere hätte klemmen können - geschenkt!...more
Ein Maler der in einem seiner Werke eine Fensterszene unterbringt, die absolute Einsamkeit ausstrahlt. Nur eine einzige Person, Maria, nimmt diese wahEin Maler der in einem seiner Werke eine Fensterszene unterbringt, die absolute Einsamkeit ausstrahlt. Nur eine einzige Person, Maria, nimmt diese wahr und scheint davon fasziniert und bewegt zu sein. Er verfällt der Obsession diese Frau nun zu verfolgen und herauszufinden was sie in dieser Szene sieht - Ende tödlich.
Sabato spielt hier mit der Isolation eines Subjektes, das in der imaginären Welt gefangen ist, dem Sprache, symbolische Ordnung fehlt, sich selbst im Kontext zur Realität zu sehen und zu setzen. Er wird von dem Realen, Unsagbaren, seinen Ängsten, Unsicherheiten, Unzulänglichkeiten überwältigt. In Sehnsucht nach Verbindung, sieht er in ein Maria einen Spiegel seiner selbst, gegen den er beginnt in Feindseligkeit erbittert anzukämpfen. Wer liebt will hassen.
Typische Buzzwords des Existentialismus folgen: Nutzlose Komödie des Lebens, Idee der Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit...
Die Melancholie begleitet die Person Marias. Eine ergebene Traurigkeit etwas verloren zu haben, von dem man nicht weiß was es ist. Die Melancholie Castels, der sein Objekt Maria bekommt und feststellt, dass sie ihm die Antworten nicht geben kann, die er sucht.
Leider ist das sprachlich und stilistisch unschön umgesetzt. Er lässt Castel in einer distanzierten, Retrospektive erzählen. Vieles wirkt plakativ und konstruiert. Der fehlenden symbolischen Ordnung, dem wirren fließen der Bedeutungen, dem Festhängen im Imaginären, wird kein probates Stilmittel entgegengesetzt. Eine sehr gute Vergleichslektüre ist Der andere Name: Heptalogie I-II, in der wir eine ähnliche psychologische Situation vorfinden. Fosse nutzt den Gedankenstrom, die kreisenden Wiederholungen und eine reduzierte Sprache, die kaum Eigenschaftszuschreibungen des Subjektes setzen. Nichts davon bei Sabato zu sehen. Ein entgegengesetztes Beispiel ist American Psycho, in dem wir ebenfalls die Isolation des Subjektes vorfinden. BEE arbeitet mit dem Wahnsinn an sich und lässt das Subjekt in den endlosen popkulturellen Referenzen zerfließen. Er arbeitet hart mit Übertreibungen. Es gibt zwar die ein oder andere Szene in der Tunnel, die so grotesk/absurd ist, dass sie einen komisch/lustigen Drive bekommt. Dies wirkt aber ungewollt, hilflos komisch.
Das Buch ist durchaus universell lesbar. Nicht nur ein Kind seiner Zeit. Ist aber ehr eine lustlose Angelegenheit, der ich nur auf rein unterkühlter, kognitiver Enträtselungsebene etwas abgewinnen kann....more
Update 2024-09-20 Marquez und die Annihilation Meine Lektüre von Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie ermöglicht mir gerade, meine Eindrücke des Buches zu präzisieren. Marquez strebt die völlige Auslöschung und Zerstörung von Sinn, Identität und Ordnung an. Und zwar auf allen Ebenen. Das Nichts, im philosophischen, physischen, spirituellen und literarischen Sinne. Folgendes Zitat von Luhmann löste meinen Gedanken aus: Für diesen Prozeß der laufenden Selbstbestimmung von Sinn formiert sich die Differenz von Sinn und Welt als Differenz von Ordnung und Störung, von Information und Rauschen. Beides ist, beides bleibt erforderlich. Die Einheit der Differenz ist und bleibt Grundlage der Operation. Da kann nicht genug betont werden. Eine Präferenz für Sinn gegen Welt, für Ordnung gegen Störung, für Information gegen Rauschen. Der Sinnprozess lebt von Störungen, nährt sich durch Unordnung, lässt sich durch Rauschen tragen und erfordert für alle technisch präzisierten, schematisierten Operationen ein ausgeschlossenes Drittes.
