Conrad schreibt mit Lord Jim ein komplexes und forderndes Monstrum der Synthese aus "psychologischem Realismus" und "philosophischer Romantik"
Die FigConrad schreibt mit Lord Jim ein komplexes und forderndes Monstrum der Synthese aus "psychologischem Realismus" und "philosophischer Romantik"
Die Figur Jims repräsentiert die Romantik. Er wird mehrfach im Buch als romantisch bezeichnet. Zu Beginn des Buches träumt er von heroischen Taten, bis er auf der Patna daran scheitert – dem harten Realismus. Die Romantisierung Jims, übernimmt im Folgenden Marlow, der als Erzählinstanz auftritt. Er stellt Die poetische Lebensfom, Jim, in den Mittelpunkt. Ist wie besessen von ihm.
„Ich wurde gezwungen, einen Blick auf das stillschweigende Übereinkommen zu tun, das hinter aller Wahrheit steckt, und auf die innere Lauterkeit des Falschen. Er wandte sich an alle Seiten zugleich– an die Seite, die ständig dem Tageslicht zugewendet ist, wie an jene andere in uns, die, gleich der zweiten Mondhälfte, in ewigem Dunkel liegt und nur manchmal am Rande von einem fahlen, unheimlichen Licht gestreift wird. Er beherrschte mich.
Er löst Jim in seiner formalen Konzeption auf. Der Charakter wirkt wie eine Improvisation. Conrad legt dies völlig verwirrend durch die Struktur des Textes an. Perspektiven wechseln hin und her. Man weiß oft nicht wer redet. Es kommt schnell zu Verwechslungen. Alles schwimmt und schaukelt, wie auf einem Schiff vor sich hin. Situationen sind uneindeutig, unklar. Erst später enthüllen sich die Versatzstücke der Erzählung. Hier zwei Zitate zur Definition der Romantik. Na wenn das nicht wie die Faust aufs Auge passt:
“ Steigerung des schöpferischen Ichs ins Universale, Vereinigung von Geist und Natur. Die poetische Lebensform ist ist wichtiger als die Form des Dichtwerks, das stets nur verzehrende Sehnsucht und ewiges Streben sein kann. Daher fehlt vielen Werken in der Romentik die strenge formale Konzeption; sie sind nach oben hin offene Formen → Fragmente, Improvisationen.“ [ F. Schlegels 116. Athenaeum- Fragment zur Romantik]
„Romantik eine Haltung, die eine Perspektive der Idealisierung und Vermittlung einnimmt, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt und sich selbst auf eine dynamische, prinzipiell unabschließbare Beziehung zur Unendlichkeit verpflichtet. In philosophischer Hinsicht markiert Romantik vor allem einen Kontrast zu allen Spielarten des empirisch-materialistischen Rationalismus; auf literaturwissenschaftlichem Feld grenzt sie sich von realistischen und klassizistischen Tendenzen ab.“ [Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft]
Der Idealismus Hegels ist zudem sehr präsent in dem Werk.
Das ganze Dilemma beginnt mit dem Sprung – Jim’s Sprung von der Patna. Dem Verlust seiner Ehre, seines Stolzes und seines Selbstbildes als mutiger und prinzipientreuer Seemann. Was folgt ist die Suche nach dem eigenen Wert, der Integrität an den eigenen Idealen festzuhalten, egal wie gleichgültig sich der Weltenlauf gegenüber den eigenen Träumen, dem Wunsch nach Erlösung und Wiedergutmachung gebärdet.
Der psychologische Realismus zertrümmert die Romantik:
“Es war, als wären wir rasch in ein geräumiges Grab eingemauert worden. Kein Zusammenhang mit irgend etwas auf Erden. Keine Meinung, die irgendwie in Betracht kam. Es war alles belanglos.“
“Die Welt benötigt ihn nicht, niemand ist gut genug, er ist nicht gut genug“
Jim erlangt seine Zuflucht auf Patusan. Marlow sinniert folgend darüber: „Zuflucht um Preis der Gefahr. Land das nie existiert habe. Niemand mischt sich ein. Vereinzelung als folge seiner Macht.
