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Samstag, 18. März 2023

Ein Ende, ein halbes, eine selbst für mich neue Dimension von Peinlichkeit und ein Anfang

Liebe Abkürzungsdamen,
und natürlich liebe Agenturleute,

heute ist für mich ein besonderer Tag, und an diesem Post habe ich lange herumgedruckst.

Die Wahrheit ist, dass hier schon ewig tote Hose herrscht. Nein, vollkommen falsch gewähltes sprachliches Bild gerade für hier und jetzt: hier ist seit Ewigkeiten kein neuer Post erschienen, ich beantworte keine Kommentare mehr, und wenn ich mal schreibe, dann ist das auch nicht so richtig zufriedenstellend, die paar hingeworfenen Krümel. Einige der Gründe kennt Ihr längst: meine letzte IVF-bezogene Tat war 2013, und das hier ist ein Blog über das Leben in Kinderwunschbehandlung. Über meine Kinder will ich nicht schreiben, weil sie erstens eines Tages unweigerlich auf dieses Arschloch in ihrer Klasse stoßen werden, das den Blog ausschnüffelt und ihnen dann mit Mamas Online-Liebeserklärungen von 2019 das Leben zur Hölle machen wird. Außerdem, weil ich weiß, wie das ist, wenn man selbst gerade zwischen zwei Zyklen hängt und dann liest, wie herrlich chaotisch die Weihnachtsbäckerei mit den Kindern bei einer anderen lief und sich freuen will und irgendwie nicht kann aber doch so gerne will und trotzdem traurig wird und es ist alles einfach nur scheiße, wieso denn ich?

So.

Dann ist da immer noch die Krise, die Krise ist mal gut drauf und mal läuft sie Amok. Ich hab immer noch keine Ahnung, ob ich, ob wir das hinkriegen und wenn ja, wie, ob ich mich nicht so anstellen soll und das wird schon, ob das alles nur in meinem Fusselhirn ist oder einfach überall. Während einer Familienkrise über das Familienleben zu schreiben, ist einerseits eine Top-Idee, andererseits sollte es vielleicht lieber im privaten Tagebuch oder im Rahmen einer Therapie passieren als auf einer meterhohen Plakatwand direkt gegenüber von L.s Schlafzimmerfenster. Vielleicht, nur vielleicht.

Und dann war da neulich noch dieses Meeting, in dem einer meiner Chefs - den ich sehr mag, der ein feiner Mensch ist und der das bestimmt nicht böse gemeint hat, aber eben ein paar Sekunden zu wenig nachgedacht hat - etwas über mich sagen wollte, und plötzlich erschien an der Wand das grauenvolle Foto aus dem Spiegel-Spezial-Artikel damals, und die Temperatur in meinem Gehirn sank schlagartig um 20 Grad. “Wusstet ihr eigentlich, dass unsere Flora Millionen von Lesern hat?” hörte ich ihn aus zwei Kilometern Entfernung nicht ganz richtig sagen. Also, insgesamt schon, aber trotzdem bin ich schließlich nicht… egal. Sofort zogen mindestens vier Leute im Meeting ihr Telefon raus und fingen an zu googeln. Und dann waren wir auch schon wieder auf dem nächsten Chart, und hier sind wir nun. Noch mal willkommen an euch, lovely people aus einer der tratschigsten Branchen der Welt, mit denen ich jeden Tag an der Kaffeemaschine stehe und die sich zwar streng genommen auch hätten hergoogeln können, aber die mich vermutlich von alleine nicht gegoogelt hätten, es sei denn, sie hätten sich auch völlig unerwartet wie die meisten von uns unter den Abkürzungsleuten gefunden, und die nun auch, wenn sie das wirklich möchten, alles wissen über Hormonzirkus, die Zustände in meiner Bauchhöhle, über meine Geburten und wie das so war, über den ganzen Mist und Spaß, und wenn sich jemand vorstellen kann, wie sich das anfühlt, dann ja wohl ihr. Und hier sind wir jetzt. Ein großes Hallo!

Mein erster Impuls zurück aus dem Meeting war, den Blog zu löschen.

Das hab ich nicht getan, und das werde ich auch nicht tun. Und während mein Puls sich zurück in den zweistelligen Bereich gekämpft hat und ich die Phasen extreme Scham, Angst, Wut, ich kündige, why oh why (und wieso bitte dieses bescheuerte Foto, von allen Fotos weltweit von mir, das ich trotz Absprache so nie freigegeben habe, auf dem ich einen fleckigen verwaschenen Pulli trage und aussehe, als hätte ich gerade eine Marienvision und müsste dringend mal was Pflegendes für die Haare verwenden), starren die gerade, nein, die haben was Besseres zu tun zum Glück, doch, die starren, beruhig dich, Jenna Maroney - also alle Zustände des voll ausgeprägten Fusselhirns durchlaufen habe, habe ich irgendwie zu einer Haltung gefunden, die ich mir jetzt auferlegt habe wie andere Leute ein Schweigegelübde und mit der ich zu einer Art von Frieden gefunden habe: es ist doch ok. So ist das eben, wenn man im Netz über seinen ganzen Privatquark schreibt. Vielleicht ist sogar jemand dabei, der oder die auch gerade in dieser Lage ist und sich jetzt etwas weniger allein fühlt, das wäre schön. Ich bin ein großes Mädchen und sollte zu dem stehen, was ich hier tue. Das hier ist nämlich auch ein Baby. Es mag manchmal komisch aus der Windel riechen oder die Delfter Vasen umschmeißen, aber es ist doch meins.

Und dann ist da noch was. Agentur-People, ihr werdet es ja live mitbekommen, dass ich demnächst mindestens zwei Wochen nicht da sein werde. Da liege ich nämlich im Krankenhaus für das nächste und hoffentlich letzte Kapitel meiner Endometriose-Behandlung. Schon seit Monaten ist in meinem Bauch offensichtlich die Hölle los. Wie viel genau, weiß ich seit zwei Besuchen im Beckenboden- und Endometriose-Zentrum eines Hamburger Krankenhauses. Und am 29.3. werde ich darum operiert. Agenturleute, dies ist wirklich der Punkt, an dem ihr nicht weiter lesen solltet, wenn ihr das öffentliche Diskutieren medizinischer Details eklig findet. Ihr seid gewarnt.


Ich bekomme eine Bulkamid-Injektion neben die Harnröhre, die mein Pipiproblem aus der Welt schaffen sollte (der Beckenboden, ich war genauso überrascht wie ihr, das zu hören, ist gut in Schuss und “ordentlich trainiert”, na bitte). Dann werden noch verschiedene Endometriose-Herde rund um die Gebärmutter entfernt, unter anderem muss ein Stück aus meiner Darmwand ausgestanzt werden und eine richtig große Endometriose-Zyste ist dann hoffentlich auch weg. Und dann wird mir, so wie es aussieht, die inzwischen auch von Adenomyose und einem Rudel Myome zerschossene Gebärmutter entfernt. Ich bitte alle Abkürzungsdamen, von warnenden, mahnenden und entgeisterten Kommentaren abzusehen, ich will auch nicht hören, dass das ein typischer Fall von übergriffiger und ignoranter Männermedizin ist, dass es alternative uralte Heilmethoden gibt oder eine Klinik in Tschechien oder Kanada, die mein Problem anders löst. Auch nicht, dass ich nur an meiner Ernährung oder dem Feng Shui in meinem Schlafzimmer schrauben muss. Ihr könnt euch nicht vorstellen - wobei, vielleicht doch - wie weh das alles tut, wie müde das macht, wenn man immer blutet und Eisenmangel hat, wie gruselig das ist, wenn meine Gebärmutterschleimhaut meinen Darm frisst und wenn jeder Tag neue Merkwürdigkeiten mit sich bringt. Ihr könnt euch vermutlich schon etwas besser vorstellen, wie hart es für mich ist, mich von einem Körperteil zu trennen, mit dem ich schon so viel erlebt habe (und ihr irgendwie auch). Wie das ist, wenn einem ein Arzt erzählt, Kinder würde ich ja nicht mehr wollen, die würde also nicht mehr gebraucht und hätte ihren Job erledigt. Der hat es bestimmt gut gemeint und ja im Kern auch Recht, aber trotzdem: nicht gut. Und fast alle von Euch haben Erfahrung damit, sich unters Messer zu legen in der Hoffnung, auf diese Weise etwas besser zu machen und es bestimmt nie zu bereuen, aber genau weiß man es nicht. Das Ende meiner Fusselgebärmutter ist jedenfalls für mich ein fetter Einschnitt und fühlt sich an wie das Ende von viel mehr Dingen.

Ich verspreche, ich werde Euch - wann, weiß ich noch nicht - schreiben, wie das lief und irgendwann nach einer Schonzeit, ob ich endlich wieder laufen gehen kann. Falls ihr eine Frau mit wirrem Haar, Stöpseln im Ohr, hochrotem Kopf und nassgeheultem Gesicht im Hamburger Raum an euch vorbeirennen seht, das bin dann wohl ich. Und ob das dann das Ende des Blogs ist, weiß ich auch noch nicht.

Und dann wollte ich Euch noch erzählen, dass ich heute morgen um sechs Uhr aufgestanden bin und eine Domain gekauft habe. Ich habe sie direkt für zwei Jahre bezahlt, denn ich habe viel damit vor. Noch steht da gar nichts, aber das wird sich bald ändern. Sie wird genau so persönlich sein wie diese Seite hier. Sie wird manchmal bestimmt auch Abkürzungsthemen streifen, aber sich um ein komplett anderes Thema drehen, das mich jetzt in Atem hält, seit ich ca. zwei Jahre alt bin und mich bis ins Grab begleiten wird. Demnächst werde ich die ersten Posts schreiben. Und wenn es so weit ist, erzähle ich euch davon. Falls es also ein paar unter Euch gibt, die irgendwann wegen Abkürzungskram hier gelandet sind, dann aber trotz allem geblieben sind und vielleicht Lust haben, etwas Neues von mir zu lesen: ich freue mich auf Euch.

Freitag, 31. Dezember 2021

Futons sind eh voll Achtziger

Ich sitze in nicht sehr rückenfreundlicher Haltung auf dem Sofa und versuche, die Zeit auszunutzen, bevor die Kinder aufwachen. Ich sitze so schief, weil ich nur so gleichzeitig den Rechner auf die glatte Sofalehne stützen und nah genug an der Steckdose sitzen kann. Gerade war er noch ein absolut makelloses, nagelneues Top-Teil aus gebürstetem Alu, jetzt ist er tatsächlich acht Jahre alt, ein echter Dino - so alt werden Laptops normalerweise nicht, die über Jahre fast täglich hin und her transportiert werden und ganze Winter lang dauernd durch alle Klimazonen von Heizungs-Muff bis Hamburger Januar müssen. Er hat's bis hierher geschafft, und jetzt will der Akku nicht mehr. Der Akku und mein Rücken - ach ja.

Also, Neujahrsvorsätze.

Ich will im nächsten Jahr besser für mich da sein. (Gähn. Ja, ich weiß, aber in diesem Moment meine ich das trotzdem ernst und will es mir nicht gleich wieder ausreden, auch wenn das mein Vorsatz seit Ewigkeiten ist und ich es bisher wirklich nur zu Babyschritten gebracht habe.) Los geht's in ein paar Wochen, dann wird nämlich endlich das Bett geliefert, um das ich mich so lange herumgedrückt habe. L. und ich schlafen seit Jahren getrennt, und - es ist mir fast peinlich, das zu schreiben, und das sollte es auch sein - als wäre das nur ein vorübergehendes Ding, als müssten wir nur kurz das Abflauen einer Magen-Darm-Grippe abwarten oder so, bis ich wieder zurück ins bequeme Ehebett schlüpfe, schlafe ich in all diesen Jahren auf einem alten Futon von L. Eine dünne Matte, die direkt auf dem Fußboden liegt, und die ungefähr den Komfort (und die Hygiene) einer labberigen Turnmatte aus einer Schule bietet, die in einem miesen Viertel gelegen ist. Nicht mehr lange. Noch dreieinhalb Wochen, dann wird das neue Bett geliefert und ("ich will besser für mich da sein, ich will besser für mich da sein") auch gleich von einer Fachkraft aufgebaut. Leider werde ich erst mal nur wenige Tage darin schlafen und meinen Bandscheibenzerrütteten Rücken erholen können, denn dann - Schritt zwei der Selbstfürsorge - gehe ich für zwei Wochen in eine Hamburger Klinik, in der sie hoffentlich der Epilepsie (oder nicht) auf den Grund gehen können. Am Ende werde ich entweder komplett ratlos sein, was mir da eigentlich im letzten halben Jahr so passiert ist, oder eine Diagnose und vielleicht ein dazu passendes Medikament haben. Davor liegen zwei Wochen mit verkabeltem Kopf (und sehr fettigen Haaren, fürchte ich) und zum ersten Mal seit Jahren sehr viel Zeit. Was mache ich damit? Schreibe ich endlich das Exposé für das Buch, das mir seit inzwischen acht Jahren im Kopf herumspukt? Oder ein anderes? Mache ich gar nix, lade mir einfach den Rechner voll mit Serien und tue das, was ich sonst nie kann? Schaffe ich es endlich, diesen Blog wieder in Schwung zu bringen, wenn auch mit neuem Thema? Oder muss ich mir darum sowieso keine Gedanken machen, weil ich den ganzen Tag einen Test nach dem anderen über mich ergehen lasse und absolut keine Zeit für irgendwelche Selbstverwirklichungs-Pläne haben werde? Das WLAN wird schlecht sein, das weiß ich schon. Aber zum Schreiben sollte es reichen.

Meine Krankenkasse hat mit mir echt einen dicken Fisch an Land gezogen (insgesamt 14 Abkürzungsdurchgänge? Pemm Pemm Pemm). Denn sobald ich einen Haken hinter die Epilepsie machen kann, knöpfe ich mir den Beckenboden vor. Ich bin es leid, schon lange, und ich will das nicht mehr. Ich hab eine Frauenärztin, auf die ich nichts kommen lasse, und wohne in Laufweite eines scheinbar richtig guten Beckenboden-Zentrums, da muss doch reinzukommen sein? Schluss damit, als erste Tat nach dem Duschen (noch vor Deo) jeden Tag eine fette weiße Binde in meine Unterhose zu kleben. Schluss damit, den Bus stehen zu sehen und mich nur in gemütlichem Flaniertempo nähern zu können, bis der Fahrer entnervt wegfährt - obwohl ich diesen Bus unbedingt hätte kriegen müssen. Schluss damit, an manchen Tagen nur mit dunkler Hose rauszugehen, und es sind nicht meine Tage. Schluss mit diesem Geruch, von dem ich manchmal nicht weiß, ob der wirklich da draußen ist oder nur in meinem Kopf. Schluss damit, jedes Mal Tränen in den Augen zu haben, wenn ich eine Frau joggen sehe. Ich weiß, das Problem haben viele, und noch mehr, die eine Saugglocken-Geburt hinter sich haben. Aber ich bin nicht bereit, mich damit einfach abzufinden.

