Der leise Versuch sich der Welt zu stellen. Struktur ohne Ziel. Etwas wird gehalten, ohne es zu verstehen. Licht. Lampen. Nebel. Schweben. Gehen. TanzenDer leise Versuch sich der Welt zu stellen. Struktur ohne Ziel. Etwas wird gehalten, ohne es zu verstehen. Licht. Lampen. Nebel. Schweben. Gehen. Tanzen – Ordnen.
In geisterhaften poetischen Schleifen zieht Modiano durch Momente einer Selbstvergewisserung. Spuren des Lebens, flüchtiger Subjekte, die als Erinnerungsrest die Gegenwart strukturieren und auf eine Zukunft weisen. Der Text kommt ohne Psychologie, ohne reflexiven Riss und ohne Melancholie aus. Jegliche Schwere einer Traumaarbeit und Identitätssuche wird genommen - denn nicht das Unbekannte, Unsagbare, sondern das Flackern des Erinnerten an Halt steht im Mittelpunkt. Vielleicht so etwas wie die Behauptung eines Koordinatensystems.
Modiano vertraut auf die Geste. Bedeutungen werden umlagert - ohne Festlegung. Seine Tänzerin ist eine Figur des Übergangs, die als tastende Bewegung in Bildern gedacht wird und den symbolischen Raum zur Gegenbewegung der Auflösung aufstößt. Der Akt gegen das Verschwinden, nicht zu zerfallen, liegt bei Modiano im Vertrauen. Trotz unangehmer Gestalten, vertraut die alleinerziehende Tänzerin einem Fremden ihren Sohn an. Ist es aus der Not heraus? Wir erfahren es nicht. Man kennt wen, der empfiehlt wen… Es ist das Ungewisse, das die Figuren aushalten. Schweigen als Form der Nähe. Nicht wissen zu müssen, nicht alles drehen und wenden zu müssen, nicht alles begründen zu müssen. Sie gehen ein Stück des Lebens nebeneinander und reichen imaginär die offene Hand.
Anfangs fiel es mir schwer, ihr zu folgen, dann aber gewöhnte ich mich an ihren Rhythmus. Und allmählich verschwand das Gefühl von Leere und Stillstand, das mich tagsüber zuweilen befiel. Es war, als würde sie mich mitziehen und mir helfen, wieder an die Oberfläche zu steigen. [...] Allein hätte ich mich verlaufen. Doch ich vertraute ihr. Sie führte mich.
Das Buch lebt von minimalistischen Gesten der Fürsorge und leichten Lichtreflexionen, die die wiederholende Motivik stetig in einer veränderten Erfahrungstiefe darstellt, ohne den Sinn zu verändern. Es kommt nicht darauf an, wer jemand ist. Es kommt darauf an, dass jemand da ist. Geh nicht weg! Ich benötige keine Erlösung oder Erkenntnis. Das Flackern, die Präsenz des Noch-Nicht reicht. Ich weiß nicht wohin mich diese Ordnung führt. Die Bewegung hält warm. Losgehen, weitergehen, tanzen, schreiben, schweigen – ordnen.
*Shortlist deutscher Buchpreis 2024* UPDATE 08.10.2024 Rezension des 2. Durchgangs
Vor der Landung im Unbekannten, dem selbstbewussten Schmettern „I did*Shortlist deutscher Buchpreis 2024* UPDATE 08.10.2024 Rezension des 2. Durchgangs
Vor der Landung im Unbekannten, dem selbstbewussten Schmettern „I did it my way“, kommt der Fall. Der Sturz aus Rollen und der eigenen Positionierung, dem was war. Der Sturz vom Kippen der Welt, dem eigenen Verlust, in die Hoffnungslosigkeit. Der Sturz in die „Falschbuchstabiertheit“ und „Ausversehentlichkeit“ – eine kelchförmige weiße Feder schwebt vorbei.
„I have got to leave to find my way Watch the road and memorize This life that pass before my eyes And nothing is going my way“ [R.E.M „find the river“]
Maren reflektiert Veränderungen ihres Lebens. Das Leben als Autorin, ihre Beziehungen. Was macht das mit ihr?