Patusan repräsentiert eine Art utopischen Raum, in dem Jim die Möglichkeit erhält, sein Ideal von Heldentum und Ehre zu leben. Jim kann sich neu erfinden. Die Handlungen in Patusan bleiben möglicherweise ohne Bedeutung für die Welt außerhalb dieses abgeschiedenen Ortes. Und hier kommt die Psychologie Marlow's voll zum tragen. Diese Einsicht ist für ihn wichtig, nicht für Jim. Jim versucht nur in den Grenzen seines Idealismus zu agieren. Bleibt auf Patusan. Weigert sich zu gehen.
Lord Jim ist gleichzeit das Bespielen der Urangst, als Erzählen gegen das Vergessen (werden). Marlows "Wahn", sich in Jim's Geschichte hineinzusteigern, könnte als Spiegel seiner eigenen Unsicherheiten, seines Bedürfnisses nach Zugehörigkeit und seines Wunsches, einen dauerhaften Sinn in einer unbeständigen Welt zu finden, gesehen werden.
Dieser Spiegel bricht sich in dieser Unterhaltung mit Stein Bahn:
“Das war der Weg. Dem Traum folgen, und nochmals dem Traum folgen– und so– ewig– usque ad finem... Insofern hatte er recht. Das war der Weg, ohne Zweifel. Trotzdem lag die große Ebene, auf der die Menschen zwischen Gräbern und Fallstricken umherirren, sehr öde da unter dem linden Schleier des Dämmerlichts, verdunkelt in ihrem Mittelpunkt und von einem grellen Rande umsäumt, als ob ein Flammenabgrund sie umkreiste. In diesem Augenblick war es schwer, an Jims Dasein zu glauben– der aus einem ländlichen Pfarrhaus kam, im menschlichen Getriebe wie hinter Staubwolken untergetaucht, von den über ihm zusammenschlagenden Forderungen des Lebens und des Todes in einer kalten Welt erdrückt schien– doch seine unvergängliche Wirklichkeit drängte sich mir mit überzeugender, mit unwiderstehlicher Macht auf!
Nu ja, und am Ende mischt doch wer ein, egal wie vergessen man lebt und kackt einem nen fetten Haufen auf den Tisch. Der Weltenlauf schaut gleichgültig zu und das Boot sinkt endgültig.
So geschwätzig einige Passagen wirken mögen. Sie verbrennen in der sengenden Hitze dieses existentiellen Meisterwerkes - des Mensch seins....more
Knallharter, schmerzvoller Realismus, der die Verschränkungen von persönlichen Entscheidungen und sozialen Umständen erforscht. Die sozioökonomischen Knallharter, schmerzvoller Realismus, der die Verschränkungen von persönlichen Entscheidungen und sozialen Umständen erforscht. Die sozioökonomischen Bedingen und die Rolle der Sprache bestimmen das Bild. Ein Arbeiterviertel, von Armut durchzogen.
Gervaise, von Lantier sitzen gelassen. Eine pragmatische, zupackende Frau mit bescheidenen Idealen:
„Mein Gott, ich bin nicht ehrgeizig, ich verlange nicht viel ... Mein Ideal wäre es, ruhig zu arbeiten, immer Brot zu haben, ein reinliches Kämmerchen zum Schlafen, nicht geschlagen zu werden, Schließlich könnte man noch wünschen, in seinem eigenen Bette zu sterben ... Wenn ich mein ganzes Leben lang mich matt und müde gearbeitet habe, möchte ich gern in meinem eigenen Bette sterben."