Kurzer Abgleich mit der App, die ich damals als Teil des Exorzismus auf mein Telefon geladen habe, am Tag nach L.s Party, mit einem der schlimmsten Kater meines an Katern ziemlich reichen Lebens: Ich hab tatsächlich inzwischen seit 558 Tagen keinen Alkohol getrunken. Im Moment glaube ich, dabei bleibe ich auch im nächsten Jahr. Es gibt eine Menge am Trinken, das ich vermisse. Aber ich habe echte Pläne - Junge, was für Pläne! Und nein, ich will nicht alle hier verraten - und das ziemlich sichere Gefühl, wenn ich zurückkehre zu abendlichen Gin Tonics und Rosés auf Eis, dann wird genau dieser wunderschöne, jetzt ist mal Erwachsenen-Zeit-Feierabend-Glimmer mich einlullen und davon abhalten, die Pläne ernsthaft umzusetzen. Nein, Ohne ist gerade gut für mich. Wird es nicht für immer sein, aber jetzt gerade eben doch. Wenn das nicht der langweiligste Neujahrsvorsatz aller Zeiten ist, weiß ich es auch nicht.

Eine Sache, die ich am Trinken vermisse, ist der Spaß. Jaja, ohne Alkohol fröhlich sein - aber fröhlich ohne Alkohol ist anders fröhlich. Manchmal frage ich mich allerdings, ob all der Spaßverlust wirklich nur auf die Nüchternheit zu schieben ist. (War da was mit einer Pandemie?) Ist das fair? Vermutlich nicht. Und dann all die Selbstfürsorge, die ich vorhabe - wenn ich nicht aufpasse, fühlt sich das alles an wie eine gewaltige Hausaufgabenliste. Darum sollte Spaß ziemlich weit oben stehen. Egal ob gesund oder ungesund, teuer oder kostenlos, pädagogisch wertvoll oder einfach nur quatschig. Ich will im nächsten Jahr viel Zeit damit verbringen, mit meinen Kindern Mario Kart zu fahren. Zum Frühstück morgens um acht belgische Waffeln zu backen. (Mach das mal mit Kater.) Mir Dinge zu leisten, die mich mit solcher Vorfreude erfüllen wie das neue Bett. Viel zu spät Kaffee zu trinken. Mir wieder mal ein Partykleid für unter 20 Euro zu kaufen (auch wenn ich davon schon elf habe). In Alters-unangemessenen Outfits ins Büro zu gehen. Bücher zu lesen und Serien zu gucken, die eindeutig unter meinem Niveau sind, was auch immer das ist.

Und - fast am allerwichtigsten - aus Dingen einfach mal lächelnd rauspazieren, weil sie keinen Spaß machen.

Mittwoch, 6. April 2016

Babyschritte

Mein Beckenbodentrainingsdings heißt, falls ihr euch erinnert, femifree. Bei femifree sitzt eine Dame, die ich damals angeschrieben habe, als ich ein Probegerät haben wollte, und sie fragt immer mal wieder, wie es so läuft. Und in den letzten Monaten hatte ich selten gute Nachrichten. Ich war dabei! Ich hab traininert! Aber dann war ich krank. Dann war ich wieder krank. Dann war der Rücken im Eimer. Dann war ich zur Abwechslung krank. Und zum Schluss hatte ich einen Husten, der gefühlt alle Trainingsbemühungen der letzten Monate, Quatsch, Jahre, innerhalb weniger Tage zunichte gemacht hat. Ich hustete wie ein ganzes Hollywoodlazarett, verbrauchte jeden Tag eine komplette Apothekenpackung Tena in der Stärke “Dicker Strahl”, und zu der Husterei kam dann auch noch ein dauerverquollenes Gesicht, weil ich jeden Tag dreimal vor Wut und Frust in Tränen ausbrach. Ehrlich, das sollte es jetzt sein? Da trainiere ich jeden Tag wie ein Uhrwerk, führe sogar ein Trainingstagebuch, und am Ende reicht eine Erkältung, und man ist wieder Pflegestufe drei? Wo ich doch eigentlich längst wieder mit iphone im Ohr um den Park rennen wollte? Ach was, bleiben wir bescheiden, wo ich doch eigentlich gehofft hatte, auch weiterhin nicht bei jedem Schritt aus der Hose zu knistern? Bleibt das jetzt so? Für immer?

Dann hat meine Ärztin mir Codein-Tropfen und ein fieses Spray gegen den Husten verschrieben, mir außerdem erklärt, dass ich für’s Immunsystem statt Vitamin C lieber Zink schlucken soll, und mich auch sonst ein bisschen aufgebaut, und nach drei Tagen war der Husten weg.

Und ich dachte, also schön, raffe ich mich eben wieder auf, noch sind genug Barnaby-Folgen auf dem Festplattendings für die ersten Trainingseinheiten. Jeden Tag habe ich mir die Manschetten umgeschnallt, das frisch geladene Therapiegerät um den Hals gehängt, die Kabel in die dafür vorgesehenen Nupsis gesteckt und mich sanftem Elektrogebrizzel ausgesetzt, während vor meinen Augen grausige Morde in idyllischer Landschaft aufgeklärt wurden.

Das tue ich jetzt seit ca. fünf Tagen. Und gestern - fragt mich nicht, wieso - war es mal wieder so weit. Meine Laufschuhe haben mich aus dem Schuhregal auf diese gewisse Art angeplinkert, und ich bin ein bisschen rot geworden und konnte nicht wegsehen. Seit Kalles Geburt habe ich das bisher vier mal versucht. Jedes Mal war ich voller Motivation und kaum zu bändigender Energie, und jedes Mal kam ich nach fünf Minuten nassgepiescht und nassgeheult mit eingeklemmtem Schwanz nach Hause geschlichen. Und gestern -

gestern ging es. Es war nur ein ganz kleines Anfängerprogramm! Fünfzehn Minuten im Ganzen, davon nur ein paar Ein-Minuten-Abschnitte Laufen, der Rest gehen! (Aber das war es die letzten Male auch.) Ich bin auch nur ganz locker getrabt! (Bin ich die letzten Male auch.) Und ich wollte es nicht übers Knie brechen, sondern einfach nur mal versuchen! (Genau wie die letzten Male.)

Und geheult habe ich auch, aber zur Abwechslung mal nicht vor Wut.

Ich weiß, dass das noch nicht das Ende meiner Beckenbodenprobleme sein muss. Kann gut sein, dass das nächste Mal wieder die Hose nass wird und das dann um so mehr weh tut. Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund! Kann sein, dass ich die Playlist, die ich jetzt schon wieder für zukünftige Läufe zusammenstelle, vor allem im Sitzen hören werde. Kann alles sein. Aber auch, wenn das nicht das Ende meiner Beckenbodenprobleme ist, ist es doch der Anfang vom Ende.

Hier sitzt eine, die ist sehr, sehr einverstanden mit dem, was ihr komischer endometriosevergrützter Körper ihr in letzter Zeit so anbietet. (Über die schlimmen Haare und diese Dauererkältung reden wir ein andermal. Wer könnte da noch böse sein!)

Und darüber hinaus habe ich letzte Woche gelesen, dass Kate Winslet nun in der Öffentlichkeit über ihre Beckenbodenprobleme spricht. Kate Winslet! Die mochte ich schon immer.

Freitag, 5. Februar 2016

Immer einen Schritt nach dem anderen.

Wenn etwas funktioniert, denke ich nicht lange drüber nach. Das gilt auch für meinen Beckenboden. Heute morgen habe ich den Wasserbehälter des Trockners in die Dusche ausgeleert und erst bei den letzten Tropfen gedacht: das ging vor einem halben Jahr noch nicht. Jedenfalls nicht ohne Slipeinlage. Ich bin leider extrem ungeduldig, und bis ich endlich wieder um den Park rennen darf, werde ich nicht zufrieden sein. Aber es ist gut, sich von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass es viel schlimmer sein könnte - und vor noch gar nicht allzu langer Zeit auch schlimmer war.
In den letzten Wochen musste ich mit dem Femifree eine Zwangspause einlegen, Schuld war mein dusseliger Bandscheibenvorfall. Der beschäftigt mich immer noch, aber inzwischen darf ich beides parallel: Krankengymnastik für Bauchmuskeln und unteren Rücken und Training mit dem Femifree. Heute geht es wieder los, und ich kann es kaum abwarten, nachher erst in die Manschetten und dann in meine weiteste Jogginghose zu steigen und loszulegen. Und wenn mir das vor lauter Vorfreude auf den Park und den Schweiß und die Lauf-App und dieses unschlagbare Gefühl, morgens nach einem Lauf durch den Platzregen unter der Dusche zu stehen, wieder mal alles viel zu lange dauert, dann befehle ich mir hiermit, immer dran zu denken, dass Laufen zwar noch ein bisschen dauert - immer noch ein bisschen und noch ein bisschen, schon seit über zwei Jahren - aber dass vor ein paar Wochen Husten, Lachen, Erschrecken, Stolpern, Niesen und einfach nichtsahnend die Straße entlang Spazieren noch ein Problem waren. Zumindest manchmal. Und den Trocknerbehälter ausleeren, das auch.

Davon abgesehen, dass er mich näher an den Park bringt, hat das Femifree noch einen Bombenvorteil, den man als Mutter von Kleinkindern nicht genug loben kann: er ist (ähnlich wie die Stillsitzungen früher) eine 1A Ausrede für eine Auszeit. Ich schnalle mir die Manschetten um und muss jetzt leider, leider, so leid es mir tut, eine halbe Stunde unbehelligt stillstehen. Zum Beispiel vor dem Fernseher oder mit einem Buch oder einem Kochlöffel in der Hand, während ich seelenruhig ein Risotto rühre. Waaas, Kalle sucht seinen Teddy? L. will wissen, wo sein Schlüssel ist? Wie schade, jetzt muss ich leider noch einen Moment hier stehen, ihr Süßen! Sorry, Sorry, Sorry, hier geht’s um ein gesundheitliches Problem, das werdet ihr wohl verstehen. Und fünf Minuten später haben sie den Teddy und den Schlüssel auch ohne meine Hilfe gefunden, und ich bin insgesamt hochzufrieden, wie das hier so läuft mit mir und dem Femifree.

Montag, 7. Dezember 2015

Mein elektrischer Beckenboden

Man sollte es nicht denken, wenn man z.B. mein Verhalten vor Prüfungen beobachtet oder mich beim Kofferpacken, aber ich liebe, liebe, liebe es, einen Plan zu haben und mich dann daran zu halten. Neben Nerdigkeit und der Aussicht, dass es tatsächlich funktionieren könnte, ein weiterer dicker Pluspunkt für femifree. Seit ein paar Tagen sieht dieser Plan folgendermaßen aus:
Die Kinder sind entweder im Tiefschlaf oder in der Kita. Ich bin einigermaßen frisch geduscht, und es steht kein Besuch ins Haus und auch sonst keine Aktivität, bei der ich keine Jogginghose tragen darf. Ich habe darüberhinaus eine gute halbe Stunde nichts vor, was hektische Aktivität erfordert. leichte Aktivität dagegen, die vor allem nicht viel Gelaufe und Gehopse erfordert, ist völlig ok. Jetzt ziehe ich einen meiner drei Tangas an, nehme die zwei schwarzen, mit Klettverschlüssen ausgestatteten Manschetten und wickele sie mir um Po und Oberschenkel. Das sieht, wenn man es richtig macht (wozu ich die ersten Male noch ein-zwei Anläufe brauchte) aus wie die Beine einer Radlerhose. Sitzen die Manschetten, schließe ich jede mit einem idiotensicheren Klickstecker an ein Kabel an, und das Kabel kommt an das Therapiegerät, das ich mir wiederum um den Hals hänge. Ich steige noch in die Jogginghose, um nicht eine halbe Stunde lang mit Tangapopöchen durch die Wohnung zu laufen, in der Hose hat die ganze Apparatur locker Platz. Dann drücke ich auf den Startknopf, wähle eine Impulsstärke, die knapp unter derjenigen liegt, mit der ich letztes Mal das Programm beendet habe, und los gehts. Jetzt soll ich nach Möglichkeit ruhig stehen, mit schulterbreiten Füßen und leicht gekipptem Becken - was eine viel bequemere Haltung ist, als es erst mal klingt - und das Maschinchen trainiert für mich.

Und wie ist das, diese Stromstöße? Erst mal nicht unangenehm. Wäre es unangenehm, würde ich die Stärke runterfahren. Es fühlt sich auch überhaupt nicht an, als käme das, was da passiert, von außen - meine Oberschenkel und der Beckenboden spannen sich an, ohne dass ich etwas dazu tun muss, und es britzelt ein bisschen, aber wer vielleicht mit Schrecken an den letzten Kontakt mit einem elektrischen Zaun oder dergleichen denkt, muss vor femifree keine Angst haben. Und wer trotzdem Angst hat, kann ja ganz langsam anfangen, bis er sich an das lustige Gefühl gewöhnt hat. (So habe ich es ehrlich gesagt auch gemacht und war binnen drei Sitzungen bei einer Stärke von fast 70 - so weit soll man eigentlich in den ersten ein bis zwei Wochen kommen.) Während der Sitzung kann man schon mal das Gefühl bekommen, da geht noch mehr - dann fährt man die Stärke einfach hoch.
Alle paar Sekunden fährt der Impuls durch die Muskeln, das dauert so ungefähr drei Sekunden, und danach sind wieder fünf Sekunden Ruhe. Während der Impulse soll man möglichst nicht herumlaufen, brauche ich also etwas vom anderen Ende des Raumes oder suche mein Telefon oder was auch immer, dann gehe ich entweder in den Sekunden zwischen den Impulsen jeweils ein paar Meter, oder, falls mir das zu affig ist, drücke ich auf Pause, ich tue was zu tun ist, drücke noch mal auf den Knopf, und es geht weiter. Ich finde aber, die halbe Stunde kriegt man ganz gut organisiert, ohne Pausen zu brauchen. Ich schreibe dabei z.B. (wie jetzt, brzzzz brzzzz), oder ich rühre ein Risotto, oder ich stelle mich vor die Glotze, oder ich bügele, oder was auch immer. Man soll dabei übrigens auch liegen können, habe ich aber noch nicht ausprobiert. Ist die halbe Stunde vorbei, hört das Gerät von alleine auf und piept kurz. Dann ziehe ich die Manschetten wieder aus, entstöpsele die Kabel und lege das ganze Päckchen beiseite. Man könnte alles in einem großen Schuhkarton verstauen. Oder in einer Schublade. Oder wie auch immer.
Und jetzt? Ob es wirklich funktioniert (hat), werde ich in 12 Wochen wissen, so viel Zeit braucht es wohl. Aber ich habe jetzt schon das Gefühl, es ist viel passiert. Ich will nicht ZU optimistisch sein, das war ich gerade bei diesem Thema jetzt schon ein paar Mal, aber… aber…

Bisher läuft es wirklich gut! Und obwohl das Programm vorsieht, dass man zwei Tage pro Woche pausieren kann, sehe ich absolut keinen Grund, das zu tun.

Hier der Verlauf bisher: die Zahlen sind die höchsten Impulsstärken pro Sitzung. Die speichert das femifree übrigens wohl auch, genau wie eine Menge anderer Daten, aber bisher brauche ich das noch nicht, ich kann mir das auch so ganz gut merken.
Erster Tag: 54.
Zweiter Tag: 57.
Dritter Tag: 62.
Vierter Tag: 66.
Fünfter Tag: 70.
Sechster Tag: 74.

Brzzz-Brzzz. Gibt es hier eigentlich sonst noch eine, die das mal probiert hat? Und die was dazu erzählen kann?