„Things I once enjoyed Just keep me employed now Things I'm longing for, mmh Someday, I′ll be bored of It's so weird That we care so much until we don′t“ [Billie Eilish „getting older“]
Hasenprosa: „Sind die krassen Zeiten vorbei? Ich glaube ja. Tut das weh? Ein wenig.“
Die Frage um die es geht, wie stürzt man sanft? Wie stürzt man ohne seine Authentizität zu verlieren?
„Can't shake the feeling that I′m just bad at healing And maybe that's the reason every sentence sounds rehearsed“ [Billie Eilish „getting older“]
Maren reflektiert den Sturz (fall in love) in die Liebe – verrückt genug, nicht genug für die verrückte Welt „fast wäre etwas von uns geblieben“ [Buntspecht „unter den masken“] Matthes ein Leuchtturmmensch. Fragil die Beziehungen zuvor. Verlust von Freundinnen. Wer führt einen?
„It's time we all reach out for something new That means you too You say you want a leader But you can′t seem to make up your mind“ [Prince „purple rain“] Antwort: „There's no one left to take the lead But I tell you and you can see“ [R.E.M „find the river“]
Wie lange kann ich mich im „Dazwischen“ aufhalten, von lila Regen begleitet – Traurig und Aufgehoben zugleich? Was wenn die Welt nicht auf dich vorbereitet ist? Dein vermeintliches Wissen, dein einziger Schutz ist. Schutzbehauptungen. Woher kommt der Mut für den Sprung?
„Strength and courage overrides the privileged and weary eyes of river poet search naïveté.“ [R.E.M „find the river“]
Ach ja, fliegen lernen. Hat schon Mr. Sebald gewusst. Mit Maren und Hase im Strichflieger unterwegs. Ordnung und Wissen über Bord. Diese Stille im Weltall! Weit weg vom ewigen Möbel rücken, der Unruhe. Die Einsamkeit des Glenn Gould und einer Agnes Martin genießen – bis alles wesentliche verschwindet. Weiter durch Schleifengebilde – unendliche Selbstbezüglichkeit – Paradoxien. Einmal in Gang gesetzt in ewiger Bewegung. Und die dunkle Oma bewegt sich durch Erinnerungen, in ihrem „inneren Abtrenntsein“, ihrer Bitterkeit, die Marens eigene manchmal aufhebt und dennoch für sich bleibt, in ihrem Stolz und Trotz.
„There is nothing left to throw Of ginger, lemon, indigo Coriander stem and rose of hay [R.E.M „find the river“]
Es gibt im Laufe der Zeit immer weniger zu verlieren/wegzuwerfen, alles vergeht, braucht sich auf. Noch ist etwas Zimt in Omas Dose. Dennoch, Oma bleibt opak, das „fast ozeanschwarze Fossil“. Maren und Oma, verwoben, verflochten und jeder für sich. Die Verantwortung trägt jeder für sich selbst. Lasse ich mir meine Zukunft von familiärer Biografie diktieren, meiner versteinerten Interpretation der Vergangenheit, dem Sitzen am Platz der Verhärtungen? Die Zeit ist irreversibel, der Fluss mündet im Ozean, dem Ort des Loslassens. Altes wird weggespült, Neues angeschwemmt. Eine Welle der Bitternis und des Stolzes, eine Welle der Unsicherheiten und Scham, eine Welle „coriander stem and rose of hay“, eine Welle für Opa Erichs kalte Maßstäbe, eine Welle für den Bruder im Baum, eine Welle für die „stark verzweigte Oma mit ihrer ganzen mühelosen Liebe“. Was davon nimmt Maren mit in die Gegenwart und Zukunft? Immer einen Moment zu spät. Die Unmöglichkeit der eigenen Vollständigkeit. Und trotzdem - unmaskiert, ungepanzert, offen, verletzlich, emotional, versöhnend.