Weiterhin ist für Luhmann sie Selbstreferenz, das sich selbst Beobachten, eines Systems unabdingbar. Sinnsysteme sind in ständiger Selbstanpassung und Neuformierung. Ist ein System seiner Selbstreflexivität beraubt, wie in 100 Jahre Einsamkeit, verliert es seine Funktionstüchtigkeit. Dadurch, dass Marquez, seinen Figuren keine Selbstreflexivität gestattet, erkennt das System überhaupt keine Möglichkeitshorizonte mehr, da keine Anpassung mehr mit der Differenz von Ordnung und Störung stattfindet. Es kann Unterscheidungen wie Sinn von Unsinn nicht produktiv machen. Dh. es findet ein Kommunikationsabbruch mit der Umwelt statt. Die Anschlussfähigkeit fehlt. Ich kann mich nicht mehr auf sinnvolle Weise auf meine Umwelt beziehen. Wir erleben in dem Buch eine strukturelle und kognitive Isolation. Aus der Perspektive, könnte man sagen: tolles Experiment vom Marquez. ABER Ich komme in meiner Ursprungsrezi auf Bateman von BEE zu sprechen. Das passt dann wieder ganz gut in der Argumentation warum das Buch "American Psycho" ein gutes Buch ist und gewinnbringend mit Fatalismus bzw. Nihilismus spielt. Marquez zieht die Zerstörung des Sinns auch in den literarischen Bereich hinein, in seine Sprache und den Stil. Welchen Raum bietet es denn für Reflexionsmöglichkeiten der Selbstbestimmung? Tja, ich habe nur die Flucht in den Himmel, als magischen Realismus gefunden. Ich gehe mal davon aus, dass hier niemand das rumgebumse im Schlamm dazu zählt. Ich benötige eine literarische Vermittlung unter Einbezug der Differenz. Wenn da aber keine kohärenten Bezüge vorhanden sind, die ganze Ordnung zerfällt und mir keine neuen Strukturen an die Hand gegeben werden, wird die Luft dünn. Ich bleibe als Leser ebenfalls in der Reflexionslosigkeit gefangen. Hab ja nix womit ich Differenzen aufheben könnte. Keine Vermittlung, reine Negation. Wir stecken fest. 100 Jahre Einsamkeit verliert seine Funktion als Medium der Selbstbeobachtung. Das Buch, wie der Zerfall Macondos, reduziert sich auf ein isoliertes Ereignis ohne größeren Sinnzusammenhang. Kraftlos und selbst nur noch Rauschen.
unveränderte Ursprungsrezi Das war mein 3. Marquez und auch hier, wie in den beiden anderen Büchern zuvor, reflektiert er das Ringen der lateinamerikanischen Gesellschaft um traditionelle Werte, Konventionen und dem Wunsch nach Freiheit und Veränderung bzw. der feindlichen Übermacht der Moderne.
Ich stoße mich an den Mitteln und der Art und Weise, wie er seine Figuren setzt, agieren lässt bzw. sie determiniert. Wir finden hier einen historischen kollektiv Fatalismus vor. Dh. Das Individuum, das Ich, als reflexives Bewusstsein wird dem Kollektiv untergeordnet. Er verschleiert durch die Wiederholungszwänge und deterministische Struktur, des in sich geschlossenen Ortes Macondo, die dynamischen und prozesshaften Aspekte des Seins. Die Figuren sind nicht mehr als Archetypen und stehen übergeordnet für die kollektive kulturelle Geschichte.
Das mag nun Geschmackssache sein. Ein Buch, das auf Fatalismus ausgelegt ist muss meines Erachtens extrem konsequent umgesetzt werden und Details enthalten, die einen gewissen Spannungs-Erregungsfaktor aufrechterhalten. Marquez setzt auf die Erregung des Genitalbereiches. „Hundert 100 Geilheit“ wäre ebenso passend gewesen. „Die Liebe geht duchs Bett“ heißt an einer Stelle des Buches. Triebhaft rammelnd suhlt die Menschheit sich im Schlamm, freudig wartend auf das Ende - werdet alt und man soll euch vergessen, sprach der Gott, der in diesem Buch abtauchte. Sauber! Will ich nicht lesen. Die Gottperspektive (huch da ist er ja doch) des Erzählers ermöglicht natürlich den umspannenden Blick über die Jahrzehnte, distanziert sich jedoch schon fast in einer schadenfrohen Beobachterrolle. Der individuelle Kampf gegen das Schicksal geht in den größeren, übergeordneten Rahmen über. Das macht die Plotebene für mich dann nicht sonderlich spannend. Fatalismus aus der Ichperspektive, einer reflexiven Person, in deren wahnhafte Psyche wir eintauchen können und mit der hoffnungslos gegen den Fatalismus, mit allen Mitteln gekämpft wird, ist dann ehr mein Ding. Hallo Bateman! Daraus schließe ich: ich mag das Allgemeine von Marquez nicht. Ich will es direkt und psychologisch serviert bekommen.
Es gibt einige Szenen, die ich sehr gelungen finde. Die Schlaflosigkeit. Das Vergessen von Begriffen und Bedeutungen und der Frage, was ist wichtig? Was muss man erinnern? Und damit Verbunden Mystifikationen und Tröstungspraktiken.