Donnerstag, 3. Dezember 2015

Das Pipiproblem, siebenhundertzweiundachtzigste und hoffentlich fast letzte Folge

Ich muss mich kurz konzentrieren, um noch zusammenzubringen, was ich bisher an Geschützen gegen das Pipiproblem aufgefahren habe.
Da war zunächst mal eine Freestyle-Phase kurz nach Kalles Geburt, als ich noch dachte, das Problem verschwindet von alleine, so wie der Dammschnitt irgendwann nicht mehr zwickt. Die Freestyle-Phase sah so aus, dass ich Kegelübungen für den Beckenboden gegoogelt und dann so gut wie täglich auch gemacht habe. Ehrlich! Nur, dass das wirklich überhaupt nichts genützt hat.

Daraufhin habe ich mich im Blog beschwert und habe den Tipp mit Cantienica bekommen. Und obwohl ich sonst ziemlich Tipp-Resistent bin, habe ich mich zu einem achtwöchigen, stinketeuren Beckenboden-Spezial-Kurs angemeldet. Einmal wöchentlich habe ich Mann und Baby allein gelassen und bin nach Eimsbüttel gefahren. Das war nett! Nette Kursleiterin, nette Teilnehmerinnen, und es war schön, mal rauszukommen, und wenn es nur für zwei Stunden war. Zwischenzeitlich dachte ich auch mal, jetzt passiert was. Bis ich dann das nächste Mal wieder auf ein matschiges Blatt getreten oder über den Bordstein gestolpert bin und direkt wieder nach Hause gehen konnte, um zu duschen und mich umzuziehen.

Dann war ich auch schon wieder schwanger. Komischerweise war mir das Problem in der Schwangerschaft entweder egaler, oder ich hatte meine Blase wieder mehr unter Kontrolle, oder ich habe mich einfach vorsichtiger bewegt und instinktiv einen großen Bogen um Glatteis, Bordsteine und Salatblätter gemacht - wer weiß. Vielleicht war es auch genau so schlimm, und ich habe es vergessen. Oder das Pipiproblem trat angesichts von Kreislaufproblemen, Klumpfußdiagnose usw. einfach in den Hintergrund. Jedenfalls: ich war schwanger, Sport habe ich keinen getrieben, dann kam Michel, und mit Michel war auch das Pipiproblem wieder da.

Dann habe ich meiner Frauenärztin (nicht zum ersten Mal) besonders eindringlich davon erzählt, und sie hat mir Physio verschrieben. Die Physio war eine der nutzlosesten Erfahrungen meines Lebens. Die Übungen waren eher noch unwirksamer als mein zusammengegoogeltes Freestyle-Anspannen, die Physiotante nervte wie Hulle, meine Blase tanzte mir weiterhin auf der Nase herum.

Dann die Elanee-Gewichte. Vier Stück, von leicht nach ganz schön schwer, die ich zweimal täglich für zehn Minuten beim Stehen und Gehen tragen sollte. Es tat sich offensichtlich etwas: während ich am Anfang das leichteste Gewicht gerade mal dreißig Sekunden halten konnte, war ich nach ein paar zähen Monaten imstande, das schwerste Gewicht zu tragen und so lange zu vergessen, bis mir irgendwann auffiel, dass ich es jetzt seit fast einer Stunde herumtrug. Da musste sich also etwas getan haben. Hurra! Schade nur, dass das Pipiproblem ziemlich unbeeindruckt blieb von der neugewonnenen Muskelkraft. Ich hatte jetzt zwar seltener damit zu tun, dass auch ohne jeden Anlass einfach mal die Hose nass war - nur so zum Spaß, während ich mit hochrotem Kopf die Straße entlanglief und den Optimismus verfluchte, mit dem ich heute morgen die Pipibinde weggelassen hatte. Aber das Salatblattproblem bestand immer noch, genau wie das Hust-, Nies-, Lach-, Erschreck- oder Tanzproblem.

Und bei all dem kam das große Ziel immer noch keinen Zentimeter näher, endlich wieder die Laufschuhe anzuziehen und um den Park zu rennen.

Aber jetzt! Vor ein paar Monaten blätterte ich in einer alten Brigitte Mom, und da stand etwas von femifree: einem Gerät zur elektrischen Beckenbodenstimulation, mit dem die Muskeln gestärkt und die Wahrnehmung für die “richtige” Anspannung geschult werden sollte. Das klang ziemlich gut für mich, nicht zuletzt deshalb, weil ich als Nerd natürlich Feuer und Flamme bin für die Aussicht auf Gelpads, Elektrogebrizzel und piepende Geräte. Hätte in der Brigitte Mom etwas über ein Beckenbodentraining via Schwerelosigkeit oder Laserschwert gestanden, meine Hand wäre oben gewesen. Innerhalb von zwei Minuten war ich auf der femifree-Seite, guckte mir das Demo-Video an und zuckte automatisch nach dem Kaufen-Button. Da klingelte es an der Tür, die Nachbarin stand draußen, und irgendwie kam ich aus dem Konzept und dachte erst ein paar Stunden später wieder an das Wunderding. Zum Glück, denn in diesem Moment hatte ich die Idee: was, wenn ich das Gerät im Blog teste? Kreisch!!!!! Vorteile, wohin man schaut:
* Ein Testgerät, das mich zauberhafterweise überhaupt nichts kostet
* Eine 1a Gelegenheit, endlich mal wieder seitenweise herumzunerden
* Die eingebaute Garantie, dass ich das durchziehe - die Bloggerehre steht auf dem Spiel, da wird nicht geschwänzt, egal, warum
* Ein Testgerät, das mich zauberhafterweise überhaupt nichts kostet
* Falls es funktioniert, wovon ich erst mal fest ausgehe, tue ich auch noch ein gutes Werk, indem ich den ebenfalls unterhosenmäßig herausgeforderten Ex-Abkürzungsdamen von diesem Weg heraus aus der Tena-Zielgruppe erzähle
* Ein Testgerät, das mich zauberhafterweise überhaupt nichts kostet.

Und so kam das, dass ich erst an die Infoadresse mailte, fast sofort eine sehr nette Antwort bekam von einer Dame, die versprach, das an die Geschäftsführung weiterzugeben, und ein bisschen später kam tatsächlich noch eine Email, und so ging das weiter: femifree erzählte von femifree, ich erzählte vom Blog, und ziemlich schnell waren wir uns einig, dass die beiden gut zusammen passen würden. Ich sollte also wirklich ein Testgerät bekommen und das wohlwollend, aber trotzdem ehrlich und kritisch prüfen und darüber berichten. Dann ging das Paket auf die Reise zu mir. Und ich war nerdmäßig ungefähr so hochgestimmt wie zuletzt, als ich damals auf meine neue wii gewartet habe. Leider gab es dann noch eine kurze Verzögerung, denn das Paket kam mitten im Umzug an, und so gern ich auch sofort den Akku aufgeladen und losgelegt hätte, es ging einfach nicht, ganz davon zu schweigen, dass die einzelnen Teile des Geräts vermutlich erstmal auf Soschnellnichtwiedersehen in den achttausend Kartons verschwunden wären. Also habe ich mich zusammengerissen, den Karton erst mal nicht aufgemacht und gewartet. Und Möbel geschleppt. Und gewartet. Und Kisten ausgepackt. Und gewartet. Und Berge von Kram in “brauchen wir irgendwann mal wieder”, “ist absolut lebenswichtig” und “welcher Idiot hat das angeschafft?” sortiert. Und gewartet. Warten ist nicht meine starke Seite, aber gewartet habe ich.
Bis gestern! Gestern habe ich zum ersten Mal den Beckenboden nach der Dr.Snuggles-Methode traininert. Und was soll ich sagen: das lief nicht schlecht. Überhaupt nicht schlecht! Und davon, liebe Abkürzungsdamen und Ex-Abkürzungsdamen, berichte ich morgen.

Schnall Dich an, Pipiproblem: jetzt werden hier andere Saiten aufgezogen.




Mittwoch, 4. November 2015

Noch geht tippen schneller als laufen. Aber demnächst!

Der erste Geburtstag, den wir hier gefeiert haben, war L.s vierzigster. Auf einmal hatten wir ein Haus. Auf einmal hatte L. Geburtstag. Und auf einmal hatte L. ziemlich viele Leute eingeladen, die auch noch alle kommen wollten. Die Küche ist winzig, aber irgendwie haben wir es geschafft, 30 Leute zu bewirten. Morgen feiern wir hier den letzten Geburtstag: Michel wird ein Jahr alt. Wie immer bei Umzügen ging es mir auch diesmal: erst wurde mir klamm bei dem Gedanken. Dann ist dieses Klamme langsam verflogen, und ich habe mich behaglich eingerichtet im Verabschieden. Und dann ging es irgendwann los, und auf einmal konnte ich noch nicht mal mehr sagen, wann hier der letzte Tag war, an dem noch alles normal und in Ordnung war. Jetzt ist hier nichts mehr normal und in Ordnung, die meisten Regale sind halb leer, die Hälfte der Stühle ist weg, fast alle meine Kleider (was nicht so schlimm ist, denn ich trage sowieso 10% meiner Kleider fast jeden Tag und den Rest theoretisch irgendwann demnächst bestimmt), und hätte ich mich nicht aufgeführt wie eine Furie, dann hätte ich auch keine Backform mehr gehabt für Michels Geburtstagskuchen. Jetzt ist das hier wirklich vorbei. Und ich bin sehr traurig und freue mich trotzdem auf das, was als Nächstes kommt. Ich hoffe, ich kann bald mehr dazu schreiben, aber gerade tippe ich hier gegen die Uhr an, denn aufgrund von Verwicklungen, die zu erläutern ich keine Zeit habe gerade, hüstel-hüstel, dreht die Telekom uns das W-Lan irgendwann heute ab. Ja, ich habe genau so gestaunt! Jedenfalls wissen wir noch nicht, wann in der neuen Butze Internet ist, und hier kann es jede Sekunde vorbei damit sein.

Also wieder mal ein Telegramm von mir.
Erstens: die Jungs.
Michel ist seit Montag in der Kita-Eingewöhnung. Für alle noch-nicht-Eltern: Kinder kommen nicht ZACK plötzlich für ein paar Stunden in die Kita, sondern sie werden langsam daran gewöhnt. Am ersten Tag eine Dreiviertelstunde, am zweiten, dritten und vierten Tag auch, und Mama oder Papa sitzen dabei. Dann steigert sich das, bis sie irgendwann so weit sind und die Dinge ihren Lauf nehmen können. Michel macht das toll, viel besser als erwartet. Er krabbelt neugierig los, strahlt die Kinder an und die Spielsachen, würdigt mich keines Blickes und ist sensationell gut gelaunt. Kalle dagegen hat scheinbar ernsthafte Revierverteidigungsprobleme. Wird das? Bestimmt. Hoffe ich jedenfalls und knirsche mit den Zähnen.

Zweitens: der Job.
Ganz ehrlich: ich habe gerade keine Ahnung, wie es weitergehen soll. "Nutze das als Chance! Besinne Dich neu! Du kannst alles machen, was Du willst!" Genau. Ich habe die Hosen gestrichen voll.

Drittens: Mamas Gesundheit.
Ist vielleicht eine kleine Erklärung dafür, warum der Unternehmergeist gerade nicht so richtig in Fahrt kommt. Seit Juni habe ich jetzt diese Schmerzen in der Hüfte. Morgens beim und nach dem Aufstehen ist es am schlimmsten, aber Nachts ist es ein knapper zweiter Platz, und ich kann inzwischen kaum mehr eine Nacht ohne Schmerztablette schlafen. Inzwischen bin ich geröntgt, morgen erfahre ich, was es auf diesen Bildern zu sehen gibt und was das bedeutet. Mittlerweile bin ich fast so weit, dass mir egal ist, was es ist, Hauptsache, ich kenne endlich seinen Namen. Meine Geduld, noch nie meine starke Seite, ist vollkommen erschöpft. Und nicht nur das, inzwischen führen die Schmerzen auch zu einer massiven Fehlhaltung. Innerhalb kürzester Zeit habe ich mir jetzt alle Schuhe schiefgetreten, und aus ursprünglich nur Hüftschmerzen sind inzwischen auch Knie- und Fußschmerzen geworden. Sapristi! Ich finde wirklich, für Zipperlein bin ich noch zu jung.
Ach ja, und die Blutungen: gerade habe ich zum dritten Mal in dreieinhalb Wochen meine Tage. Aber laut gründlichem Ultraschall ist alles gut. Es gibt ein kleines Myom, aber das ist für mich myommäßig ein Superschnitt, und es kann laut Frauenärztin auch nicht für so viel Blut sorgen. Sie vermutet seelische Ursachen. "Seelische Ursachen!" Ich finde sie nett, darum bin ich ihr nicht direkt ins Gesicht gesprungen, wie ich das sonst in diesem Fall immer tue. Nun habe ich nicht nur Zorn auf meine Hüfte, mein Knie und meinen Fuß, sondern auch auf meine Seele. Es wird ein bisschen einsam hier.

Viertens: der Plan.
Ich habe das noch nie getan: den Blog gemolken. Jedenfalls bilde ich mir das ein. Ok, ich habe ein Buch daraus gemacht, und ab und zu habe ich euch angehauen, ob vielleicht eine Lust hat, ein Interview zu geben, aber davon abgesehen davon - nichts. Jetzt habe ich wieder mal in Sachen Pipiproblem gegoogelt und gegoogelt und bin auf eine Option gestoßen, die zwar vielversprechend klang, die ich mir aber gerade vom Elterngeld nicht leisten kann. Also habe ich den Hersteller dieser Option angeschrieben und ihm von mir und meinem Blog erzählt. Bin ich rot geworden, während ich die Email geschrieben habe? Ich fürchte ja. Aber es hat sich gelohnt, denn jetzt darf ich sein Gerät testen und darüber berichten. Heute macht sich irgendwo im tiefsten Baden-Württemberg ein Päckchen auf den Weg, und ich glaube fest daran, dass es mich ein gutes Stück näher an meine heiß ersehnte erste Runde um den Park bringt.

Freitag, 16. Oktober 2015

Der Lack ist ab.

Da hätten wir erstens das Pipiproblem. Ich will nicht schon wieder ausholen, aber es ist immer noch da. Immer dann, wenn ich nicht dran denke und es eilig habe, immer dann, wenn mich ein Nieser oder Huster ohne Vorwarnung erwischt, immer dann, wenn ich auf einem nassen Blatt ausrutsche oder umknicke, und am liebsten dann, wenn alle Hosen außer dieser gerade in der Waschmaschine kreisen oder wenn ich auf dem Weg irgendwohin bin, wo ich eine nasse Hose nicht gebrauchen kann (und seien wir ehrlich, wo kann man die gebrauchen?)

Dann die Krampfader. Ich hatte die OP, die blauen Flecke sind so gut wie verschwunden, zur großen Enttäuschung von Kalle, der immer noch täglich darum bittet, sie sehen zu dürfen. Die Schnittstellen sind immer noch dunkellila, aber auch das wird verschwinden. Was aber geblieben ist, ist ein dumpfiger Schmerz in der Wade, und genau seinetwegen habe ich die OP überhaupt machen lassen. Kann also gut sein, dass der Arzt da noch mal ran muss. Vielleicht hat das aber auch mit der Krampfader gar nichts zu tun, sondern liegt an... tadaaa...

