Anna Carina's Reviews > Lord Jim

Lord Jim by Allan H. Simmons
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it was amazing
bookshelves: 001-19-jahrhundert, 002-kolonialismus, 002-hörbuch, 030-asien, 031-malaysia, 001-highlight

Conrad schreibt mit Lord Jim ein komplexes und forderndes Monstrum der Synthese aus "psychologischem Realismus" und "philosophischer Romantik"

Die Figur Jims repräsentiert die Romantik. Er wird mehrfach im Buch als romantisch bezeichnet.
Zu Beginn des Buches träumt er von heroischen Taten, bis er auf der Patna daran scheitert – dem harten Realismus. Die Romantisierung Jims, übernimmt im Folgenden Marlow, der als Erzählinstanz auftritt.
Er stellt Die poetische Lebensfom, Jim, in den Mittelpunkt. Ist wie besessen von ihm.

„Ich wurde gezwungen, einen Blick auf das stillschweigende Übereinkommen zu tun, das hinter aller Wahrheit steckt, und auf die innere Lauterkeit des Falschen. Er wandte sich an alle Seiten zugleich– an die Seite, die ständig dem Tageslicht zugewendet ist, wie an jene andere in uns, die, gleich der zweiten Mondhälfte, in ewigem Dunkel liegt und nur manchmal am Rande von einem fahlen, unheimlichen Licht gestreift wird. Er beherrschte mich.

Er löst Jim in seiner formalen Konzeption auf. Der Charakter wirkt wie eine Improvisation. Conrad legt dies völlig verwirrend durch die Struktur des Textes an. Perspektiven wechseln hin und her. Man weiß oft nicht wer redet. Es kommt schnell zu Verwechslungen. Alles schwimmt und schaukelt, wie auf einem Schiff vor sich hin. Situationen sind uneindeutig, unklar. Erst später enthüllen sich die Versatzstücke der Erzählung.
Hier zwei Zitate zur Definition der Romantik. Na wenn das nicht wie die Faust aufs Auge passt:

“ Steigerung des schöpferischen Ichs ins Universale, Vereinigung von Geist und Natur. Die poetische Lebensform ist ist wichtiger als die Form des Dichtwerks, das stets nur verzehrende Sehnsucht und ewiges Streben sein kann. Daher fehlt vielen Werken in der Romentik die strenge formale Konzeption; sie sind nach oben hin offene Formen → Fragmente, Improvisationen.“ [ F. Schlegels 116. Athenaeum- Fragment zur Romantik]

„Romantik eine Haltung, die eine Perspektive der Idealisierung und Vermittlung einnimmt, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt und sich selbst auf eine dynamische, prinzipiell unabschließbare Beziehung zur Unendlichkeit verpflichtet. In philosophischer Hinsicht markiert Romantik vor allem einen Kontrast zu allen Spielarten des empirisch-materialistischen Rationalismus; auf literaturwissenschaftlichem Feld grenzt sie sich von realistischen und klassizistischen Tendenzen ab.“ [Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft]


Der Idealismus Hegels ist zudem sehr präsent in dem Werk.

Das ganze Dilemma beginnt mit dem Sprung – Jim’s Sprung von der Patna.
Dem Verlust seiner Ehre, seines Stolzes und seines Selbstbildes als mutiger und prinzipientreuer Seemann.
Was folgt ist die Suche nach dem eigenen Wert, der Integrität an den eigenen Idealen festzuhalten, egal wie gleichgültig sich der Weltenlauf gegenüber den eigenen Träumen, dem Wunsch nach Erlösung und Wiedergutmachung gebärdet.

Der psychologische Realismus zertrümmert die Romantik:

“Es war, als wären wir rasch in ein geräumiges Grab eingemauert worden. Kein Zusammenhang mit irgend etwas auf Erden. Keine Meinung, die irgendwie in Betracht kam. Es war alles belanglos.“

“Die Welt benötigt ihn nicht, niemand ist gut genug, er ist nicht gut genug“

Jim erlangt seine Zuflucht auf Patusan.
Marlow sinniert folgend darüber: „Zuflucht um Preis der Gefahr. Land das nie existiert habe. Niemand mischt sich ein. Vereinzelung als folge seiner Macht.

Patusan repräsentiert eine Art utopischen Raum, in dem Jim die Möglichkeit erhält, sein Ideal von Heldentum und Ehre zu leben.
Jim kann sich neu erfinden. Die Handlungen in Patusan bleiben möglicherweise ohne Bedeutung für die Welt außerhalb dieses abgeschiedenen Ortes.
Und hier kommt die Psychologie Marlow's voll zum tragen. Diese Einsicht ist für ihn wichtig, nicht für Jim. Jim versucht nur in den Grenzen seines Idealismus zu agieren. Bleibt auf Patusan. Weigert sich zu gehen.