•••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• Ich bin selber fassungslos wie stark ich meine eigene Realität der Lektüre konstruiere. Erstfassung der Rezension zeigt eine Verweigerung der Kommunikation auf meiner Seite. Ich erkenne das Motiv nicht. Die Horizonte sind da! Sie befinden sich auf der erzählerischen Zeitebene und in den Songtexten. Und nein, es ist viel weniger ein poststrukturalistischer Text als ich behaupte. Er spielt auf der Showbühne des Surrealismus. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Rezension vom 15.09.2024 - 2 Sterne Wertung
Ein avantgardistischer Text der mit dem Poststrukturalismus spielt, dekonstruiert, Horizonte auflöst, anarchisches Chaos produziert und sich darin als Kunstsystem selbst beobachtet – ein Netzwerk von Zeichen und Codes – die Sprache wird selbst zum zentralen Gegenstand der Reflexion.
Er legt diese Spur selber, da er im Mittelteil auf Roland Barthes verweist und kurz darüber reflektiert. Zudem streut er häufige Erwähnungen und Zitationen von Friederike Mayröcker ein.
Zudem konzentriert sich das Buch auf die Zersetzung von Macht- und Wissensstrukturen, indem es mit dokumentarischem Wissen aus Naturwissenschaften spielt und popkulturelle Referenzen aus Sport, Musik, Literatur in ihrer mythologisch aufgeladenen Bedeutungstruktur spiegelt und auseinderreißt.
Es bespielt die Flüchtigkeit - versucht ein in sich bewegliches Gefüge zu schaffen, indem es die Zeit durchbricht, sie sich überlagern lässt. Darin wird die Frage nach dem Erinnern und Verbindung zur eigenen Historie – den Großeltern – gestellt. Der Text ist ein Schwebezustand, den man meines Erachtens am griffigsten mit folgendem Zitat verdeutlichen kann:
Die Zeiten des Fliegens und die Zeiten des Stürzens, Zeiten des Wachsens und Zeiten des Schrumpfens, die Zeiten der Aufruhr und die Zeiten der Ruhe. Alle unüberschaubar vielfältigen Ausprägungen beckenartig ausgedehnter, brocken-und keilförmiger oder schleierhafter Phasen von Zeit, und wie schlecht sich ausmachen ließ, in welcher davon man sich momentan befand. Die lang zurückliegenden Momente des Klaffens und das eben erst erfahrene Klaffen, wie es immer wieder klaffte, wo man doch dachte, so was kommt nicht wieder vor. Eine aus Kupfer gegossene Form. Wie sich ebenso schlecht einschätzen ließ, wie lange es dauerte, bis man ein Klaffen überstand, bis es sich ausschlich und verschwand. Ob die Welt sich das auch manchmal dachte. Wie das auf alle Arten von Infrastrukturen in allen Parzellen und Schachtkammern, Schlafstätten, Wachstätten zutraf. Also quecksilbrig pulsierte, ohne dass jemand sagen konnte, wohin. Ob etwas wie eine Hauptbewegungsrichtung in diesen Dimensionen überhaupt existierte. Die Gelegenheiten, die Reisen, das Vergessen, Wiederholung. Der Wind beim Radfahren, Wind beim Fliegen, das Tauchen, das Rauchen. Dass der Nussbaum vor dem Haus meiner Großeltern sehr lang schon nicht mehr stand. Wie jung mein Neffe war. Dass das hohe Alter meiner Eltern erst begann. Wie ich wohl tatsächlich demnächst vierzig wurde.
Das Leben als chaotische Ansammlung von Momenten, die nicht miteinander verbunden sind. Feste Sinnzusammenhänge werden unterminiert und die Mehrdeutigkeit von Erfahrung und Bedeutung betont. Diese Auflösung jeglicher Form soll Öffnung ermöglichen. Möglichkeitsräume schaffen.
