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Frau Berta Garlan
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Edgar's review
bookshelves: all-fiction, all-fiction_classics, auth-austrian, genre-historical_fiction, setting-austria, topic-family, topic-love, topic-deadly_disease
Sep 23, 2023
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Roman von Arthur Schnitzler (1862-1931), veröffentlicht 1901, der um das Jahr 1898 spielt.
Es handelt sich um die Geschichte einer Affäre. Berta ist junge Witwe (wieder einmal) und trifft ihre Jugendliebe wieder. Da sie niemandem verpflichtet ist - außer dem Leben, der Gesellschaft, ihrem kleinen Sohn und sich selbst (manche werden wohl Gott und den Kaiser hinzufügen) - lässt sie sich auf eine vorübergehende Beziehung mit Emil, einem Violinen-Virtuosen, ein. Dies scheint ein autobiografischer Aspekt Schnitzler zu sein, der als geschiedener, alleinerziehender Vater Ähnliches erlebt haben soll. In der Nebenhandlung wird das Leben und der schnelle Tod der schönen Anna Rupius, einer Freundin von Berta, erzählt, die mit einem gelähmten Mann verheiratet ist.
Wieder einmal junge Witwe, wie immer der Tod, auch das schwierige Leben unabhängiger Frauen und die sexuelle Selbstbestimmung der Frau auch der mehr oder minder einfachen Leute. Das sind häufig wiederkehrende Themen bei Schnitzler, dem "Dichter-Arzt" aus Wien. Klaus Mann schrieb 1936 in sein Tagebuch nach der Lektüre dieses Romans: "Wie immer gibt es beim Dichter-Arzt nur Tod und Geschlecht."
Schnitzler hat Zeit seines Schaffens immer wider "Skandalthemen" aufgegriffen, anhand derer wir schön sehen können, wie weit wir uns vom 19. und frühen 20. Jahrhundert entfernt haben. Mit "Leutnant Gustl" behandelt er das Ehrengehabe des kakanischen Offizierswesen mit Duellen und Selbstmord. Ihm wird die Lächerlichmachung desselben vorgeworfen und so wird ihm der Offiziersrang (als Militärarzt) aberkannt. Mit "Reigen" spießt er die Doppelmoral der Gesellschaft auf hinsichtlich sexueller Begierden und Machtausübung aufgrund sozialen Standes zwischen Mann und Frau und verliert prompt seine Aufführungsgenehmigung an Theatern. Mehrere seiner Werke lösen Diskussionen wegen der Rolle der Frau aus. Ich würde sie daher als Werke des echten, des originären Feminismus ansehen, der ja wie so vieles Bedeutendes in unseren Händen längst degeneriert ist und in die Clownswelt eingegangen.
Schnitzler stammte aus einer jüdischen Familie, der Themenkomplex Judentum-Antisemitismus-Zionismus wird aber (in den von mir gelesenen Werken jedenfalls und das sind vermutlich die 17 wichtigsten) nur in einem einzigen Werk berührt, nämlich im Roman aus dem Jahre 1908 "Der Weg ins Freie". Schnitzler verstarb 1931, er bekam natürlich die feindlicher werdende Atmosphäre für Juden seit Mitte des 19. Jahrhunderts und die Eskalation nach dem ersten Weltkrieg mit, nicht aber den Anschluss, den zweiten Weltkrieg und die industrielle Vernichtung der Juden. Die "Gnade der frühen Geburt" kann man es in Abwandlung des Wortes von Helmut Kohl nennen.
Schnitzler war mir als Autor namentlich zwar bekannt, vor diesem Jahr habe ich aber keines seiner Werke gelesen oder im Theater gesehen. Somit ist er eine echte Entdeckung für mich. Als Autor zahlreicher Novellen konzentrierte er sich auf die Kurzform und legte lediglich drei Romane vor, von denen Berta Garlan der erste ist. Die Romane sind aber auch nur unbedeutend länger als die längeren Novellen von ihm. Am besten haben mir "Spiel im Morgengrauen" und "Frau Beate und ihr Sohn" gefallen, am wenigsten "Casanovas Heimfahrt" und der "Reigen" (Theaterstück). Die bekanntesten Stücke sind vermutlich "Leutnant Gustl", "Traumnovelle" und "Fräulein Else".
Österreich ist ja wahrlich nicht arm an guten Schriftstellern gewesen, oftmals freilich solche mit jüdischem Hintergrund. Ich kann Schnitzler wärmstens empfehlen für Leser klassischer Literatur, die etwas hinter die Sissi-Fassade der KuK-Monarchie bzw. Alpenrepublik sehen wollen.