Der Hüfte. Ich weiß noch nicht mal genau, ob das anatomisch korrekt die Hüfte ist. Aber sie tut weh, so weh, dass ich manchmal laut aufheule, wenn ich morgens aus dem Bett steige oder nachts um fünf, um eine Flasche zu machen für Michel. Nachts und morgens ist es am schlimmsten. Heute nacht dachte ich schon, ich hätte einen Kniff gefunden: mit einem dicken Kissen zwischen den Knien schien es etwas besser zu gehen. Aber am Morgen wurde klar, dass ich dafür dann beim Aufstehen den doppelten und dreifachen Preis bezahlen muss. Der Orthopäde hat gesagt, ich soll ruhig Ibuprofen nehmen (und der Venenarzt hat sowieso gesagt, das soll ich rund um die Uhr nehmen, dann verschwinden die Hämatome schneller), aber davon wird mir langsam gelinde gesagt schlecht. Nächsten Donnerstag habe ich einen Röntgentermin. Mit dem Röntgenbild gehe ich dann wieder zum Orthopäden. Sollte der (was er schon angedeutet hat) daraufhin ein MRT oder sowas wollen, dann werde ich ihn bitten, sofort zum Hörer zu greifen und mir innerhalb der nächsten Stunden eins zu besorgen, denn ich will keine weiteren Wochen darauf warten, das geht hier nicht mehr lange gut. Er vermutet aber "etwas Rheumatisches, vielleicht auch einen Lupus." Womit wir schon wieder beim nächsten Punkt wären:

Der Magen. Ich weiß nicht, was da los ist. Ich bin nur froh, dass ich gerade erst eine Darmspiegelung hatte, wenigstens da bin ich sauber. Denn irgendwas ist faul. Vielleicht ja wirklich nur Ibuprofen. Aber ich habe so gut wie keinen Appetit auf gar nichts mehr. Ich hatte mich schon gefreut, nach der Geburt ziemlich fix wieder dünn zu sein, genauer gesagt, jetzt neuerdings dünn, denn dünn war ich genaugenommen vorher seit zehn Jahren nicht gewesen. Jetzt bin ich zwar dünn, aber auch wieder nicht glücklich (q.e.d.). Ich stehe im Supermarkt und bin völlig ratlos, was ich essen und kaufen will. Der vegetarische September war auch deshalb ein Erfolg, weil ich einfach auf nichts Bock hatte, weder auf Rippchen noch auf Steaks oder Hähnchenflügel. Es ist auch auf keinen Fall ein Überdruss am üblichen fettigen Essen, von dem ja gerade so viele Leute erzählen, die einen in Bahnen lenken wollen, an deren Ende Quinoa und Paleo und was weiß ich stehen. Ich habe genau so wenig Lust auf vietnamesische Brühen mit Zitronengras und Chili wie auf Schweinebraten. Das war noch nie, so weit ich mich erinnere, und es gefällt mir nicht.

Und dann ist da noch der Husten. Den hat mir meine Osteopathin verpasst, die hatte mich vorgewarnt, erkältet zu sein. Erkältet war ich selbst gerade, deshalb habe ich mit der mir eigenen Arroganz in Gesundheitsdingen gesagt, das kann ich ab. Jetzt huste ich, und jeder Huster fährt mir wie ein Messer durch die Hüfte (davon, dass nach manchen die Hose nass ist, wollen wir gar nicht sprechen). Wenn es eins gibt, was noch ätzender ist als Reizhusten, dann ein Reizhusten, dem man nicht nachgeben darf.

Und dann habe ich auch noch gerade meine Tage. Was nicht weiter der Rede wert wäre, wenn nicht... Moment... fing nicht der allererste Post dieses Blogs, damals, 2009, genau so an? Egal. Wenn ich sie nicht vor zwei Wochen schon gehabt hätte. Das kann nicht gut sein. Entweder, die Myome sind wieder da, oder was weiß ich. Nächste Woche habe ich zum Glück auch einen Termin bei meiner Frauenärztin, dann sehen wir weiter, was für neue Gesundheitsabenteuer auf mich warten oder vielleicht auch nicht.

Öchö, Öchö. Hust, Hust. Blut, Blut. Stöhn, Stöhn. Humpel, Humpel. Ächz, Ächz. Das ist doch kein Leben für ein... äh... 42jähriges junges Mädchen!



Freitag, 9. Oktober 2015

Schon wieder dieser Pipikram

Vor ein paar Tagen hatte ich einen Arzttermin bei einem Orthopäden. Der Orthopäde ist ein alter Sportkumpel von L., und L. war es gründlich leid, seine Frau ständig krumm wie ein Fragezeichen, ächzend und fauchend durch die Welt humpeln zu sehen. Es war zwar nicht so, dass ich nichts in Sachen Hüfte unternommen hatte: ich war schon bei einem Orthopäden gewesen, der mich mit einer ziemlich flott gestellten Diagnose zur Physio geschickt hatte. Bei der Physio war ich ebenfalls gewesen, fünf mal. Und dann war ich auch noch bei meiner Osteopathin gewesen, der das alles ganz schön komisch vorkam und die sich ziemlich sicher war, dass die erste Diagnose falsch gewesen war. Aber unterdessen war das Problem immer schlimmer geworden. Nachts kann ich inzwischen ohne Schmerztabletten kaum noch schlafen, und zumindest vormittags entfährt mir manchmal ein ausgewachsenes Aufheulen, wenn ich von einem Stuhl aufstehe. Und der nächste freie Termin bei "meinem" Orthopäden oder seinen Praxiskollegen wäre irgendwann in der Adventszeit zu haben gewesen. Jetzt hatte L. beim Training mit seinem Orthopädiefreund um einen Termin am nächsten Tag für mich gespielt und gewonnen. So dass ich um die Mittagszeit frisch geduscht und manierlich angezogen auf dem Weg zur Bushaltestelle war. Der Bus in Richtung Orthopädiepraxis fährt nur alle 20 Minuten, und obwohl die Abfahrtszeit noch über zwei Minuten entfernt war, stand er schon mit laufendem Motor und scharrenden Hufen an der Bushaltestelle. Also bin ich gerannt. Der Busfahrer warf mir einen giftigen Blick zu, machte die Tür vor meiner Nase zu und fuhr einfach los. Zusammen mit drei anderen fluchenden und eigentlich pünktlichen Fahrgästen blieb ich an der Haltestelle zurück. Leider mit einer frischen kleinen Pfütze in der Hose. Obwohl ihr in den letzten Monaten öfter mal von mir gehört habt, wie viel besser das Pipiproblem inzwischen geworden ist, wie toll die Gewichte wirken und dass ich extrem optimistisch bin, demnächst wieder durch den Park traben zu können: sowas passiert immer noch. Ich renne sieben-acht Schritte wie auf rohen Eiern und in gemächlichem Tempo, und die Hose ist nass. Und das auf dem Weg zu einem Arzt. Bei dem ich garantiert die Hose ausziehen muss. Und der seine Aufmerksamkeit genau der Region widmen muss, in der das Malheur passiert ist. So dass ihm das nicht entgehen kann. Der außerdem mit L. befreundet ist.
Zum Glück gab es noch die Möglichkeit, mit der Ubahn und dann der Sbahn zu ihm zu fahren. Das habe ich dann getan und war rechtzeitig da, um noch schnell in eine Drogerie zu huschen, eine Unterhose und ein Päckchen Feuchttücher zu kaufen und mich im Affenzahn auf der Praxistoilette wieder blütenrein herzurichten. Aber trotzdem: so geht's nicht weiter. Die Geburt von Michel ist fast ein Jahr her. Irgendwann demnächst wird Kalle trocken sein. Und Mama sollte das auch schaffen. Ich will und werde mich nicht damit abfinden, den Rest meines Lebens gelegentlich in die Hose zu machen, jedenfalls nicht, bevor ich nicht mindestens 70 bin. Für eine OP, habe ich mir sagen lassen, bin ich noch zu jung. Mit Physio bin ich durch. Die Gewichte haben getan, was sie konnten. Sie haben eine Menge für mich getan, bestimmt 60% der Strecke zur trockenen Hose haben sie für mich bewältigt, aber die letzten 40% würde ich gerne auch noch schaffen.

Und ich habe einen Plan. Mal sehen, was daraus wird. Ich werde berichten.

Dienstag, 19. Mai 2015

Sechs Dinge, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben

Als ich heute morgen Kalles Windel geöffnet habe, kam mir eine dicke Fliege entgegen gebrummt und hat eilig das Weite gesucht. Wie auch immer meine Nacht war: ihre war jedenfalls schlechter.

Ich habe einen ganz tollen Mütter-Blog entdeckt, und jetzt gähnen vermutlich alle, weil sie ihn längst kennen: the ugly Volvo. Den hätte ich gerne selbst geschrieben, bin aber leider nicht lustig genug. Ich bin sehr glücklich, eine Mütterseite gefunden zu haben, auf der es nicht um diese ewigen angeblich magischen Momente und um Deko geht.

Politik für Kleinkinder scheint out zu sein. Kalle bekommt seit ein paar Wochen gerne vorgelesen. Er schleppt ein Buch nach dem anderen an. Die meisten handeln vom Einschlafen (Gute Nacht Gorilla, das Einschlafbuch, bei dem man immer das Licht ausmachen muss und dessen Titel ich vergessen habe, Gute Nacht Karlchen...), haben aber keine einschläfernde Wirkung, im Gegenteil: Kalle ist sehr aufgeregt, wenn er die einzelnen Tierarten findet und ihre Namen kräht. "PASCHE! ASCHE! PANT! HASE! PERD!!! DIEL!!! HYÄNE!!!!! LULLA!!!!! BOSCH!!!!!!!!!" usw. Jedenfalls ist mir aufgefallen: als ich klein war, ging es selten ab ohne eine wichtige, gesellschaftskritische Botschaft. Es gab z.B. den Maulwurf Grabowski, der handelt davon, dass die Bauarbeiter die schöne grüne Wiese des Maulwurfs kaputt machen und ihn aus seinem Zuhause vertreiben. Dann muss er fliehen - vor dem Bagger, über Straßen, es ist schrecklich - und am Ende findet er eine neue Wiese. Ich weiß noch, dass ich als Kind ganz bang dachte: schön, aber für wie lange? Wann kommen auch hier die Bauarbeiter und knallen da ein Hochhaus hin? Es gab dieses Buch, bei dem man erst ein schönes grünes Dorf sieht, und dann sieht man, wie im Lauf der Jahre eine pottenhässliche Betonwüste daraus wird. Ich hatte eine Schülerzeitschrift, die Flohkiste. Auf dem Titel waren z.B. durch sauren Regen zerstörte Bäume und darüber ein Zifferblatt, auf dem es fünf vor Zwölf war. Im Heft ging es auch um das Artensterben, um den Hunger in der dritten Welt, um die Bedrohung durch Atomkriege und Supergaus, um Müllberge oder darum, was alles schief gehen kann, wenn Kinder mit Plastiktüten oder Elektrogeräten spielen. Meine Kindercassetten waren von Christiane und Frederik, die sangen z.B. davon, wie die Leute sich an den Kastanienbaum ketten, damit der Baulöwe ihn nicht umhaut, oder gegen Ausländerfeindlichkeit und davon, dass wir die Gastarbeiter brauchen, oder davon, wie hart das Leben eines Landwirts ist, wenn er für seine Milch und sein Getreide zu wenig Geld bekommt. Meine Eltern waren bestimmt keine linken Aktivisten, aber so war das damals. In der Schule lasen wir dtv Junior-Bücher, in denen es um Drogen und Behinderung und den Holocaust ging. Heute gibt es das nicht mehr, oder irre ich mich? Ich habe das Gefühl, in Kinderbüchern geht es um Tierarten, um Spaß, um kleine lustige Abenteuer und darum, dass abends alle in ihrem Bettchen liegen und glücklich einschlafen. Im Froschteich schwimmt kein Müll, auf der Wiese rückt niemals ein Bagger an, und der Wald sieht so grün und saftig aus wie vor hundert Jahren. Was ist da los?

In drei Wochen steigen L. und ich in zwei unterschiedliche Flugzeuge und fliegen nach New York. Die Kinder bleiben hier in der Obhut ihrer liebevollen Großeltern, ein Kindermädchen kommt jeden Tag und hilft für ein paar Stunden, und die Kita ist ja auch noch da. Zwei unterschiedliche Flugzeuge, weil meine Mutter das gerne so möchte; sollte ein Elternteil abstürzen, ist noch einer übrig. Damit beginnt dieser Urlaub für mich schon so, wie er besser kaum beginnen könnte: vom Start über den Zwischenstopp in Amsterdam bis zur Landung habe ich zehn Stunden Zeit zu lesen. Aber auch sonst bin ich hysterisch vor Tatendrang. Ich muss aufpassen, dass die Liste der Absichten nicht so lange wird, dass der Urlaub sich am Ende auf jeden Fall wie ein Reinfall anfühlt, weil ich nur zehn Prozent davon geschafft habe. Ich habe schon oft und sicherheitshalber noch öfter geschrieben, wie dankbar ich bin, Kinder zu haben. Aber gerade bin ich mindestens so dankbar, Eltern zu haben. Oma&Opa, Hip Hip Hurra!

Ich weiß nicht genau, wie viele Haare man als durchschnittliche Erwachsene hat, aber ein großer Teil davon hält sich gerade nicht auf meinem Kopf auf. Die Mauser nach der Geburt ist da, seit sechs Wochen, und macht keine Anzeichen, endlich zu Ende zu gehen. Während der Schwangerschaft habe ich so gut wie keine Haare verloren, jetzt dafür alle auf einmal. Damals habe ich alle drei Wochen mal die Haarbürste saubergemacht, jetzt dreimal am Tag. Ich muss täglich saugen, sonst werde ich verrückt. Wenn ich eine Jacke anhatte, kann ich anschließend zwischen zwölf und dreißig Haare aus der Kapuze klauben. Ich traue mich nicht mehr, für Gäste zu kochen, und wenn ich für die Familie koche, setze ich eine Mütze auf. Michel fiestere ich ständig Haare aus den Fäustchen, und jetzt höre ich auf darüber zu schreiben, denn es ist wirklich sehr, sehr widerlich alles. Mal ehrlich, sechs Wochen, das reicht doch jetzt?

Gestern war ich mit L. und Michel unterwegs und noch dreißig Meter von der Straße entfernt, als die Fußgängerampel grün wurde. Da sind wir dann rübergerannt auf die andere Seite. Und ich musste nicht nach Hause gehen, duschen und mich umziehen. Beckenboden, bald bist du reif. Ich fürchte, ich werde heulen, wenn es wirklich so weit ist, ich durch den Park trabe, und das Pipiproblem muss zuhause bleiben und darf nicht mit.


Freitag, 20. Februar 2015

Wird. Bestimmt, oder?