Die Autorin nimmt sich zudem aber noch der Schnelllebigkeit der Moderne an. Sie spiegelt wie moderne Medien durch schnell wechselnde Bilder, verkürzte Narration und fragmentiertes Erzählen, eine nur sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne generieren. Kurzlebigkeit und Reizüberflutung. Dh. die Frequenz ist so hoch, dass es mir nicht möglich ist in diesem unstrukturierten, anarchischen Chaos eine Tiefenstruktur zu erkennen. Der Text bleibt am Ende des Tages substanzlos. Eine Dynamik die schnell ermüdet und Denkprozesse wegballert. Mein kognitives System ist jedenfalls nicht in der Lage mit diesem schnellen Wechsel und der willkürlichen Chaoslage sinnvoll zu arbeiten. "Hasenprosa" geht nicht in die Verarbeitung. Er bleibt beim Aufzeigen, in der Dekonstruktion, in der Schwerelosigkeit, dem Warten darauf „bis man ein Klaffen überstand“ und wirkt dabei völlig überladen. Ihm fehlt die Anschlussfähigkeit.
Ich stelle hier die Frage nach fruchtbarer Dekonstruktion. Es muss immerhin eine Konsequenz erfolgen können. Es kann doch nicht sein, das wir uns in die Unendlichkeit werfen, was der Text tut, und dann hoppelnd, mümmelnd, wortbrausend, ohne den Willen zur Handlungsmacht oder eines Sinnzusammenhangs aus der Zeit geschossen kommen und Liedchen trällernd, genauso verloren wie vorher das Buch zuklappen. Soweit ich weiß, versuchen poststrukturalistische Texte durch rekursive Strukturen und Selbstreflexion Anschlussfähigkeit zu erzeugen. Also eine Zirkularität, die mich immer wieder an gewisse Punkte zurück bringt, die als Moment immer wieder eine neue Handlungsmöglichkeit erzeugen. Das versäumt Hasenprosa. Sie kehrt zwar physisch immer wieder in die Gegenwart zurück und kehrt gedanklich zu den Großeltern zurück. Durchlebt diese Momente nur nie neu.
Ich vermute jetzt einen Aufschrei, da ich das Projekt Hasenprosa mit „Tod des Vergil“ vergleichen möchte, das ich zugegeben erst 100 Seiten belesen habe. Meine ganze Wahrnehmung und Einordnung von „Hasenprosa“ bewegt sich auf dünnem Eis, da es mich mit dem Poststrukturalismus auf fremdes Gebiet schickt. Dennoch versuche ich, meinem Problem mit dem Text, etwas Grund zu verleihen, den ich tatsächlich in der Gegenüberstellung mit „Tod des Vergil“ gewinnen kann, das ich gerade lese. Herman Broch legt ähnliche Motive zu Grunde: Zeit, Vergänglichkeit, was ist Wahrheit oder Wissen und die Rolle des Künstlers, die Sprache als sein eigener Beobachtungsgegenstand. Broch arbeitet allerdings mit strukturiertem Chaos. Er lässt Vergil reflexiv durch die Zeit und die Dunkelheit wandern und ihn in den Schwellen-Übergängen verweilen, den Dämmer auskosten. Mit einem fundamentalen Unterschied: Horizonte bleiben erhalten. Und trotzdem wird sich nicht an dem Ding abgearbeitet. Die Differenz ist Stabilitätsfunktion. Hasenprosa nutzt die Differenz für haltloses Chaos. Dieser Unterschied um Umgang mit der Differenz ist für mich entscheidend, ob ich dem Text eine Kohärenz und eine Anschlussfähigkeit bescheinigen kann oder nicht. Nur durch den Erhalt einer Grenze von Innen und Außen kann ich sinnvolle Operationen vornehmen. Nur so kann ich selektive Entscheidungen einer Sinndimension treffen, die sich aus einem unendlichen Raum von Möglichkeiten schöpfen. (Jedenfalls nach meinem aktuellen Verständnis. Für Einwände und weiterführende Gedanken bin ich an dieser Stelle sehr dankbar). „Tod des Vergil“ ist ebenfalls in Dauerbewegung. Hier gelingt aber ein Durchdenken, weil Broch den Mut hat auf dem uferlosen Ozean auszuharren und sich Zeit nimmt nicht von einer Situation in die nächste zu spurten. Der Leser kann Konsequenzen daraus ziehen.