„Ihr einziger Fehler, versicherte sie, sei, zu gefühlvoll zu sein, alle Welt lieb zu haben und sich für Leute zu erwärmen, die ihr hernach tausend Ungelegenheiten machten. Wenn sie daher einen Mann liebe, denke sie dabei an keine Dummheiten, ihr Traum sei immer, zusammen zu leben und glücklich zu sein“
„Sie verglich sich mit einem Sou, den man in die Luft geworfen und der nun entweder mit Kopf oder Schrift nach oben herniederfallen könne je nach den Zufälligkeiten des Pflasters“
Sie lässt sich auf eine Ehe mit dem Zinkarbeiter Coupeau ein. Alles läuft die ersten Jahre harmonisch. Coupeau lehnt das Trinken ab und beide arbeiten hart um etwas Geld beiseite zu legen. Ein Dachsturz Coupeau’s läutet die Wende ein. Er beginnt nach langer Genesungszeit, die das Ersparte auffrisst, mit dem Alkohol und kommt nicht mehr recht ans Arbeiten. Gervaise freundet sich mit dem Nachbarn und Schmied Goujet an, der ihr das Geld für ein Ladenlokal leiht, in dem sie eine Feinwäscherei eröffnen kann. Sie ist durchsetzungsstark und voller Eros – Lebensenergie, positiv aufgeladen, mit einem Begehren, das nach vorne strebt und sie im Rahmen des eng gesetzten Handlungsspielraumes beeindruckend agieren lässt. Sie nimmt ihre Schwiegermutter auf beengtem Raum auf und ist lange Zeit Alleinverdiener. Coupeau trägt nur hin und wieder zu den Unterkünften bei. Von den Geschwistern Coupeaus ist nicht viel zu erwarten. Insbesondere Madame Lorilleux wird als missgünstige Figur inszeniert. Zola lässt wenig Raum für gemeinschaftlich, soziales Verhalten. Die Figuren strampeln weitestgehend allein für sich hin. Es wird sich am Elend des anderen ehr ergötzt. Man findet ganz unten immer einen Weg noch weiter nach unten treten zu können. Gervaise steht über diesem Benehmen. Selbst als Humpelliese bezeichnet, lässt sie sich nicht beeindrucken.
Man muss Zolas liebevollen Blick auf die Härte der Menschen und ihrem Leben genau suchen. Er ist aber da. Hier und da blitzt etwas wie Freundschaft hervor. Die Wäscherei Frauen, die an einem klirrend kalten Tag ihren Kaffee schlürfen, plaudern und sich nahe kommen. Der alte, heruntergekommene Mann, der zum Essen eingeladen wird und die reichende Hand Goujet’s, der Gervaise liebt.
Das war ein Traumleben in dem Werk eines Riesen, inmitten der flammenden Kohle, unter diesem wackelnden Schuppen, dessen rußige Balken krachten. All dieses zerschmetterte Eisen, das wie rotes Wachs gefügig sich formen mußte, trug den rauhen Stempel ihrer Zärtlichkeit. Wenn die Wäscherin Freitags das Löwenmaul verließ, stieg sie langsam die Fischerstraße hinauf; sie war befriedigt und ihr Geist sowie ihr Körper hatten ihr Gleichgewicht wiedergewonnen.
Und jetzt kommt es zum Bruch! Die Charaktere Zolas sind in einem Übermaß des Symbolischen gefangen. Der soziale Code erdrückt. Die Figuren sind weitestgehend nicht reflexiv. Sie haben keinen ausreichend sprachlich ausdifferenzierten Code sich zu reflektieren und in Beziehung zu setzen. Die Verankerung in der symbolischer Ordnung, den Normen, Regeln, Erwartungen, Rollenbildern, dem wovon das Schicksal angeblich bestimmt sei, ist das Außen. Das Subjekt ist in einer ewigen Reproduktion der gleichen sozialen Muster gefangen, die keinen Raum für Transformation lassen. Man sieht sich als Opfer des Schicksals. Das Symbolische taugt schon mal überhaupt nicht, die Realität zu bewältigen. Also Flucht ins Imaginäre – die Träume, das Begehren und die Unmöglichkeit eine vollständige Befriedigung zu finden. In diesem prekären Umständen eine absolute Unmöglichkeit. Soziale Auffangnetze sind nicht vorhanden. Was passiert wenn Eros abhanden kommt? Wenn die Figuren sich auf einem Schauplatz des Leidens wiederfinden? Traumata, Erlebnisse, die eine Leere erzeugen. In Gervaise Fall das Eingeständnis:
„Er glich dem andern, dem Trunkenbold, der da oben schnarchte, nachdem er sich müde geschlagen hatte. Da legte es sich ihr wie Eis aufs Herz, sie dachte an die Männer, an ihren Ehemann, an Goujet, an Lantier, und mit zerrissenem Herzen verzweifelte sie daran, jemals glücklich zu werden.“
Gervaise entwickelt aus dem Mangel und dem Versuch mit dem Realen, dem Unausprechlichen in Kontakt zu kommen eine Mehrlust, die als Dekadenz ausgelegt wird. Völlerei und Kontrollverlust über die Finanzen, in dem Versuch es sich gut gehen zu lassen. Der Alkoholismis und Gewalt ist ebenfalls über diesen Aspekt zu erklären.