Lord Jim ist gleichzeit das Bespielen der Urangst, als Erzählen gegen das Vergessen (werden).
Marlows "Wahn", sich in Jim's Geschichte hineinzusteigern, könnte als Spiegel seiner eigenen Unsicherheiten, seines Bedürfnisses nach Zugehörigkeit und seines Wunsches, einen dauerhaften Sinn in einer unbeständigen Welt zu finden, gesehen werden.

Dieser Spiegel bricht sich in dieser Unterhaltung mit Stein Bahn:

“Das war der Weg. Dem Traum folgen, und nochmals dem Traum folgen– und so– ewig– usque ad finem...
Insofern hatte er recht. Das war der Weg, ohne Zweifel. Trotzdem lag die große Ebene, auf der die Menschen zwischen Gräbern und Fallstricken umherirren, sehr öde da unter dem linden Schleier des Dämmerlichts, verdunkelt in ihrem Mittelpunkt und von einem grellen Rande umsäumt, als ob ein Flammenabgrund sie umkreiste. In diesem Augenblick war es schwer, an Jims Dasein zu glauben– der aus einem ländlichen Pfarrhaus kam, im menschlichen Getriebe wie hinter Staubwolken untergetaucht, von den über ihm zusammenschlagenden Forderungen des Lebens und des Todes in einer kalten Welt erdrückt schien– doch seine unvergängliche Wirklichkeit drängte sich mir mit überzeugender, mit unwiderstehlicher Macht auf!



Nu ja, und am Ende mischt doch wer ein, egal wie vergessen man lebt und kackt einem nen fetten Haufen auf den Tisch. Der Weltenlauf schaut gleichgültig zu und das Boot sinkt endgültig.

So geschwätzig einige Passagen wirken mögen. Sie verbrennen in der sengenden Hitze dieses existentiellen Meisterwerkes - des Mensch seins.
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Reading Progress

December 30, 2023 – Started Reading
December 30, 2023 – Shelved
December 30, 2023 –
11.0% "Huhhh! Da hat Armin mal völlig recht. Geschwätziger geht kaum. Argh. Den Geheimagenten von ihm hab ich dieses Jahr gefeiert, auch wenn er knapp die Siegerehrung verpasst hat. Aber das hier? Frank Arnold liest das jetzt auch nicht gerade zum vor Jubel aus der Buchse springen. Dennoch, tolle Vergleiche, super Atmosphäre und herrlicher Sarkasmus. Schreiben kann er. Wird hart für mich...."
December 30, 2023 –
15.0% "Nee, als Hörbuch gänzlich ungeeignet. Da steckt zu viel unter dem eigentlich Geschwätz, das mir entgeht. Das scheint ne krasse psychologische Nummer zu sein. Außerdem springt die Erzählung in den Perspektiven und verwirrt zu sehr.
Ich wechsel im Januar auf das eBook und beginne von vorn. Geht ja schon gut los! 🙄"
December 31, 2023 –
4.0% "„Eine wunderbare Stille lag über der Welt,die Sterne schienen mit der Klarheit ihrer Strahlen die Gewähr ewiger Sicherheit über die Erde auszubreiten.Das Arab. Meer,glatt und kühl wie eine Eisfläche anzusehen,dehnte seine gewaltige Ebene dem gewalt.Kreisrund eines dunklen Horizonts entgegen.Die Schraube drehte sich ohne Hemmnis,als hätte jeder ihrer Schläge zum System eines sicheren Weltgebäudes gehört“"
January 5, 2024 –
11.0% "Bin sehr von der Intensität Conrads beeindruckt. Er verhandelt das Ideal-Ich vs. Real-Ich, lässt den Text in Teilabschnitten in traumartigen, imaginären Zuständen schweben, um dann wieder in die rüde, Schnapsumwölkte Realität zu stolpern. Hier mal ein ein tolles Beispiel für das Spiegel-Ich. Marlow denkt über Jim nach, nachdem er ihn das erste Mal erblickt hat (siehe mein Kommentar) :"
February 14, 2024 –
20.0% "Du liebe Güte-endlich kommt etwas Verständnis und Aufklärung in die Geschehnisse.Liest sich wie ein wirrer Fiebertraum.Hab mich gefragt, ob ich mir Hirnzellen weggeschossen habe.
Das einzige das ich bisher kapiert hab:Jim träumt von Heldentaten,die Patna hat einen Unfall?Ein Leck.Danach Gerichtsverhandlung.Kapitän und andere sind einfach von Bord,viele andere verrreckt?Jim kein Held.Marlow von Jim besessen"
February 23, 2024 –
28.0% "„Und was mich betrifft, so genügten seine wenigen gemurmelten Worte, um die Vorstellung in mir wachzurufen, wie der untere Sonnenrand sich von der Linie des Horizonts löste, ringsum, soweit das Auge reichte, kleine Wellchen die See überliefen, als schauerten die Wasser, da sie den Lichtball geboren, und ein letzter Hauch der Brise die Luft wie ein befreites Aufatmen durchzog.“