Ich komme mit dieser seltsamen Dynamik in „Hasenprosa“ nicht klar. Dabei schließe ich nicht aus, ihn einfach nicht verstanden zu haben. Die Autorin traut ihrer Leserschaft ordentlich was zu, bei all den Bezügen zur Literaturtheorie,Philosophie und wohl klingender Wortakrobatik. Im Grunde bleiben mir nur 2 gute Bilder im Kopf, die ich als gelungene Öffnung von Möglichkeitsräumen sehe. Kann sein, dass mein Hirn zu früh abgeschaltet hat und der Rest in trüber dekonstruierter Brühe – Glenn Gould und Michael Stich im Duett der Tennissockensonate in adornitisch-polytonaler Aleatorik, versauert....more
Keine Rezension. Nur erste Eindrücke. Ich habe das Buch über einen Zeitraum von 11 Monaten gelesen. Werde wahrscheinlich erst zum 2. Durchgang in der LaKeine Rezension. Nur erste Eindrücke. Ich habe das Buch über einen Zeitraum von 11 Monaten gelesen. Werde wahrscheinlich erst zum 2. Durchgang in der Lage sein es zu rezensieren. Es ist das Außergewöhnlichste und Schönste das ich je lesen durfte. Denn Schön ist das, was gegen seinen eigenen Verlust ankämpft. Durch den Verlust, den Tod hindurch in die Unendlichkeit - Namenlos ganz bei sich.
Die letzte Wahrheit der Sprache, Dichtung und des Denkens liegt in ihrem Verlust.
immer nur dort, wo die Sprache nicht mehr ausreicht, wo sie über ihre eigenen, irdisch-sterblichen Grenzen schlägt und ins Unaussprechliche dringt, den Wortausdruck verläßt und - bloß sich selber noch im Gefüge der Verse singend - den atembeklommenen, atemraubenden Sekundenabgrund zwischen den Worten aufreißt, um todesahnend und lebensumspannend in dieser stummen Tiefe, selber stumm geworden, die Ganzheit des Alls zu zeigen, die fließende Gleichzeitigkeit, in der das Ewige ruht: oh Ziel aller Dichtung, Augenaufschlag der Sprache, wenn sie über alle Mitteilung und über alles Beschreiben hinweg sich selbst aufhebt, oh die Augenblicke der Sprache, in denen sie selber in die Gleichzeitigkeit eintaucht, so daß es unentschieden bleibt, ob Erinnerung aus der Sprache, oder ob Sprache aus der Erinnerung quillt!
Der Abgrund wird durchwandert. Der Sturz in Nichts vollzogen. Schweigen. Ein Schweigen der Erschütterung, des Zerfalls - das verändert. Die Erkenntnis geht aus dem Schweigen hervor:
Erkenntnis aber ist Auftauchen aus dem Abgrund, ist demütiges Auftauchen aus demütigster Zerknirschung zu neuer Demut, ist Heimbringen der Wirklichkeit aus dem Nichts, in das sie gestürzt werden der Wirklichkeit aus dem Nichts, in das sie gestürzt werden muß, um wiedergeboren zu werden: Erkenntnis, dunkelheits-geborene Wiederkehr im Gleichnis, die Wiedergeburt der Wirklichkeit, gewandelt im Abgrund, dennoch unwandelbar sie selber.
Broch inszeniert für mich die Geburt der Literatur, indem er ihr eigenes Gefüge – durch Vergil und seine Aeneis – in den Zerfall führt, durch die Nacht hindurchgeht, um am Ende vielleicht ein letztes erstes Wort zu finden....more
Wolf befreit meine allzeit verteidigte Vernunft, Ratio, den Logos, von der Fetischkeule. Sie entinstrumentalisiert sie und bringt diese in die zwingenWolf befreit meine allzeit verteidigte Vernunft, Ratio, den Logos, von der Fetischkeule. Sie entinstrumentalisiert sie und bringt diese in die zwingende Verflechtung mit Emotionalität, Gefühlen, Reflexion und Subjektivität.