Zola weist Gervaise und den Figuren überall Türen, Verantwortung für das eigene Leben übernehmen zu können. Nana, die Tochter Gervaise bekommt die Möglichkeit ihren Beruf selbst wählen zu dürfen. Revolutionär. Gervaise steht an sich für Freiheit und Öffnung. Prügelt dies hinterher komplett zu Brei. Die reichende Hand Goujet’s wird nicht ergriffen. Weil man es sich sich nicht vorstellen kann, dass ein Traum in der eigenen sozialen Verankerung wahr wird, der nur der vornehmen Gesellschaft vorbehalten ist. Man verweist sich selbst auf seinen Platz. Gervaise opfert sich selbst. Sie fällt nicht zum Opfer, sie setzt sich als solches, für eine Hoffnung auf eine diffuse, äußere Macht, das Schicksal.
“ Und es wäre eine Dummheit sicherlich ... Nein, seht Ihr wohl, dafür ist es besser, daß alles beim alten bleibt. Wir achten einander, unsere Gefühle stimmen überein. Das ist viel und hat mich schon mehr als einmal aufrecht erhalten. Wenn man in unserer Lage anständig und ehrenwert bleibt, wird es einem einst vergolten werden.
Persönliche Entscheidungen verflechten sich mit den Grenzen der sozialen Struktur. Hoffnungen und Träume werden externalisiert.
Zola nutzt Lantier und Goujet als faszinierende Charaktere, die sich als Kontrast zum Determinismus lesen lassen. Lantier, der Charmeur und Manipulator. Der die Oberflächlichkeit und sozialen Strukturen nutzt um seine Vorteile daraus zu ziehen. Zweifelhaftes Verhalten als Ausweg. Goujet, der leise, im Hintergrund, seine Integrität bewahrt. Zurückhaltung und Kontrolle über seine Triebe und sein Begehren zeichnen ihn aus. Er zerbricht nicht an dem Eingeständnis sein Glück (in der unerfüllten Liebe mit Gervaise) nicht zu finden.
Zola weist in seinem erbarmungslosen Strudel des Verfalls, auf die Möglichkeit der Würde.
Ich habe selten ein Buch gelesen, das so knallhart draufhält, verstört und schmerzt. Grandios!...more
Mein erster Zola. Insofern kann ich das Buch nur alleinstehend beurteilen. Die technische und industrielle Revolution steht im Vordergrund -3,5 Sterne
Mein erster Zola. Insofern kann ich das Buch nur alleinstehend beurteilen. Die technische und industrielle Revolution steht im Vordergrund - die Bestie Maschine, in diesem Fall die Eisenbahn, die Lok Lison wird empathisch aufgeladen, in fulminante Szenerien eingebunden und liebevoll durch den Lokomotivführer Jaques umsorgt.
"Die Schnellzugslokomotive ließ aus einem Ventil einen mächtigen Dampfstrahl heraus. Der weiße Strahl stieg hinauf in all dieses Schwarz und zerstäubte dort in kleine Rauchwölkchen und diese bethauten das so unsäglich weit am Himmel ausgespannte Kleid des Todes mit ihren heißen Thränen."