Gänsehaut 🥹"
February 24, 2024 –
33.0% "„Ich war gleichfalls aufgestanden, und indem wir unserer Haltung unendliche Höflichkeit einzuprägen suchten, sahen wir einander stumm ins Gesicht, wie zwei Porzellanhunde auf einem Kaminsims. Zum Henker mit dem Kerl! er hatte ins Schwarze getroffen. Der erkältende Hauch, der die Reden der Menschen belauert, hatte unsere Unterhaltung gestreift und entseelte die Worte zu leerem Schall.“"
February 25, 2024 –
48.0% "„Das war der Weg. Dem Traum folgen, und nochmals dem Traum folgen – und so – ewig – usque ad finem... Das war der Weg, ohne Zweifel. Trotzdem lag die große Ebene, auf der die Menschen zwischen Gräbern und Fallstricken umherirren, sehr öde da unter dem linden Schleier des Dämmerlichts, verdunkelt in ihrem Mittelpunkt und von einem grellen Rande umsäumt, als ob ein Flammenabgrund sie umkreiste.“"
March 1, 2024 –
68.0% "Für 18% des Buches auf das Hörbuch gewechselt.
Selbes Erlebnis wie zum Einstieg. Es wirkt furchtbar geschwätzig und büßt an Intensität ein. Irrer Unterschied. Oder in Patusan verliert sich der Plot und die Erzählung wirklich etwas."
March 2, 2024 –
71.0% "„so mag ein armer Sterblicher,vom Zauber einer Erscheinung umstrickt,sich mühen,einem andern Geist das ungeheure Geheimnis der Macht zu entreißen,die das Jenseits über eine körperlose,zwischen den Leidenschaften dieser Erde umherirrende Seele ausübt…"
March 3, 2024 – Finished Reading

Comments Showing 1-4 of 4 (4 new)

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Alexander Carmele Freue mich schon auf deine Besprechung, meine harrt noch im Limbo meiner begeisterten Gedanken.


Anna Carina Alexander wrote: "Freue mich schon auf deine Besprechung, meine harrt noch im Limbo meiner begeisterten Gedanken."

Ich hab erst gar nicht versucht dem Buch gerecht zu werden. Dann müsstest ne Masterarbeit draus machen. Hab nur das genommen, das sich mir als erstes aufgedrängt hat.


Alexander Carmele Anna Carina wrote: "Alexander wrote: "Freue mich schon auf deine Besprechung, meine harrt noch im Limbo meiner begeisterten Gedanken."

Ich hab erst gar nicht versucht dem Buch gerecht zu werden. Dann müsstest ne Mast..."


Tolle Besprechung, und schöne Ausführungen zur Romantik. Das Safranski-Buch empfehle ich sehr, dass ich gerade nebenher lese. Für mich lauert bei Marlow auch ein Entsetzen, ein Fremdsein, Lord Jim nicht verstehen zu können, zu wissen, dass eigentlich niemand verstanden werden kann, auch jene nicht, die wie Lord Jim in die Öffentlichkeit tragen. Jim versucht es. Er scheitert und steht zu seinem Scheitern, und selbst dieser transparente, konsistente Mensch bleibt doch von der Sprache unberührt und verständlich ... oh ich habe sofort wieder Lust es erneut zu lesen, diese Suche nach dem Inneren, das, je weiter er vordringt, desto mehr ein Außen wird, ein Möbiusband der Poesie - das Innerste als Äußerste und das Äußerste als Innerstes, ineinanderübergehend im Gleichgewicht des Erzählens. Ein Traum!


Anna Carina Alexander wrote: "Anna Carina wrote: "Alexander wrote: "Freue mich schon auf deine Besprechung, meine harrt noch im Limbo meiner begeisterten Gedanken."

Ich hab erst gar nicht versucht dem Buch gerecht zu werden. D..."


Das interessante ist natürlich die Brille von Marlow. Conrad gibt immer nur die Möglichkeit durch Jims Gesten und Verhalten etwas zu erhaschen, wenn er kurz Marlows Perspektive verlässt. Stein analysiert Jim nochmal sehr gut, da er Distanz wahrt und nur beobachtet. Jims Außen ist Marlows Innen. Conrad arbeitet das sprachlich und stilistisch großartig heraus, wieso wir andere Menschen nicht verstehen und uns selber oft auch nicht, wenn versucht wird sich im Anderen zu erkennen oder man sich selbst in den anderen einschreibt, ohne dass der andere ein Teil davon ist. Marlow betreibt feindliche Übernahme mit Jim, auf psychologischem Terrain.


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