"...das lächelnde Lebendige, das imstande ist, sich immer wieder aus sich selbst hervorzubringen, das Ungetrennte, Geist im Leben, Leben im Geist."
Kassandra ist ein Buch über Eros und Lust. Du stutzt jetzt? Das hat mich auch am meisten verblüfft. Wolf rahmt das Buch mit Eros. Der Erzählung wird folgendes Zitat voran gestellt:
„Schon wieder schüttelt mich der gliederlösende Eros, bittersüß, unbezähmbar, ein dunkles Tier.“ [SAPPHO]
Ohne zu Spoilern, endet es mit Eros - der Liebe - dem Schmerz, der dem dunklen Tier Sapphos entspricht.
Eros und Lust sind Kassandras Triebfedern. Sie ermöglichen das Leben im Augenblick, der Gegenwart, des vollen Bewusstseins und Bewusstwerdung. Zu sehen. Sich selbst zu sehen. Seine Position zu erkennen. Zu wissen wofür man lebt, wofür man einsteht, was zählt. Selbsterkenntnis.
„Du meinst, Arisbe, der Mensch kann sich selbst nicht sehen. - So ist es. Er erträgt es nicht. Er braucht das fremde Abbild. - Und darin wird sich nie was ändern? Immer nur die Wiederkehr des Gleichen? Selbstfremdheit, Götzenbilder, Haß? - Ich weiß es nicht. Soviel weiß ich: Es gibt Zeitenlöcher. Dies ist so eines, hier und jetzt. Wir dürfen es nicht ungenutzt vergehen lassen.“
Zu erkennen, das das Wir, die alltäglichen Dinge, du und ich, die gemeinsame Freude, das Spielerische miteinander, vor dem Tod, der Leere bewahren. Keine Götter. Keine Könige. Keine Herrscher.
Kassandra ist ein Buch der Bilder, des Imaginären. Ichwerdung trotz Sprachverlust „vor den Bildern sterben die Wörter“
Ein Buch der Isolation, des Schmerzes und der Angst. Ein Netzwerk der Zeitebenen. Eine Ästhetik des Widerstands – gegen Blindheit, zur Klarheit – gegen Macht, dem Wunschentzücken anderer. Gegen äußere Pflichten, gegen vorgegebene Rollen.
Dem Mythos wird die glanzvolle Fassade, der Schleier, geraubt.
Am Ende das Zugeständnis, der Mensch sehnt sich nach Helden, gewisse Zeiten benötigen ihre Helden. Ein naturalistischer Fehlschluss? Die Ohnmacht der Vernunft?
"Ich glaube, daß wir unsere Natur nicht kennen. Daß ich nicht alles weiß. So mag es, in der Zukunft, Menschen geben, die ihren Sieg in Leben umzuwandeln wissen."
So resignativ Kassandra sich über weite Strecken lesen mag, bricht sich ein eruptiver emanzipatorischer Befreiungsschlag Bahn.
Wolfs Sprache und Stil gleiten auf psychologischen, introspektiven, rhythmischen Bahnen dahin. Mal analytisch - beobachtend, mal dramatisch- zuspitzend, mal gebrochen - energetisch. Sie liebt ihre Version ihrer Kassandra und schenkt ihr einfühlsame Klarheit.
Warum entscheidet sich Hesse, den Riss, das Begehren, die Leerstelle über Goldmund zu verarbeiten? Sein offenes Scheitern macht ihn literarisch fruchtbWarum entscheidet sich Hesse, den Riss, das Begehren, die Leerstelle über Goldmund zu verarbeiten? Sein offenes Scheitern macht ihn literarisch fruchtbar. Wer im Riss, im Affekt, in der Körperlichkeit lebt – die kindliche Sehnsucht wild, voller Lust auf Leben ergreift und auf der Seite des Imaginären lebt –, ist ein hervorragender Resonanzboden für das Spiel von Thanatos und Eros. Im Moment tiefster Lust ist der Tod nie fern. Intensität lässt Grenzen erscheinen. Die Differenz, die dort erscheint, ist der Aspekt, um den es im Buch geht. Hat Narziß denn nicht dieses Begehren, fühlt den Schmerz, dieser ordnungsliebende Geistesmensch?