Einige Dinge lernt man mit der Zeit. Dazu gehört zum Beispiel, mit einem einzigen zarten Feuchttüchlein eine erstaunliche Menge Dünnschiss zu entfernen. Oder am Geknötter zu erkennen, ob Hunger, Kälte, Weltschmerz, Langeweile oder Müdigkeit das Problem ist. Oder Dinge mit Kind auf dem Arm mit einer Hand zu erledigen, für die man früher drei gebraucht hätte. Oder die Bude abends innerhalb von fünf Minuten zumindest oberflächlich betrachtet wieder so hinzuräumen, dass sich Erwachsene dort wohl fühlen können. (Und sich in trügerischer Sicherheit vor Kinderkram wiegen. Gerade bin ich in die nur schummerig beleuchtete Küche gegangen und habe mich dann mit einer Schüssel Heringssalat in der Hand hingepackt, weil ich auf Kalles Rutscheauto getreten bin, das ich aber ansonsten sehr empfehlen kann. Es ist ein italienisches Auto der Firma Italtrike, und es ist so ungefähr in jeder Hinsicht besser als ein Bobbycar: völlig geräuschlos, mit einem Gummirand zum Schutz von Möbeln, Türrahmen und Elternschienbeinen und extrem wendig. Eine Transportbox für Schätze hat es auch. Der Heringssalat hat sich auf einer Fläche von vier Quadratmetern verteilt.) Andere Dinge dagegen kriege zumindest ich wohl nie hin. Kein schlechtes Gewissen zu haben, egal weswegen. (Kind ausgeschimpft wegen ausgeleerten Müeslis: schlechtes Gewissen wegen Hartherzigkeit und trauriger Kinderaugen. Kind Müesli ausleeren lassen: schlechtes Gewissen wegen Erziehungsfaulheit und Prinzipienlosigkeit. Usw. usf.) Einen ganzen Tag zu überstehen, ohne ein Kind mit dem Namen des anderen anzusprechen. Oder einen ganzen Tag zu überstehen, ohne dass Kalle mindestens einmal mein Telefon in den Fingern hat, von meinem Teller isst oder aus meinem Glas trinkt, oder zwei verschiedene Socken anhat.

L. hat für 2015 einen Jesper-Juul-Abreißkalender gekauft, der uns jeden Tag mit einer anderen Erziehungsweisheit beglückt, und wenn er den Spruch des Tages vorliest, denke ich meistens nur patzig "Wäwäwäwäwä", "Jesper Jesper Polyester" oder etwas ähnlich Unseriöses. Andere verinnerlichen das alles sofort und setzen es auch mit links gleich in die Tat um! Ich aber nicht. Lange Zeit fühlte es sich trotz vollgeschriebenen Mutterpasses, nächtlichen Gebrülls und Milchstaus so an, als würde aus mir nie eine Mutter werden. Ich war so lange keine, vielleicht ja deshalb. Bis ich vor ein paar Tagen zum Einkaufen geschoben bin und zufällig mein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe gesehen habe: Frau mit dunkelblauem Parka, enger Jeans, Uggboots, Häkelmütze, Doppelkinderwagen und zackigem Gang. Und da hat es mich wie ein Schlag getroffen: ich bin eine Hamburger Mutti. Bzw. diese Hamburger Mutti, das bin dann wohl ich.

Ok, bevor Michel wieder losbrüllt, schnell die Themen:

Kalles neue Kita
Es ist nicht zu fassen, aber nach anfänglichem Schneckentempo hat Kalle seit gestern offiziell die eigentlich vierwöchige Eingewöhnungsphase hinter sich. Jeden Tag geht er jetzt von neun bis drei in die Kita, und wir sind begeistert. Dort nehmen sie alles, wirklich alles, ganz genau. Die Stärken dieser Kita liegen mit anderen Worten genau an den Stellen, an denen ich meine Schwächen habe. Und das gibt mir das Gefühl, ob zu Recht oder zu Unrecht, jetzt wird alles gut. Michel ruft nach mir, bisher ist es nur so ein diffuses Gemecker, aber gleich könnte mehr draus werden, deshalb im Schweinsgalopp weiter.

Michel
Michel hat seit ein paar Tagen bemerkt, dass er einen großen Bruder hat. Pflanzt sich Kalle vor ihm auf und zeigt ihm, wo seine Ohren, Augen, Mund und Nase sind, dann strahlt Michel ihn hingerissen an. So ein Lächeln habe ich von ihm noch nie bekommen, und Kalle lächelt zurück. Diese Momente können für eine Menge zerbrüllte Nachtruhe entschädigen, auch wenn sie nichts gegen die Augenschatten ausrichten. Ich habe außerdem gestern mal meine Badezimmerkommode aufgeräumt und festgestellt, dass ich noch für 24 Tage Femibion II habe, das stinketeuere Vitamin-Präparat für Schwangerschaft und Stillzeit. Ich habe jetzt mal so vage beschlossen, wenn die Tabletten aufgebraucht sind, stille ich ab. Jetzt sind fast vier Monate um und damit mehr Zeit, als Kalle insgesamt hatte. Es läuft nicht schlecht, aber es reicht immer noch nicht - ohne Fläschchen geht es nicht ganz. Und zwar genieße ich die kleinen Pausen, die Michel und ich zusammen haben können, wenn es irgendwie drin ist, mich mit ihm zum Stillen nach oben ins Bett zu verziehen. Aber diese Pausen sind dünn gesät, und auf dem Sofa oder im Sessel ist es wirklich nicht leicht, weil er erstens so groß ist und zweitens durch die Schiene so steif. Außerdem würde ich gerne irgendwann demnächst mit den ersten Breichen anfangen, und spätestens dann ist Schluss. Ich habe das Gefühl, wir sind so weit, das hinter uns zu lassen. Bevor eine findet, das klänge jetzt so, als hätten wir auch unsere Probleme hinter uns gelassen: haben wir nicht. Er brüllt, ich gähne. Aber auch gähnend sind seit dem letzten Post schon wieder mehrere Tage vergangen, und damit sind wir wieder ein paar Tage näher an dem Moment, an dem er seinen inneren Sonnenschein findet.

Das Pipiproblem
Dazu muss ich noch mal gesondert schreiben. Natürlich ist es als Versuchsaufbau nicht schlau, gleichzeitig die Physio und das eigenmächtige Training mit den Gewichten anzufangen. Da könnte ja jeder kommen, hinterher zu sagen, die Gewichte haben es gewuppt. Aber im Moment habe ich schon das Gefühl, die Gewichte tun mehr für mich als die Physio, und die Gewichte kann ich tatsächlich problemlos in meinen Alltag einbauen. Die Physiotherapie-Stunden laufen über weite Strecken so, dass ich auf einer Liege liege und unter Aufsicht der Expertin den Beckenboden anspanne, was sich gleichzeitig sehr anstrengend und sehr wirkungslos anfühlt - komische Kombination. Dazu muss ich auch nicht fünf Kilometer fahren und die Kinder wegorganisieren, das kann ich auch alleine. Ich habe sie jetzt schon mehrfach gebeten, mir ein paar Übungen beizubringen, die etwas sportlicher sind. Sie sagt, die gibt es nicht. Hm.
Aber zum Glück habe ich ja die Gewichte, und mit denen geht es tatsächlich voran. Mit Gewicht Nr.2 schaffe ich jetzt schon problemlos acht Minuten, wenn ich mich bewege, und zehn oder mehr, wenn ich stillstehe. Für jeden Tag, an dem die Pipibinde trocken bleibt, klebe ich jetzt einen kleinen blauen Punkt in meinen Kalender. Es werden in letzter Zeit immer mehr.

Liebe Damen, ich muss jetzt leider ran hier. A cowboy's work is never done!

Mittwoch, 11. Februar 2015

Schnuddelpost

Ich sitze auf dem Bett, neben mir eine Tasse Tee, auf dem Schoß den Rechner. Kalle ist in der Kita. Michel ist vor zwei Minuten eingeschlafen. Und jetzt schreibe ich verdammt noch mal einen Post. Zwanzig himmlische Minuten lang sitze ich hier und habe nichts anderes zu tun. Und wenn der Kleine aufwacht, was dann? Dann, liebe Damen, wird ihn L. auf den Arm nehmen und hoffentlich trösten können. Und wenn die zwanzig Minuten um sind, dann ziehe ich meine letzte noch frische Hose an, laufe zur Bahn, fahre in die Stadt und nehme wahr und wahrhaftig einen Termin nur für mich in Anspruch: ich lasse mir den kaputten Rücken massieren, eine halbe Stunde lang.

Das miese an diesen seltenen Posts ist, dass es dann immer gleich so viel zu erzählen gibt, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Am besten vielleicht mit Michel:

Michels Gebrüll
Es gab inzwischen zwei-drei Nächte, die waren ehrlich ok. Nächte, in denen er drei, vier mal wach wurde und ich innerhalb von Sekunden natürlich dann auch, dann habe ich ihn gestillt, und wir sind beide wieder eingeschlafen. Das war himmlisch. Es gab auch eine Menge Nächte der alten, üblen Sorte, und tagsüber war es immer noch so gut wie unmöglich, ihn anders aufzubewahren als a) auf dem Arm oder b) stillend und eingekuschelt. Den ersten Termin bei der Osteopathin musste ich leider sausen lassen, denn ich hatte Magen-Darm-Grippe Nr.4 (gezählt ab Mitte Januar, glaube ich). Allein Kalles letzte Woche in der alten Kita hat uns zwei davon beschert. Der Erkältung, die dann noch zwischenrein kam, samt Schüttelfrost und Halsentzündung, sind Osteopathie-Termin Nr.2 und drei Beckenboden-Physio-Termine zum Opfer gefallen. Aber gestern, gestern war ich virenfrei, und so haben Michel und ich uns auf den Weg gemacht , um endlich herauszufinden, weshalb so ein kleiner Kerl so einen Riesenkrach machen muss. Die Osteopathin ist für mich allein schon deshalb immer eine gute Idee, weil der Weg zu ihr durch eins meiner Lieblingsviertel führt, in das ich seit Kalle so gut wie nie mehr komme, und weil sie diese unfassbar warme, gesunde, vernünftige und heilsame Ausstrahlung hat. Schon der Geruch in ihrem Behandlungszimmer, und ich fühle mich besser. (Ich hab sie mal nach ihrem Raumduft gefragt, und sie hat nur gelächelt und gesagt "Duft? Nöö, das ist einfach nur irgend ein Putzmittel, keine Ahnung, ich nehme immer wieder andere"). Sie hat Michel eine halbe Stunde mit und ohne Schiene auf dem Arm gehabt, durchgeknetet, ihm etwas vorgesungen und so allerhand anderes, und am Ende lautete das Urteil: Dieses Kind hat unfassbar viel Kraft und Energie für ein drei Monate altes Baby. Es weiß nur leider nicht so recht, wohin damit. Auch - aber nicht nur - wegen der Schiene. Wir können ihm helfen, indem wir ihn kräftig anpacken und ruhig mehrmals am Tag mit sanftem, aber nicht zimperlichem Druck seine Arme, Beine, Füße und den kleinen Körper kneten und drücken. Dagegen kann er dann andrücken und so einen Teil seiner Kraft loswerden. Und singen hilft, denn die Vibrationen, die dabei durch unseren Körper laufen, die mag er auch. Drücken und singen, das kriegen wir hin. Außerdem soll ich mir einen ärztlichen Osteopathen suchen, denn den übernimmt die Kasse zumindest teilweise, und er kann uns weiter führende Krankengymnastik für den Kleinen verschreiben. Das mache ich jetzt, ich habe schon einen auf Rückruf. Und einen Termin für meinen Matschrücken habe ich auch gleich gemacht.

(Manchmal habe ich ja das dumpfe Gefühl, unabhängig davon, ob solche Dinge wie Osteopathie helfen - auf den Termin zu warten und zu hoffen, dass es damit besser wird, ist eine wunderbare Methode, die Schreizeit zu überwinden. Tadaa, wieder sind zwei Wochen um und damit sind wir zwei Wochen näher an den magischen Tag gerückt, ab dem sowieso alles wie von alleine gut und einfach wird. Und leiser. Viel leiser.)

Das Pipiproblem
Ich gebe zu, ich hätte mehr machen können. Aber es ist nicht so, dass ich nichts mache. Bestimmt eine halbe Stunde am Tag übe ich dieses Fahrstuhlding, spanne an und versuche, mir einzubilden, ich würde Grashalme pflücken. (Wer das kennt, weiß, wovon ich spreche, der Rest kann es sich sowieso nicht vorstellen. Das kann ich selbst ja kaum, und ich beschäftige mich jetzt wirklich, wirklich schon eine Weile damit.) Aber es ist so frustrierend und es tut sich so wenig, dass ich jetzt eigenmächtig beschlossen habe, zweigleisig zu fahren und mir parallel bei Amazon das Elanee-Beckenboden-Trainingsset Phase 1 zu kaufen. Das sind vier mit buntem Kunststoff überzogene, tamponförmige Gewichte, die man zweimal täglich für zehn Minuten tragen soll, und zwar im Stehen und Gehen. Schafft man das, ohne dass das Gewicht herausfällt, und das an drei Tagen (also sechs mal) hintereinander, dann darf man zum nächst schwereren übergehen. Ich bin gerade durch mit Gelb und jetzt bei Blau. Blau ist schwerer als erwartet, bisher schaffe ich nicht mehr als zwei Minuten, aber ich bleibe dran, und ich kann damit viel mehr anfangen als mit diesem ewigen Pflücken und Konzentrieren. Ich bin eben eher der grobschlächtige Typ, und ein Training, bei dem ich mich von zwei zu zweihundert Klappmessern hocharbeiten muss, ist mir tausendmal lieber als ein Training, bei dem ich immer "mehr denken als tun" soll, sich überhaupt nichts bewegt und auch niemand so genau sagen kann, wie viel genug ist. Beim Stillen (der Tipp der Physiotante) funktioniert es jedenfalls nicht, kaum fange ich an, mich zu konzentrieren und Sachen zu pflücken, hört Michel auf zu trinken und guckt mich mit großen Augen an.
Und was soll ich sagen? Seit ich die Gewichte dazu genommen habe, werfe ich jeden Abend eine so gut wie unbenutzte Pipibinde in den Müll.

Der ganze Rest
bekommt jetzt einen Schlampi-Absatz mit allem wild durcheinander, denn in fünf Minuten muss ich mein Schreiblager schon wieder verlassen und los. Die Rückkehr in den Job wird gerade zur ziemlich komplizierten Aussicht, davon schreibe ich aber mal, wenn alles spruchreif ist. Im Moment ist das alles aber sowohl in Wirklichkeit als auch in meinem Fusselhirn so weit weg, dass mich die Unsicherheit und das In-der-Luft-Hängen für mich ganz untypisch wenig kratzt.
Kalle ist jetzt seit fast zwei Wochen in der neuen Kita, und wie erwartet nehmen sie dort vieles, eigentlich alles sehr viel genauer als in der alten. Eben auch die Eingewöhnung, die soll dort eigentlich vier Wochen dauern. Mit viel gutem Zureden und schafsbockartiger Beharrlichkeit kriegen wir sie gerade dahin, das Ganze vielleicht bei Kalle auf drei Wochen runter zu schrauben. Er findet es ganz toll da, wir haben jetzt beide schon dabei gesessen und finden es auch ganz toll, und wenn ich auf der Straße Mütter aus der alten Kitagruppe treffe, die von Durchfall-Epidemien und Chaos erzählen, dann vollführe ich innerlich ein kleines Tänzchen.

Mist Mist Mist, Mutti muss jetzt wirklich los! Bis bald, liebe Damen, hoffentlich bis ganz bald.

Montag, 26. Januar 2015

Flora wer nochmal?

Nein, vom Netz bin ich nicht, aber zu sagen, ich lebe noch, wäre auch etwas übertrieben.

Kurz zur Lage hier:
Michels Füße
Michels Füße tun, was sie sollen, das heißt, der rechte (Klumpfuß) sieht ziemlich deformiert aus durch die engen Sandalen. Die messerscharfen Falten, die er anfangs in der durch den Gips noch so empfindlichen Haut hatte, legen sich aber etwas, der Fuß wird auch nicht mehr so rot und dick, wenn ich die Schuhe ausziehe, und sieht insgesamt eigentlich ganz rosig und lebendig aus. Außerdem kann ich keinen Unterschied in seinem Befinden mit oder ohne Schiene feststellen, er blüht weder auf noch ab, wenn die Schuhe aus sind und er mit nackten Füßchen strampeln kann. Diesen Teil der Behandlung kriegen wir also hin.