Es handelt sich um die Geschichte einer Affäre. Berta ist junge Witwe (wieder einmal) und trifft ihre Jugendliebe wieder. Da sie niemandem verpflichtet ist - außer dem Leben, der Gesellschaft, ihrem kleinen Sohn und sich selbst (manche werden wohl Gott und den Kaiser hinzufügen) - lässt sie sich auf eine vorübergehende Beziehung mit Emil, einem Violinen-Virtuosen, ein. Dies scheint ein autobiografischer Aspekt Schnitzler zu sein, der als geschiedener, alleinerziehender Vater Ähnliches erlebt haben soll. In der Nebenhandlung wird das Leben und der schnelle Tod der schönen Anna Rupius, einer Freundin von Berta, erzählt, die mit einem gelähmten Mann verheiratet ist.
Wieder einmal junge Witwe, wie immer der Tod, auch das schwierige Leben unabhängiger Frauen und die sexuelle Selbstbestimmung der Frau auch der mehr oder minder einfachen Leute. Das sind häufig wiederkehrende Themen bei Schnitzler, dem "Dichter-Arzt" aus Wien. Klaus Mann schrieb 1936 in sein Tagebuch nach der Lektüre dieses Romans: "Wie immer gibt es beim Dichter-Arzt nur Tod und Geschlecht."
Schnitzler hat Zeit seines Schaffens immer wider "Skandalthemen" aufgegriffen, anhand derer wir schön sehen können, wie weit wir uns vom 19. und frühen 20. Jahrhundert entfernt haben. Mit "Leutnant Gustl" behandelt er das Ehrengehabe des kakanischen Offizierswesen mit Duellen und Selbstmord. Ihm wird die Lächerlichmachung desselben vorgeworfen und so wird ihm der Offiziersrang (als Militärarzt) aberkannt. Mit "Reigen" spießt er die Doppelmoral der Gesellschaft auf hinsichtlich sexueller Begierden und Machtausübung aufgrund sozialen Standes zwischen Mann und Frau und verliert prompt seine Aufführungsgenehmigung an Theatern. Mehrere seiner Werke lösen Diskussionen wegen der Rolle der Frau aus. Ich würde sie daher als Werke des echten, des originären Feminismus ansehen, der ja wie so vieles Bedeutendes in unseren Händen längst degeneriert ist und in die Clownswelt eingegangen.
Schnitzler stammte aus einer jüdischen Familie, der Themenkomplex Judentum-Antisemitismus-Zionismus wird aber (in den von mir gelesenen Werken jedenfalls und das sind vermutlich die 17 wichtigsten) nur in einem einzigen Werk berührt, nämlich im Roman aus dem Jahre 1908 "Der Weg ins Freie". Schnitzler verstarb 1931, er bekam natürlich die feindlicher werdende Atmosphäre für Juden seit Mitte des 19. Jahrhunderts und die Eskalation nach dem ersten Weltkrieg mit, nicht aber den Anschluss, den zweiten Weltkrieg und die industrielle Vernichtung der Juden. Die "Gnade der frühen Geburt" kann man es in Abwandlung des Wortes von Helmut Kohl nennen.
Schnitzler war mir als Autor namentlich zwar bekannt, vor diesem Jahr habe ich aber keines seiner Werke gelesen oder im Theater gesehen. Somit ist er eine echte Entdeckung für mich. Als Autor zahlreicher Novellen konzentrierte er sich auf die Kurzform und legte lediglich drei Romane vor, von denen Berta Garlan der erste ist. Die Romane sind aber auch nur unbedeutend länger als die längeren Novellen von ihm. Am besten haben mir "Spiel im Morgengrauen" und "Frau Beate und ihr Sohn" gefallen, am wenigsten "Casanovas Heimfahrt" und der "Reigen" (Theaterstück). Die bekanntesten Stücke sind vermutlich "Leutnant Gustl", "Traumnovelle" und "Fräulein Else".
Österreich ist ja wahrlich nicht arm an guten Schriftstellern gewesen, oftmals freilich solche mit jüdischem Hintergrund. Ich kann Schnitzler wärmstens empfehlen für Leser klassischer Literatur, die etwas hinter die Sissi-Fassade der KuK-Monarchie bzw. Alpenrepublik sehen wollen.
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September 21, 2023
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September 21, 2023
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