«Ich weiß nicht, Narziß. Aber mit dem Leben fertig zu werden, die Verzweiflung abzuwehren, das scheint euch Denkern und Theologen doch besser zu gelingen. Ich beneide dich längst nicht mehr um deine Wissenschaft, mein Freund, aber ich beneide dich um deine Ruhe, um deinen Gleichmut, um deinen Frieden.»
«Du solltest mich nicht beneiden, Goldmund. Es gibt keinen Frieden, so, wie du es meinst. Es gibt den Frieden, gewiß, aber nicht einen, der dauernd in uns wohnt und uns nicht mehr verläßt. Es gibt nur einen Frieden, der immer und immer wieder mit unablässigem Kämpfen erstritten wird und von Tag zu Tag neu erstritten werden muß. Du siehst mich nicht streiten, du kennst weder meine Kämpfe beim Studium, noch kennst du meine Kämpfe in der Betzelle. Es ist gut, daß du sie nicht kennst. Du siehst nur, daß ich weniger als du Launen unterworfen bin, das hältst du für Frieden. Es ist aber Kampf, es ist Kampf und Opfer wie jedes rechte Leben, wie das deine auch.»
Nicht der Mangel an Harmonie ist entscheidend, sondern die Differenz, aus der heraus sich Subjektivität überhaupt erst als fragile Form zeigt – zwischen Innen und Außen, Sprache und Begehren, Ordnung und Affekt. Dieses nie ganz fassbare Geheimnis, dieser strukturelle Mangel, der Zwiespalt der Natur, kann sich sowohl im expressiven Leben Goldmunds zeigen als auch im stillen, zurückgezogenen, ordnenden, formenden Dasein des Narziß. Der eine explodiert in seinem Lebenswillen nach außen, der andere strukturiert dies in seiner inneren Welt. Narziß verkörpert die symbolische Kontrolle des Risses. Sein Inneres ist geschützt und abgekoppelt. Hesse belässt sie in wechselseitiger Projektion – ein zartes Band der Zuwendung und Treue, ohne Aufhebung.
Ich habe mich gefragt: Wäre es denn literarisch möglich gewesen, Narziß’ innere Struktur erfahrbar zu machen, ohne gleich in einem abstrakten, sämtliche Leser verschreckenden Stil abzugleiten? Das Schweigen ist es. Schmerz ist nicht anschlussfähig. Schmerz ist mein Schmerz – ich kann ihn nicht kommunizieren, sondern nur über Gefühle transportieren. Wie bildet man also den Schmerz Narziß’ ab, der in einer Struktur vorliegt?
Modianos Die Tänzerin: Roman: Narziß als Form. Und zwar eine in Bewegung. Der Riss wird nur umkreist, in Gesten und Haltungen, die die Welt formen. Das Schweigen wird zur Form. Gehen, tanzen, bewegen, Bilder – nebeneinander hergehen, Licht erhellt, etwas Nebel, Dasein, Rituale des Anschmiegens. Der Riss wird nicht erwähnt, nicht beschrieben. Schweigen, zögern, wiederholen. Statt Drama: ein Schwebezustand. Und so wird die Differenz zur Umwelt sichtbar – leise, still und genauso erschütternd wie die Wucht Goldmunds.
Aber ihr da draußen im Rauschen – könnt ihr das überhaupt wahrnehmen? Laut ist leicht. Hinsehen. Hinhören. Da ist jemand, der spricht und lebt – allerdings aus einer anderen Struktur der Weltverarbeitung. Es ist aber möglich, diese Strukturen zu teilen. Oder?
«Nichts sahen sie, diese Menschen, nichts wussten und merkten sie, nichts sprach zu ihnen!»...more