"Jetzt erwachte bleich der Tag, aber es schien, als rührte dieser durchsichtige Schimmer nur vom Schnee her. Er fiel noch dichter, es war, als wäre der Himmel geborsten und seine Trümmer sänken im eisigen Grauen des Morgens auf die Erde. Der Wind nahm mit dem Tage an Heftigkeit zu, die Flocken wurden wie Kugeln dahingejagt, alle Augenblicke mußte der Heizer zur Schaufel greifen, um die Kohlen des Tenders zwischen den Wänden des Wasserbehälters frei zu schippen. Rechts und links erschien die Landschaft den beiden Männern so undeutlich wie in einem flüchtigen Traum: die meilenweiten flachen Felder, die von lebendigen Hecken eingefaßten Weideplätze, die mit Obstbäumen eingehegten Chausseen waren ein einziges, kaum von niedrigen Schwellungen unterbrochenes weißes Meer, eine zitternde, blasse Unendlichkeit, in deren Weiß Alles aufging. Der Lokomotivführer, das Gesicht gepeitscht von der Windsbraut, die Hand an der Kurbel, begann jetzt fürchterlich von der Kälte zu leiden."
Die genauen Zeitangaben und getimeten Gleisstellungen und Signallichter bieten fast die einzige Ordnung und Orientierung in dem Roman. Der Mensch wird dramatisch mit unvorhersehbaren, sprunghaften Verhaltensweisen der Gewaltneigung dargestellt. Zola liefert einen Kriminalfall. Die gerichtlichen Szenen schmückt Zola mit reichlich parodistischem Potential die Unzulänglichkeiten menschlicher Urteilsfähigkeit herauszustellen. Frei nach dem Motto: "Was ich mir nicht vorstellen kann, kann auch nicht wahr sein".
"Damit war also der Beweis einer außerordentlich geschickt gemachten Verbindung Beider erbracht. Der Richter durchhechelte die Psychologie dieses Falles mit einer wahrhaften Liebe zu seinem Berufe. Noch nie, so erzählte er, sei er so tief in die menschliche Natur eingedrungen. In ihm siegte das Ahnungsvermögen über die Beobachtungsgabe. Er gehörte zu der Schule der sehnenden und fascinirenden Richter, die durch einen einzigen Augenaufschlag den ganzen Menschen bloßlegen. Die Beweise waren übrigens ebenfalls in erdrückender Menge zur Stelle. Noch nie hatte eine Untersuchung eine solidere Basis ergeben, die Gewißheit blendete geradezu wie das Licht der Sonne selbst."
Drumherum noch ein bisschen Besessenheit, für Geld zu töten. Verschmähte Liebe und ein Akt der Rache. Einer, der kein Handwerkszeug besitzt, sich in einer veränderten systemischen Situation zu Verhalten, zu Kommunizieren und im Sumpf des Alkohols und der Spielsucht verrottet. Das Begehren zweier Liebender und die Macht der genetischen Disposition bzw. sozialen Prägung.
"Eine Ignorantin wie sie, die in ihrer passiven Milde nichts gelernt hatte, konnte nicht anders als gehorchen: ein williges Instrument für die Liebe wie für den Tod."
"Frauen brachten seinem Geschlecht Unheil"
Zola wütet sprachlich teilweise wie ein heißer Sandsturm. Ich bin von einigen Kapiteln sehr beeindruckt. Allerdings hat er einen äußerst plakativen Stil die Szenerien zu gestalten und die Figuren agieren zu lassen. Dies wirkt auf mich stellenweise wie ein Kasperletheater. Jemand, der grad nicht im Fokus steht wird in eine Kiste gepackt und darf im entscheidenden Moment auf einer Sprungfeder wieder ins Geschehen schießen. Die Handlungen und Abläufe wirken äußerst konstruiert. Man liest das Schema so arg heraus. Bin kein Fan dieser übertriebenen Gesten in Zusammenhang mit abrupt wirkenden, parodistischen Einschüben. Das Ende gibt dem Buch dennoch eine zufriedenstellende, runde Note. Eine Fahrt in den Wahnsinn. ...more
4,5 Sterne 1830, die konservative Restaurationszeit Frankreichs, die nach der Napoleonischen Ära die Bourbonen-Monarchie unterstützte und die tradition4,5 Sterne 1830, die konservative Restaurationszeit Frankreichs, die nach der Napoleonischen Ära die Bourbonen-Monarchie unterstützte und die traditionelle Ordnung hochhielt. Liberale mit ihren Werten und Forderungen waren Feinde. Die Kirche und der Adel gemeinsam im Machtklüngel gegen die Liberalen unterwegs – „und wenn ganz Paris geopfert werden muss“. „...die schlechte Angewohnheit des Einander-Mißtrauens den Massen in Fleisch und Blut übergegangen“.