Unsere Nächte
Was ich aber nicht mehr lange hinkriege, ist das Weinen, die Schlaflosigkeit, das ganze traurige, verkrampfte Kind. Eine Minute am Tag lächelt er mich an und macht gurrende Laute. Diese Minute sauge ich in mir auf wie früher den letzten Rest von einem leckeren Cocktail, sie muss mich die restlichen 23 Stunden und 59 Minuten wärmen und bei Laune halten. Den Rest der Zeit guckt er entweder wie ein beleidigter Frosch oder weint. Schlaf scheint er so gut wie nicht zu brauchen. Heute Nacht war er vierzehn mal wach, und jedes einzelne Mal dauerte so ungefähr zwanzig Minuten. Irgendwann in jeder Nacht kommt der Moment, in dem ich merke, jetzt wird es langsam heller da draußen, und dann bin ich so verzweifelt, dass ich nur noch stumpf vor mich hinstarren kann. Sogar beim minutenlangen Vor- und Zurückwiegen mit dem Oberkörper habe ich mich schon erwischt, wie ein psychisch krankes Zootier. Denn jetzt ist wieder eine Nacht vorbei, wieder habe ich nicht geschlafen, wieder ist es nicht besser geworden. Dann ist der schlimme Moment hinter mir, und ich rede mir ein: vielleicht wird ja die nächste Nacht schon besser, Hurra! Manchmal denke ich, mit dem Abstillen wird es besser. Manchmal denke ich, das Stillen ist gerade das Einzige, was noch klappt - ein paar Mal am Tag ziehe ich mich mit ihm für eine halbe bis dreiviertel Stunde ins Bett zurück, er saugt, manchmal lächelt er sogar ein bisschen, und vielleicht schläft er für ein Viertelstündchen ein. Ich weiß nur, das muss besser werden, sonst... weiß ich auch nicht. Es muss eben einfach. "Besser werden" ist gerade mein Mantra, ich denke das den ganzen Tag stumpfsinnig vor mich hin.


Michels Weinen
Der Arzt sagt, da muss er durch. Sein Blut ist in Ordnung, keine erhöhten Entzündungswerte, keine Bakterien, eigentlich geht es ihm gut. Wenn das Michel ist, wenn es ihm gut geht, dann grusele ich mich jetzt schon davor, wie es wird, wenn mal nicht. Und jetzt? Schreikinder-Ambulanz? Ich habe erst mal einen Termin bei meiner Osteopathin gemacht, Mittwoch morgen um neun sind wir da.


Das Pipiproblem
Letzte Woche hatte ich den ersten Termin bei der Physio, diese Woche den zweiten. Ich tue mich ehrlich schwer damit, es ist wieder wie bei Cantienica: den Beckenboden anzuspannen, fühlt sich an, als würde mir jemand sagen, ich soll mit den Ohren wackeln. Eigentlich bin ich voller Hoffnung da anmarschiert und habe ihr von meinem Ziel erzählt, unbedingt 2015 wieder mit dem Laufen anzufangen. Ich dachte, das muss zu machen sein - Dezember 2015 ist doch noch so lange hin, vorsichtiger kann man sich ein Ziel nicht setzen! Sie guckte mich skeptisch mit schiefgelegtem Kopf an und sagte: mal sehen. Vielleicht auch erst 2017. Ich habe gemerkt, wie viel Hoffnung ich in dieses für manche vielleicht unwichtig klingende Ziel gesetzt hatte. Laufen war wirklich, wirklich wichtig für mich, und so, wie es hier gerade läuft mit Babystress, Rückenschmerzen, dem Gefühl, eingesperrt und komplett machtlos zu sein, wäre es jetzt noch viel wichtiger, als es jemals war. Es ist viel mehr für mich als nur eine Methode, abzunehmen, es hat genau genommen mit Abnehmen kaum etwas zu tun. Es war Freiheit, Selbstkontrolle, endlich wieder etwas hinkriegen und etwas für mich tun. Mich an etwas anderem abstrampeln und zu erleben, wie es Woche für Woche besser wird. In diesem Moment war schon viel Luft raus, die ich jetzt mühsam wieder sammeln muss, wenn ich bei der Ohrenwackelei bei der Stange bleiben will.

Kalle
Kalle ist so niedlich, dass ich nicht an ihm vorbeigehen kann, ohne ihn kurz auf den Arm zu nehmen. Leider muss es meistens dabei bleiben. Fast meine komplette Zeit und Kraft geht für Michel drauf. Zum Glück ist L. auch noch da. Zum Glück haben wir eine in Hamburg lebende Oma. Zum Glück kommt dreimal wöchentlich das Kindermädchen für ein paar Stunden. Zum Glück geht das irgendwann vorbei, und ich kann wieder Mama für beide sein. Ich achte schon darauf, jeden Tag ein paar Mal nur für Kalle da zu sein. Gestern waren wir kurz im Schnee (mag er nicht so), ich habe mit zwei dreckigen Babysocken über den Händen Jagd auf ihn und sein runtergefallenes Abendessen gemacht, und wir haben Fangen um und unter dem Esstisch gespielt. Ihm fehlt nichts, er quiekt und lacht. Aber mir, mir fehlt eine Menge. Ich will auch nicht, dass das hier zu einer Glückskind-Pechkind-Welt wird. Aber gerade ist es eben so. So viel Kummer konzentriert in so einem kleinen Männchen! Irgendwie muss man ihm doch da raushelfen können! Wenn diese Osteopathin wüsste, wie viel Hoffnung ich in sie und ihre Behandlung setze, dann hätte sie jetzt schon Spannungskopfschmerzen.

Die Kita
Während ich hier schreibe, läuft eine kleine Hexenjagd in meinem What's-App-Verteiler. Wieder mal geht Durchfall um, und irgend jemand muss ja Schuld sein. Ich lese mir das durch und denke mir: noch fünf Tage mit heute. Freitag backe ich Abschieds-Muffins, die Kita-Tanten kriegen einen Kinogutschein zum Abschied, und dann war es das, und wir ziehen in den rosigen Montessori-Sonnenuntergang. Mit hoffentlich unkomplizierter und zügiger Eingewöhnungsphase. Und weil ich gerne mehr Zeit mit Kalle haben möchte und gerade auch ganz ehrlich jede Minute feiere, in der jemand anderes sich die Ohren vollbrüllen lässt, werde ich wohl die Eingewöhnung mit ihm machen. (Hoffentlich sehen die Montessori-Damen das nicht zu eng, wenn die neue Mama fünf Minuten nach Beginn des Experiments schnarchend am Sandkastenrand in sich zusammensackt.)

Klingt alles ziemlich finster, ich weiß. Ist auch so. Wird bestimmt anders, und dann herrscht hier wieder eitel Kinderglück und Sonnenschein. Nur im Moment läuft es nicht gut, Ferrero-Welt ist weit weit weg.

Montag, 5. Januar 2015

Eigentlich zwei Monate.

Zwar ist Michel heute nacht vor zwei Monaten geboren, aber wir verschieben den Geburtstagspost auf morgen oder übermorgen. Denn morgen ist der eindeutig größere Tag: morgen fahren wir mit ihm nach Altona, und der Gips kommt ab. Ich kann es kaum erwarten, bis er ihn los ist. Babys wachsen blitzschnell, und ein Gips, der vor vier Wochen noch genau passte, ist jetzt presswurstartig eng. An einem Ende quillt sein Beinchen über den Rand, am anderen Ende fünf dicke Zehen, die zu Anfang noch kaum aus dem Ende herauslugten. Das sieht nicht gut aus und muss sich noch deutlich schlechter anfühlen.
So sieht der Plan aus: wir bringen Kalle in die Kita, sagen Bescheid, dass es später werden könnte mit dem Abholen, und fahren ins Krankenhaus. Dort warten wir und überbrücken die Wartezeit mit tödlich süßen Cappuccinos aus dem Automaten. Wenn wir dran sind, schnibbelt der Orthopädietechniker unter Aufsicht der Ärztin den Gips ab (was mich immer nervös macht, obwohl dabei nichts passieren kann - Riesenschere direkt an Babybein, nicht gut), und ein hörbares Aufatmen wird durch den Raum gehen. Ich packe ihn in seinen ersten langbeinigen Strampler, der Fußsack, den er bisher getragen hat, kommt in die Handtasche, und sie passen ihm zum ersten Mal seine Schiene an: ein kleines cooles Snowboard mit extrem uncoolen Schuhen, die drehbar darauf montiert sind. Sie werden uns noch erklären, worauf wir beim An- und Ausziehen achten müssen, und dann packen wir unser frisch geschientes Ex-Klumpfußbaby in den Maxicosi (nur eine von vielen Dingen, die ohne Gips leichter werden) und lassen die Trümmer des inzwischen grau verfärbten, an einigen Stellen mit neonorangefarbener Stillkacke verschmierten Gipses zurück. Soll er doch sehen, wo er bleibt.

Und dann wird gebadet! Zum ersten Mal! (Vorher war der Nabel noch dran, und an Tag sechs seines Lebens kam der Gips ans Bein. Das Wasser wird ungefähr so grau werden wie die Gipstrümmer.) Und wir erwarten mit Hochspannung, ob er sich dann wohler fühlt. Denn bisher ist er eher nicht so sonnig gestimmt. Um genau zu sein, habe ich gestern beim Googeln herausgefunden, dass er ohne Probleme in den Club der Schreibabys aufgenommen würde: um da reinzukommen, muss ein Baby mindestens drei Wochen lang an mindestens drei Tagen in der Woche insgesamt mindestens drei Stunden lang schreien. Das schafft er, kein Problem für ihn, egal, wie mütterlich ich ihn schunkele, stille und beglucke. Bisher glaube ich aber feste daran, dass der blöde Gips Schuld ist, der mit Sicherheit drückt, juckt und scheuert. Sollte er nach morgen immer noch so knötterig sein, dann mache ich einen Termin beim Osteopathen.

Was habe ich sonst noch zu erzählen?
Ich war zur Nachsorge bei meiner Gynäkologin, und jetzt habe ich ein Rezept für Krankengymnastik in der Tasche. Mein Beckenboden ist matsche, da gibt es nun keinen Zweifel mehr (obwohl das Pipiproblem in letzer Zeit deutlich besser geworden ist, der Himmel weiß warum). Mit normaler Rückbildungsgymnastik oder Mami-plus-Baby-Pilates wie in meinem Fitnessclub soll ich mich nicht aufhalten, das kann ich machen, wenn die Krankengymnastik durch ist. Heute telefoniere ich also mal ihre Liste durch und gucke, wer für mich bequem gelegen ist und Zeit für mich hat.
Gestern war ich zum ersten Mal seit ewigen Zeiten alleine mit dem Hund auf einem längeren Spaziergang. Die Sonne schien, das Tier war glücklich, und ich auch. Mir kamen unzählige Kinderwagen entgegen, und ich habe keinen Blick auf die Insassen geworfen und war einfach nur froh, mal eine Stunde nicht Mutti zu sein, sondern nur Frauchen. Das hat gut getan, und als ich mit Tatzenabdrücken auf der Jacke wieder nach Hause kam, habe ich mich schrecklich gefreut auf die zwei Würmchen.
L. hat endlich das versprochene Scart-Kabel organisiert, so dass ich jetzt in kurzen Pausen (oder zum Stillen) die siebte Staffel 30Rock ansehen kann, mein kleiner Ausflug ins Ersatz-Arbeitsleben. Ich will gar nicht drüber nachdenken, dass diese Staffel die letzte ist. Was mache ich ohne Liz Lemon? Vermutlich wieder bei Staffel 1 einsteigen, zwei Schwangerschaften und zwei Stillnebel haben bestimmt 70% von allem, was ich schon gesehen habe, wieder gelöscht.
Und ich lese ein Kochbuch für Familien: "Dinner. A love story", das Buch zum Blog, der sich auch in meiner Blogroll findet. Zwar ist es noch längst nicht so weit, dass wir uns zu viert an einen Tisch setzen, aber ich habe Spaß dran, Pläne zu machen und von Zeiten zu träumen, wenn dieser ganze Fläschchenkram im Keller verschwunden ist. Das wird er nämlich eines Tages sein, ganz sicher.
Und das alles zusammen fühlt sich gut an, fragt mich nicht wieso (seit wann ist Krankengymnastik eine gute Nachricht?). Aber es wird alles, ganz bestimmt.

Samstag, 13. September 2014

Eine Reihe von Vorsätzen, einfach so, mitten im Jahr.

1. Wenn das nächste Mal jemand zu mir sagt, ich wüsste aber schon, dass alkoholfreies Bier AUCH Alkohol enthält, dann werde ich kein freundliches Interesse heucheln und so etwas sagen wie "Ach, wirklich? Danke!". Was genau ich stattdessen tun oder sagen werde, weiß ich noch nicht, da lasse ich mich dann vom Moment inspirieren.

2. Ich werde weiterhin versuchen, lieber zwanzig Minuten entspannt mit meinem Kind am Tisch zu sitzen und ihm beim genüsslichen Essen zuzusehen, als wegen 30 Sekunden Wegputzen hinterher in Panik zu verfallen, wenn er kleckert. (Wobei "kleckert" ein Euphemismus ist, muss ich zugeben.)

3. Ich werde die Babyfotoflut der letzten Monate bearbeiten, zu Pixum schicken und die Fotos dann in ein Album einkleben oder an die Wand hängen.

4. Ich werde auch bei diesem neuen Rechner herausfinden, wie man die verdammte Autokorrektur ausschaltet. Ja, das gilt auch für Dich, Blogeingabefenster, und für Dich, Email.

5. Sollte meine Agentur anrufen, während ich im Mutterschutz bin, und mir was von einer akuten Notlage vorquengeln, deretwegen ich jetzt bittebittebitte irgendwas dringend machen soll, dann werde ich sagen "Akut? Ha!". Am 31. März habe ich ihnen Bescheid gesagt. Noch ist kein Ersatz für mich da. Von akut kann keine Rede sein. Ich mach mir große Sorgen, aber ich werde ... hart bleiben. Genau. Verdammt.

6. Ich werde das Angebot meines poshen Fitnessclubs (den ich schon so lange nicht mehr von Innen gesehen habe, dass ich gar nicht sicher bin, ob er überhaupt noch steht und mich vermutlich auf dem Weg dorthin verfahren werde) nutzen: Rückbildungskurse mit Baby. Wobei man größere Babies gleichzeitig im Kinderparadies lassen kann. Und genau das werde ich machen. Zusätzlich werde ich zum Power-Dingens-Kurs meiner neuen Hebamme gehen. Diesmal mache ich das Pipiproblem fertig statt umgekehrt.

7. Ich werde zurück in einen Rhythmus finden, bei dem ich ein mal in der Woche ohne Babyanhang meine Mädchen sehen kann. Egal was.

8. Ich werde mich nicht vom Geraune und Geunke der Vorsorge-Hebamme kirre machen lassen, ich wüsste aber schon, dass der Klumpfuß gut ein Zeichen für ein ganzes Syndrom sein könnte, also nur die Spitze des Eisberges. Dankeschön, ich habe es nun mehrfach von ihr gehört, was soll das nützen? Sollte mein Kind tatsächlich schwere Behinderungen haben, werde ich sicher heilfroh sein, mich jetzt seit drei Monaten deshalb zu gruseln. Also: Danke für die Information, aber nein Danke.