An diesem Buch nervt mich wie auch bei Kafka, Ergebenheit und Hilflosigkeit. Marquez spiegelt dies an der triebhaftigkeit der Männer, die völlig verzweifelt sind und sich umbringen müssen, wenn das schöne Weibchen den Schoß versagt. Und überhaupt ihren Penis nicht im Griff haben bzw. ihn am liebsten von morgens bis abends im Griff der Dame hätten. Soll aber ganz viel um die LIEBE gehen. Echt jetzt Herr Reich-Ranicki?! Wobei, wär nen geiler Abgang des Buches gewesen. Alles vernichtet und Gott taucht mit nem Blumenkörbchen auf und hüpft mit der schönen Remedios im Arm Blümchen streuend über das Totenfeld. Diese elende schicksalhafte Fremdbestimmung. Ja doch! Größerer Rahmen, Lateinamerika als fremdbestimmt zwischen den Mächten. Aber diese Kapitulation vor dem „grausamen Belagerungszustandes des Wartens und der Niederlage des Alters“… Schnarch! Die Sinnlosigkeit weitet Marquez im Gegensatz zu Kafka noch auf politische Ambitionen aus- die Unfähig echte Veränderungen herbei zuführen. Aureliano später dann den Rückzug aus der politischen Revolution zu den Goldfischen antreten zu lassen, ist eine nette subversive Methode gegen das verschissene vergängliche Leben anzugehen. Aber auch wieder nicht, weil wird ja am Ende eh alles im Gulli entsorgt.
Der magische Realismus. Ja den mag ich sehr in diesem Buch. Ich mag auch die Sprache. Nur dienen beide Elemente dem Fatalismus. Da hab ich schon das Magische, das Ketten der symbolischen Ordnung sprengt und mir Spielräume jenseits aller Naturwissenschaften und Rationalität liefert und? Die schöne Remedios, die die Welt klar sieht, die Vernunft! Die ein Störfaktor in diesem triebhaften Sumpf darstellt, wird mit dem Bettlaken flatternd, schwebend in die Lüfte entsorgt oder gerettet, wie man es sehen mag. Da der Fokus aber nicht bei ihr verweilt, sondern wir weiter in der zyklischen Orgie und karnevalesken Maskenparade vor uns hin siechen, hat das magische Element so irgendwie nix gewonnen. Ach so! Gewinnen ist ja auch nicht. Vernichtung und Vergessen. Joa, hat mich dann zu wenig berauscht, beglückt. Ehr mit einer lähmenden Fassungslosigkeit belegt....more
Bis über die Hälfte konnte ich mit dem Buch wenig anfangen. Ganz seltsame Stimmung, Gedankenströme, unterkühlte, nüchterne Betrachtungsweise, teils enBis über die Hälfte konnte ich mit dem Buch wenig anfangen. Ganz seltsame Stimmung, Gedankenströme, unterkühlte, nüchterne Betrachtungsweise, teils entrückt, dann wieder Soap Opera artige Ergüsse. Das meiste bleibt vage, wird nur angedeutet, in kurzen Betrachtungen Lebensereignisse eingebracht, die keine Nähe zu Personen ermöglichen. Das letzte Drittel hat mich einfangen können. Für mich ein Buch, in dem eine Frau aus dem Totenreich zu uns spricht. In einer Parallelwelt gefangen- wie betäubt und orientierungslos. Das Totengebet zum Schluss der Knaller. Ein Begräbnisritual und der Weg in die Freiheit. Pathos, Energie und völlig überladen - genau was dem Buch die ganze Zeit fehlte entlädt sich wie ein Vulkan. Definitiv ein Buch das die Zweitlektüre erzwingt....more
Wieder diese Familienkonflikte oder komplizierten Beziehungen in der Familie, dann noch ne fiese Krankheit, Katholizismus. Lauter Themen die ganz weitWieder diese Familienkonflikte oder komplizierten Beziehungen in der Familie, dann noch ne fiese Krankheit, Katholizismus. Lauter Themen die ganz weit hinten stehen, wenn es um Lieblingslektüre geht. Hätte das Buch nicht auf der Liste des international Booker 2022 gestanden, wäre ich niemals in Versuchung geraten dieses Buch zu lesen.
Leute, das ist ganz großes Kino! Zu glauben, dass man „Bescheid weiß“ ist der rote Faden der sich durchs Buch zieht und auf allen Ebenen der gedanklichen und sprachlichen Kunst hier bespielt wird. Wie sie in feinsten Nuancen die Situationen im Zug, am Gleis, im Taxi, beim Friseur beschreibt- was es bedeutet an einer schweren Form der Parkinson Krankheit zu leiden und wir komplett entschleunigt werden, da sich der Roman und wir an Elenas Tempo anpassen müssen. Da Elena so eine trockene, dezent sarkastische Ader hat, musste ich obwohl dieser schweren Thematik des öfteren lachen. Und so wünsch ich mir das! Trotz aller Tragik nicht in der Ernsthaftigkeit zu ersaufen. ...more