9. Ich werde mich nicht von Familienweihnachten bei uns ins Bockshorn jagen lassen. Meine Mutter und meine Schwester sind die Weltbesten Weihnachtswichtel, die werden hier mit Keksen anrücken und sich eine Schürze umbinden und mir helfen, damit das alles irgendwie wird.

10. Ich werde erst wieder über die acht tiefgefrorenen Embryonen irgendwo in Altona nachdenken, wenn ich nach der Geburt nicht mehr beim Pinkeln fauche. Ehrlich, hab ich sie noch alle? Ich denke nein.

11. Ich werde zum Elternabend der Kita gehen.

12. Mehr kannst Du nicht von mir verlangen, Vorsatzliste! Aber hingehen werde ich.

13. Ich werde die freie Zeit bis zur Geburt genießen, so gut ich kann. Diesmal sind keine Handwerker im Haus, es liegt kein Geröll herum, im Babyzimmer sind keine leeren Fensterhöhlen von Folie notdürftig verdeckt, niemand kommt morgens um sechs rein, wenn ich auf Toilette sitze, das müsste also klappen. Ich werde mich in eine Wolke aus behaglicher Häuslichkeit hüllen. Es wird nach Kuchen riechen. Vielleicht fange ich sogar passend zum Herbst zum ungefähr achten Mal das Stricken an? Naja, wir wollen nicht übertreiben. Aber genießen werde ich die Zeit. Ich bringe morgens meinen Sohn in die Kita, und dann mache ich genau das, worauf ich Lust habe. Sechs Wochen lang, wenn Würmchen zwei nicht zu früh kommt. Noch sieben Arbeitstage trennen mich von diesem glückseligen Zustand. Gibt es eigentlich Kinovorstellungen am Vormittag? Genau solche Dinge werde ich herausfinden.

14. Ich werde aufhören, mich zu grämen, dass ich keinen Alkohol trinken und nicht rauchen darf. Ehrlich, geht's noch? Nach all den Spritzen und all den Enttäuschungen und all den Bauchspiegelungen und angesichts von tausenden Abkürzungsdamen, die nicht mein Glück hatten? Und überhaupt? Lächerlich, Albarelli. Einfach nur lächerlich.

15. Sport ist ja gerade nicht so, aber ich kann mich anderen Herausforderungen stellen: Im Moment habe ich einen echten Lauf, was die-Meinung-sagen betrifft. Anfangs fiel es mir schwer, harmoniesüchtig wie ich bin. Aber ich hole auf, und ich habe das Gefühl, es tut mir mindestens so gut wie ein durchdachtes Laufprogramm: ausgezeichnet für Teint und Blutdruck und für erholsamen Schlaf.

Samstag, 6. September 2014

Themen 1 bis 11, einfach zusammengetrieben und in einen einzigen engen und schlecht belüfteten Post gepfercht.

1. will ich Euch im Namen einer NDR-Journalistin um etwas bitten: wir haben uns alle (oder fast alle) schon oft am Kopf gekratzt, was das eigentlich soll, dass Abkürzungsbehandlungen aus Sicht der Krankenkassen nur verheirateten Paaren vorbehalten bleiben. Übrigens als einzige Kassenleistung weit und breit. Genau zu diesem Thema möchte die Journalistin einen kritischen Beitrag machen und sucht dafür betroffene Paare, am liebsten aus Norddeutschland. Ich find’s toll, dass das Thema inzwischen so weit in den anfangs so fremdelnden Medien angekommen ist, dass auch mal so ein ganz sachliches Thema diskutiert wird statt der üblichen Tränendrüsen-Schicksals-Berichterstattung, und würde mich freuen, wenn sich die eine oder andere von Euch findet. Falls Ihr dabei sein wollt, schreibt mir bitte an die Email-Adresse flora.albarelli@yahoo.com. (Ja, die Adresse verwende ich nur für solche Zwecke, nein, abseits solcher Aufrufe gucke ich da nicht rein, und nein, deshalb ist es auch keine böse Absicht, wenn mir eine von euch dorthin geschrieben haben sollte und ich auf ihre lange nette Email gar nicht geantwortet habe. Wer schnell gelesen und im Zweifel beantwortet werden will, bitte weiter per Kommentar.)

2. sind einige Klischees rund ums Kinderhaben und Kinderkriegen doch nicht so doof. Das Kitaviren-Klischee z.B. Mein Sohn geht jetzt seit Anfang August dort hin und musste bisher fünf mal zuhause bleiben, teilweise für mehrere Tage, weil er in der Kita Durchfall hatte. Zuhause ist ihm von all diesen gefährlichen Infektionskrankheiten nie etwas anzumerken. Zuletzt hat er sich Dienstag (nachdem ich ihn morgens quietschlebendig und unkrank wie nur was abgeliefert hatte) übergeben, daraufhin musste ich aus der Stadt angerast kommen (L. kam gerade vom Flug und hatte das Telefon aus) und ihn abholen. Woraufhin er den weiteren und die beiden folgenden Tage knallgesund war - nur eben zuhause. Gestern morgen habe ich ihn wieder hingebracht, mal schauen, für wie lange. In Südamerika, erzählt L., ruft eine Frau, deren Kind krank wird, alle anderen Frauen mit Kindern in der Umgebung an, die kommen dann alle rum und gönnen ihren Kleinen ein hübsches Virenbad - damit sie es hinter sich haben. Da bekommen wir also das Rundum-Paket! Nette Gesellschaft, anregende Umgebung, liebevolle Betreuung und das Deluxe-Paket Abhärtung XXL. Die Kindergärtnerin sagte, ja, das geht allen so, und ja, das dauert vermutlich das komplette erste Jahr. Wir seufzen und wappnen uns. Und schicken eine Voodoo-Extradosis Zahngebrüll an die Eltern, die es einfach nicht raffen und ihre Kinder morgens trotz sieben Meter gegen den Wind stinkendem Durchfall und Fieber dort abliefern. Warum es unserer Zuckerwurst zuhause immer gut geht, dazu habe ich mehrere Theorien. Theorie a: auch dank der Hunde ist sein Immunsystem schon relativ fit. Das heißt, er fängt sich zwar etwas ein - genug, um einmal die Windel vollzustinken z.B. - aber dann ist er auch fast sofort durch damit. Theorie b: Kinder haben eben ab und zu mal eine Flüssigwindel, ohne dass das gleich das Norovirus oder Ähnliches bedeuten muss. Nur hat die Kita eben ihre Vorschriften, also muss er nach Hause und darf 48 Stunden nicht wiederkommen. Theorie c, an die glaube ich selbst überhaupt nicht: Nur zuhause fühlt er sich wohl, der arme Schatz! Und darum sagt er ganz deutlich, dass er lieber zuhause sein möchte, in der einzigen Sprache, die er bisher beherrscht: Durchfall. Theorie d: die Kitadamen sind überlastet und dezimieren die Gruppe, indem sie ständig gesunde Kinder nach Hause schicken. Auch daran will ich nicht glauben.

3. Andere kriegen das gut hin mit Babyfotos, auf denen das Gesicht gerade so abgewendet oder unscharf ist, ich eben nicht. Hätte ich eins, würde ich es posten. Würmchen ist so niedlich, dass ich vermutlich demnächst aus sämtlichen What’s-App-Gruppen fliege wegen meiner Babyfotos, ich will, dass ihn alle sehen. Und es ist nicht nur die Zuckerschnute, sondern alles: wie er “hmmm” macht und den Kopf in den Nacken legt, wenn er etwas besonders Leckeres isst. Wie er den Löwen nachmacht. “hrrmmm.” Wie er sich die Ohren zuhält, wenn ein Flugzeug über unsere Köpfe fliegt. Wie er mir von allem, was er isst, den ersten Bissen abgeben will. Wie er beim Einschlafen immer erst tobig ist und beißen will und sich dann resigniert aufs Kuscheln verlegt. Wie er dem Hund um den Hals fällt. Wie er “chrp, chrp” kleine Fressgeräusche nachmacht, wenn wir zusammen die kleine Raupe Nimmersatt lesen. Ich kann nicht fassen, dass L. und ich (und Frau Doktor) zusammen so etwas Niedliches hinbekommen haben sollen.

4. waren wir zusammen auf der Hochzeit meiner Schwester, die erste Flugreise als ganze Familie. Und es ging gut, sehr gut sogar. Vor die Wahl gestellt, ob ich mit einem Haufen willkürlich ausgewählter Fremder und Würmchens willkürlich ausgewählter Laune lieber fünf Stunden in einem ICE stecken will oder 45 Minuten in einem Flugzeug, nehme ich das Flugzeug, auch wenn es noch etwas enger ist. Ich hätte mir aber gar keine Gedanken machen müssen. Der Druckausgleich-Trick mit dem Fläschchen funktioniert, wir haben ihm einfach eine große Flasche Wasser beim Start und der Landung zum Saugen gegeben, dann tun ihm die Ohren nicht weh. Wir haben außerdem für den kurzen Flug unsererseits auf Getränke verzichtet, das wäre nicht gut gegangen mit Klapptablett und Baby. Kurz vor Abflug gab es noch mal eine Windel und unterwegs die Raupe Nimmersatt, und dann waren wir auch schon da. Taxi mit altersgemäßem Kindersitz kann man vorbestellen, alles kein Problem.

5. Und dann die Hochzeit! Die war toll. In Hamburg ist es Konsens, dass man in München nicht leben könnte. Ich finde aber, man könnte das sehr gut. Ich finde in München an jeder Ecke irgend etwas, was mir die Aussicht sogar ziemlich verlockend erscheinen lässt. Das meiste davon ist essbar. Ich kann wenig auszusetzen finden an einer Stadt, wo man innerhalb von hundert Quadratmetern 1a griechische Vorspeisen, Schweinsbraten mit Kruste unter Kastanien und eine Riesenauswahl von Bio-Sorbet essen kann. Und direkt um die Ecke ist der englische Garten, wo man sich die ganzen Schweinereien wieder runterspazieren oder runterrennen kann, wenn man irgendwann über sein blödsinniges Pipiproblem hinweg… aber lassen wir das. Hmmm! hat Kalle gemacht. Das Tollste an der Hochzeit war aber, zu sehen, in was für eine nette, herzliche, fröhliche und rundum gute Familie meine Schwester da eingeheiratet hat. Die kannte ich nämlich alle noch gar nicht. Jetzt freue ich mich wie Bolle auf die kirchliche Hochzeit nächstes Jahr Anfang Juli. (Nicht zuletzt auch deshalb, weil es jetzt mit den schwangeren Hochzeiten mal reicht. Über Jahre habe ich mich beschwert, dass in meinem Umkreis niemand heiratet. Jetzt heiraten alle, und immer bin ich zur großen Sause schwanger. Nächste Woche sind wir wieder auf einer Hochzeit, und ich werde da stehen mit meinem Orangensaft und in meinem Zeltkleid, in vernünftiger- und tristerweise flachen Schuhen, tapfer die köstlichen Fischhäppchen ablehnen und gegen zehn ins Bett verschwinden.)

6. ist die Brille endlich fertig, bezahlt und abgeholt. Kontaktlinsen kann ich immer noch nur einseitig tragen, was bei minus acht Dioptrien dazu führt, dass ich innerhalb kürzester Zeit einen Hornissenschwarm im Kopf habe und anfange zu schielen. Mein rechtes Auge hat - laut Augenärztin schwangerschaftsbedingt - sich so sehr verändert, dass Kontaktlinsen dazu jetzt gerade nicht so gut passen, und eine Weile Pause muss ich ihm noch gönnen. Also sehe ich gerade folgendermaßen aus: unten der Bauch, so weit klar. Dann ein ziemlich rotes Gesicht. Das als “Strahlen” zu bezeichnen, würde den Begriff sehr dehnen. Darüber die Landfrisur: der Puschel durch die von Kalle ausgerissenen Haare steht in vollem Saft, ich habe praktisch keine Stirn mehr, es sei denn, ich trage eins dieser breiten Kopfbänder, die aber bei meiner Kopfform leider immer im Lauf einer Viertelstunde so verrutschen, dass es auch wieder nichts ist. Hinter dem Kopfband sind einige Wirbel, die auch von der Schwangerschaft zu profitieren scheinen. Mit dicken, glänzenden Locken ist es diesmal nichts, jeden Morgen im Spiegel erwartet mich eine neue Überraschung. Und mitten im Gesicht meine Brille, Modell Politbüro, die wirklich extrem robust wirkt, aber es nicht ist: die letzte Reparatur war schon die dritte, weil Kalle sie mir immer wieder von der Nase reißt und ein Glas auf dem Boden zerknallt. Jedes Mal kostet es so um die 180 Euro, denn weil ich so dermaßen blind bin, müssen die Gläser irgendwie speziell sein, damit die Brille nicht im Schneckentempo meine Ohren amputiert vor lauter Glasbaustein. Aber reden wir nicht über Geld, reden wir über Schönheit und Ausstrahlung. Frisur, Figur, Brille, uffjedunsenes Gesicht mit kleinen, von Kontaktlinsenunverträglichkeit geröteten Schweinsäuglein: Tadaaa! Fertig ist der bei der Geburt getrennte Zwilling von Roncalli-Direktor Bernhard Paul. (Vermutlich frage inzwischen nicht nur ich mich, wie eine wie ich zu so einem niedlichen Kind kommt. Passanten schütteln die Köpfe.)

7. Obwohl sie es nicht verdienen, habe ich meinen Haaren zwei neue Shampoos gekauft und habe das Gefühl, wenigstens beim Duft bin ich angekommen: Asfera von Furterer und Harmonic von Intelligent Nutrients riechen beide schön frisch nach Minze, hinterlassen eine kühle, aber nicht trockene Kopfhaut, machen quietschsauber, ohne zu vertrocknen, und dürfen für’s Erste bleiben. Ich hoffe, wenn nach der Geburt die Frisur irgendwann wieder normal ist, dann kann ich auch beurteilen, ob meine Haare genau so begeistert sind wie ich. Außerdem bin ich dazu übergegangen, nach jeder Wäsche die immer trockene Freaksträhne an meinem Hinterkopf mit Klettenwurzelöl einzureiben: es lag da noch rum, kostet fast nichts und bekommt jetzt seine Chance, wo stinketeure Superkuren versagt haben.

8. L. hat es tatsächlich durchgezogen: er hat 30 Tage lang vegan gelebt und ungefähr sieben Kilo abgenommen. Was heißt, dass er mit kleinen Auflockerungen weiter machen will. Und nicht nur das ist die Überraschung: wir haben uns auch nicht die Köpfe eingeschlagen. Was vermutlich auch daran lag, dass er seine Kocherei weitgehend für sich behalten hat und sich extrem am Riemen gerissen hat, mir meine Schweinebraten und meinen Speck madig zu machen. Manchmal sah die Küche schlimm aus. Vor die Wahl gestellt, ob ich das in zehn Minuten schnell wegmache oder mir den Abend versaue, indem ich deshalb Krach anfange, muss ich sagen, hab ich mich meistens für erst wegmachen und später die eine oder andere spitze Bemerkung entschieden, den weiblichen Klassiker. Und nicht nur L.s Figur, auch mein Budget profitiert, denn während L. früher gerne mal ein halbes Kilo Käse als kleinen Snack zwischendurch gegessen hat, habe ich jetzt meine Schätze im Kühlschrank ganz für mich allein und muss nur mit Kalle teilen, während er sich mit Pastinaken und Mandelmus vergnügt.

9. Der letzte Tag auf der Arbeit rückt näher, und noch ist kein Ersatz für mich in Sicht. Ich habe noch mal recherchiert, und dem SMS-Verkehr mit meinen Mädchen ist zu entnehmen, dass ich am 31. März meine Chefs über die Schwangerschaft informiert habe, genau wie über den Termin, zu dem ich in den Mutterschutz gehe. Nachdem ich von Würmchens Klumpfuß erfahren hatte, war ich erst mal im Urlaub, aber gleich am ersten Tag zurück am Schreibtisch habe ich ihnen auch das gesagt und dass es bedeutet, dass ich diesmal nicht nach drei Monaten, sondern wohl erst nach sechs oder vielleicht sogar noch später zurück komme, weil hier dann eben andere Aufgaben auf mich warten. (Darauf haben sie übrigens wie aus dem Lehrbuch für den Chef des Jahres reagiert.) Seitdem… 21. 22. 23. Immer noch ist unklar, wer in meiner Abwesenheit meine Jobs übernimmt. Es sollte mich nicht beschäftigen, tut es aber. Ich würde gerne mit einem guten Gefühl und einem sauberen Schreibtisch in die Pause gehen. Hrrrrrr. Währenddessen fällt es mir jedes Mal schwerer, mich in die Bahn zu wuchten und dann acht Stunden aufrecht und konzentriert an meinem Rechner zu verbringen. Das Augenproblem kam noch dazu, besonders in unserem Konferenzraum zu Abstimmungen liefen mir dicke Tränen über das Gesicht, und ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Auf der Treppe aus der Ubahn halte ich mich am Geländer fest und schnaufe, und als neulich der Fahrstuhl gewartet wurde, habe ich kurz überlegt, diesen Arbeitstag zu knicken und einfach wieder nach Hause zu gehen, denn zu Fuß in den sechsten Stock? Entschuldigung. Nachmittags lege ich mich mit Rechner immer schon eine Stunde aufs Sofa in den Pausenraum, aber auch das ist nur Kosmetik. Ich zähle die Tage: neun sind es noch. Und gleichzeitig treibt es mich wirklich um, dass ich nicht weiß, wie das ab dann werden soll mit meinen Job-Babies.

10. Zu dem kleinen Kommentarkrieg von letzter Woche sage ich jetzt mal nichts mehr. Ich habe das Gefühl, da ist alles gesagt, und zwar mehrfach und von allen Beteiligten.

11. Wie wäre mal wieder Stammtisch? Zur Abwechslung Brunch? Tut mir leid, ich will euch nicht mein Alkohol- und Kippenverbot aufzwingen, aber abends gehen bei mir leider zu früh die Lichter aus, das lohnt sich kaum, dafür das Haus zu verlassen. Ein schicker Sonntag also? Irgendwann demnächst, Ende September, Anfang Oktober? Hebt doch mal vorsichtig die Kommentarhand, wer grundsätzlich Lust hätte.

Samstag, 21. Dezember 2013

ALARRRRRRMMMMMM! Das Kind schläft.

Sobald Ndogo tagsüber mal die Augen zumacht, bricht hier hektische Aktivität aus. Jetzt z.B.: ich war noch kurz im Supermarkt mit ihm, dabei schläft er immer ein, und so lange die Ruhe da unten anhält, will ich versuchen, folgende Punkte von der Liste zu haken: Post schreiben, Weihnachtsplaylist machen, Kuchen backen, Nigellas Union Square Café Nüsschen machen, um sie an nette Nachbarn zu verteilen, Trockner anschmeißen, Waschmaschine anschmeißen, Gästebetten für Familie beziehen und ganz vielleicht sogar noch Staubsaugen. In diesen kostbaren Viertelstunden verwandele ich mich immer in einen dieser Straßenmusiker, die es nur in Karrikaturen gibt: so einen, der gleichzeitig Mundharmonika, Pauke, Rumbarassel und Trompete spielt. Na? Tut sich was?

Nein. Also los.

Laufen war für mich immer eine hoch emotionale, rockymäßig aufgeladene Angelegenheit. Vor der ersten Cantienica-Stunde sollten wir der Kursleiterin schriftlich mitteilen, was genau uns in diesen Kurs treibt. Ich habe geschrieben, ich mache mir seit der Geburt in die Hose, was insgesamt natürlich unerfreulich ist, aber VOR ALLEM deshalb, weil ich so nicht wieder laufen gehen kann. Wer es noch nie erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen, aber nichts ist so verhängnisvoll wie laufen, wenn man ein Pipiproblem hat. Ich könnte mir vorstellen, Springreiten, Trampolinspringen oder Rasensprengen sind weniger schwierig, auch wenn ich noch nichts davon seit der Geburt ausprobiert habe. In dem Kurs habe ich eine Menge gelernt. Z.B., dass richtige, klassische Bauchübungen nach einer Geburt das letzte sind, was man tun sollte: in der Schwangerschaft werden die Bauchmuskeln in der Bauchmitte nach links und rechts gedrückt und brauchen eine Weile, um wieder zurück zu wandern, wenn das Kind auf der Welt ist. Macht man zu früh richtige Bauchübungen, dann bleibt das so: man hat dann quasi ein Loch in der Bauchmitte. Also keine Situps und keine Klappmesser bei Cantienica. Außerdem haben wir den Bauch nicht einfach eingezogen für die Übungen, sondern uns vorgestellt, wir würden ein X mit unserem Bauchnabel machen. Es klingt bescheuert, aber hat man es erst mal gelernt, dann sieht man in einer Sekunde ungefähr fünf Kilo leichter aus und hat tatsächlich das Gefühl, gerade die Muskeln hinter den doch eigentlich auch ziemlich tiefsitzenden Pilates-Muskeln zu trainieren. Ich will nicht alles verraten, schließlich sollen ja auch noch ein paar Damen in die Cantienica-Schule gehen, aber irgendwas daran scheint zu funktionieren, wenn auch anders als gedacht. Eigentlich neige ich zu viel zu frühen und viel zu harschen Urteilen bei solchen Kursen, aber obwohl ich nach wie vor keiner Ubahn fünf Schritte hinterherrennen kann und noch weit entfernt von meinem ersten Lauf im Park bin, habe ich doch das Gefühl, so ganz, ganz langsam tut sich etwas. Und ich weiß jetzt schon, wenn ich irgendwann die Stöpsel in die Ohren stecke, die Nike Frees zuschnüre und tatsächlich eine halbe Stunde locker durch den Park trabe, mit trockener Hose, dann wird das so ungefähr das Gefühl sein wie damals bei Heidi, als Clara wieder laufen konnte. Auch, wenn die Hose trocken bleiben wird, die Augen werden es nicht. (Ich versuche es also auf jeden Fall erst nach Einbruch der Dunkelheit oder vor Sonnenaufgang.) Und auch, wenn einige Damen im Kurs scheinbar nicht so glücklich mit dem Ergebnis waren, würde ich sagen: abenteuerlustige Damen sollen es ruhig mal versuchen. (Es gibt auch einen Cantienica-Kurs, der das Gesicht faltenfrei und straff halten soll. Ich spiele ja mit dem Gedanken...)

Das Kind schläft immer noch, vielleicht mache ich sicherheitshalber schon mal die Playlist für diesen Anlass?

Damit zum nächsten Punkt auf der Liste.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Leicht verrissener Köpper.

Große Übergänge und Veränderungen im Leben machen mir Angst. Die letzten drei Tage vor dem ersten Jobtag waren ziemlich ekelhaft, aber nichts gegen die Nächte. "Noch drei mal nicht schlafen" dachte ich am Donnerstag, und genau so war es dann auch. In den ollen, klammen Stunden zwischen Mitternacht und Dämmerung liege ich oft wach, da brauche ich gar keinen besonders bombastischen Anlass, aber das war auch für meine Verhältnisse ein Festival der Grüblerei und der unguten Gedanken. Inzwischen kannte ich mich wenigstens gut genug, um zu hoffen, dass ich von diesem Zwölfer eben einmal springen muss und dann - wer weiß? - vielleicht sogar schneller, als man gucken kann, die Leiter wieder hochklettere und noch mal will.

Genau so war es dann nicht gerade, aber trotzdem bin ich nach zwei Tagen vorsichtig optimistisch.

Meine erste Erkenntnis habe ich früher von anderen schon ca. achthundertmal gehört, aber irgendwie nie so richtig geglaubt. Jetzt kann ich das bestätigen: ein Tag in einem netten Innenstadtbüro ist ungefähr ein Viertel so anstrengend wie ein Tag mit einem schlechtgelaunten Baby. Verglichen mit einem gutgelaunten Baby ist er ca. halb so anstrengend. Wie leicht auf einmal alles ist! Wie einfach! Wie viel Zeit man hat! Ich hatte zwar schon zwei Tassen Tee, aber jetzt hätte ich gerne noch eine. Nur zu! Ich gehe einfach in die Küche und mache mir eine. Jetzt ist Mittag. Was hole ich mir denn, einen Salat? Oder ans vegetarische Buffet? Oder einen Burger mit Fritten? Und wer kommt mit? Diese kleine popelige Schüssel Salat, die ich gerade in einer Papiertüte zurück in die Agentur trage, macht mich glücklich. Wieso? Spinnt die jetzt? Denken sich sicher manche Abkürzungsdamen. Ich sage nur, ich wünsche euch viel Glück für den nächsten Versuch, und dann wartet's mal ab. Es ist natürlich nicht alles toll, in Meetings nerven die gleichen Dinge wie vorher, und auch an bisher zwei Arbeitstagen hatte ich eine Menge Momente, in denen ich mir innerlich vor den Kopf geschlagen habe, aber davon abgesehen: das hier ist der leichte Teil meines Lebens. Das kann ich. Ich weiß, wie das geht. Vielleicht hat es auch geholfen, dass ich mit dem Schlimmsten gerechnet habe. Und das Schlimmste ist nicht passiert. Das Zweit- und Drittschlimmste auch nicht.

Fies ist natürlich, wenn man am ersten Tag nach der vierten Tasse Tee zum Telefon greift und mal hören will, wie es zuhause so läuft, und dann brüllt das Baby, und L. ist mit den Nerven auch schon runter. Aber ich habe mich mit Gewalt davon abgehalten, zwanzig Minuten später schon wieder anzurufen (Kann man auch nicht brauchen, mit brüllendem Baby nach dem Handy zu wühlen, so viel habe ich in drei Monaten auch gelernt), und kurz darauf war auch zuhause der Himmel schon wieder blau. Das Kindermädchen ist wider Erwarten tatsächlich aufgetaucht, hat fröhlich seine Arbeit getan und ist wieder gegangen. Am ersten Tag hat das Baby nicht so viel getrunken wie sonst, aber das hat er dann nach meiner Heimkehr im Affenzahn nachgeholt, und heute ging es schon viel besser.

Ist das zu fassen? Ich bin eine arbeitende Mutter.

Heute habe ich ca. 17mal sämtliche Fotos von Kalle auf meinem Handy durchgeguckt. Und von der Ubahn nach Hause bin ich eigentlich mit ausgebreiteten Armen gerannt. Es war unfassbar schön, nach zehn Stunden ohne ihn meinen kleinen Kalle mit den Pustebacken und den blauen Augen in den Arm zu nehmen. Ich hoffe, ich habe ihm im Überschwang keine Rippe gebrochen. Beschwert hat er sich nicht, im Gegenteil, er hat mich fröhlich angekräht. Morgen noch ein Tag, und dann ist der Spuk für diese Woche auch schon wieder vorbei. "Wie kriegt man das denn hin, mit Baby und Arbeit?" hat mich heute eine gefragt. Mit L., der gerade zu Hochform aufläuft. Mit Karlchen, der ein gesundes Grundvertrauen mit auf die Welt gebracht zu haben scheint und seine Ersatzmutter von Anfang an ins Herz geschlossen hat. Mit Chefs, die bereit sind, einiges für mich zu tun, wenn ich etwas für sie tue. Mit einem Kindermädchen, das Kalle gern hat und das auch bereit ist, drei Stunden mit ihm auf dem Arm durchs Esszimmer zu schwoofen und spanische Schlaflieder zu singen. Und davon abgesehen macht man das wie ein Alkoholiker, der aufhören will: immer einen Tag nach dem anderen.

(Verflixt noch eins. Wieso habe ich das Gefühl, diese Euphorie schreit danach, eins auf die Nase zu bekommen? Und morgen wird es schrecklich und der ganze schöne Plan ist wieder im Eimer?)

Was habe ich sonst noch zu berichten?

Niemand soll sagen, ich bin grundsätzlich ignorant und pampig gegenüber gutgemeinten Ratschlägen. Vor einer Weile, als ich über mein Pipiproblem klagte, haben mir Kommentatorinnen geraten, es mit Cantienica zu versuchen. Und tada, ich bin angemeldet in einem Cantienica-Rückbildungskurs, der am Donnerstag beginnt. Davon erzähle ich dann mal. Ich hoffe, es wird nicht gesungen.

Bei der Osteopathin war ich auch, die sollte etwas gegen meine Rückenschmerzen tun. Jeden Tag mehrere Stunden das Baby zum Teil in nicht orthopädisch korrekter Haltung hochzuheben und rumzuschleppen, fordert seinen Tribut. Danach war es erst schlimmer (wie von ihr angekündigt), aber nach zwei Thermacare Wärmepflastern besser.

Donnerstag gehe ich nicht nur zu Cantienica, sondern auch zum ersten Mal wieder in meine Kinderwunschklinik. Davon erzähle ich dann auch, ganz bestimmt.

Unser erster Flugurlaub mit Baby wird jetzt unser erster Flugurlaub ohne Baby. Meine Mutter hat sich angeboten, für die vier Tage Kalle zu hüten, und das Angebot haben wir angenommen, nachdem ich schon erwogen hatte, mir zwanzig Einwegfläschchen ins Hotel liefern zu lassen, um das Vaporisierproblem zu lösen. (Für Abkürzungsdamen: Fläschchen zu spülen, reicht leider nicht. Keimfrei müssen sie sein, das erreicht man, indem man sie minutenlang auskocht oder in einem Dampfbehälter in die Mikrowelle stellt. Das nennt man Vaporisieren. Jetzt gibt es in den meisten Hotelzimmern weder Mikrowellen noch Kochplatten.) Ein bisschen traurig finde ich das, ich hätte Kalle gerne Wien gezeigt. Andererseits erspare ich ihm vermutlich so eine Menge Stress, meine Mutter freut sich wie eine Schneekönigin, er liebt sie auch heiß und innig, und wir können zusammen ins fabelhafte Wiener Theater.

Den Stammtisch möchte ich so bald wie möglich machen, allerdings würde ich gerne den Termin in der Abkürzungsklinik abwarten, um um die heiße Phase der nächsten IVF herumplanen zu können. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass es am Ende ein Donnerstag im November wird. Könnten interessierte Hamburger Damen vielleicht schon mal kurz kommentieren, an welchen Donnerstagen es auf keinen Fall klappt bei ihnen? Bei mir ist der 21. raus, denn da werde ich mit etwas mit "erl" am Ende im Bauch im Theater sitzen, während hier meine Eltern die Stellung halten.