Zunächst vermutete ich einen klassischen Bildungsroman. Julian Sorel, aus der niederen sozialen Klasse, Vater Handwerker, schwingt sich auf, zum Aufstieg. Bewaffnet mit dem „Memorial von Sankt Helena“, den Tagebüchern Emanuel de las Cases, dem Chronisten Napoleons, träumt er von großen Taten. Er kann die Bibel auswendig, selbstverständlich in Latein, will Priester werden, um sich raus aus der Kleinstadt zu boxen. Julian macht einen cleveren, ambitionierten Eindruck. Stendhal liefert aber einen völlig untypischen Bildungsroman, der in einer Sackgasse endet und zur griechischen Tragödie eines Machiavelli für Arme mutiert.
Der tragische „Held“ Julian- „Wie Herkules stand er am Scheidewege – nicht zwischen Laster und Tugend, sondern zwischen einem wohlgesicherten Durchschnittsdasein und dem Heldentum seiner Jugendträume“- der seiner Hybris des sozialen Aufstiegs erliegt. Er scheitert am Ideal. Julian glaub, dass Liebe Krieg sein muss, ein Feldzug, etwas funktionales: „Hochmütig, wie er war, wollte er dem blinden Zufall und der Eingebung des Augenblicks nichts überlassen. Auf Grund der Geständnisse Fouqués und etwelcher Aphorismen aus seinem Lieblingsbuche, die ihm einfielen, entwarf er sich einen bis ins einzelne gehenden Feldzugsplan. Und da er, ohne es sich einzugestehen, nicht klar und sicher war, so schrieb er diesen Plan nieder.“ Da kaum Selbstreflexivität vorhanden ist, Julian sich nicht in Bezug zur Umwelt setzen kann, kaum selbstständig denkt, sondern lediglich auswendig gelerntes copiert, keine nennenswerte Anpassungsfähigkeit aufweist und auf Grund dessen, extrem unbeweglich bleibt, haben wir es mit einer reinen Berechnung und strategischem Abarbeiten und Pflichterfüllung zu tun. Das unausweichliche Schicksal droht! Sämtliches Personal weist kaum Charakterentwicklung auf. Da Julian nunmal ein äußerst empfindsamer, sensibler Mensch ist und in einem System lebt, das keine Schwäche duldet, von Maskerade, Fassade, Heuchelei, Schauspiel und Manipulation lebt (Machiavelli Hallo!), wird es hart! "Wirkliche Festigkeit fehlt mir«, gestand er sich in tiefstem Weh über den Zweifel an sich selbst. »Ich bin nicht aus dem harten Holze der großen Männer geschnitzt“ Er trifft lauter Fehlentscheidungen.
Stendhal lässt ihn an Sitzungen teilnehmen und Mitschriften anfertigen. Auf einem Ball, führt Julian ein erhellendes Gespräch mit Altamira, in dem es um Utilitarismus geht. „der Zweck heiligt das Mittel! Wenn ich nicht bloß Statist wäre, sondern einige Macht hätte, würde ich drei Menschen hängen lassen, um vieren das Leben zu retten“ Pragmatismus vs. Moral in politischen Entscheidungen. Stendhal legt Julian weiterhin folgendes in den Mund: „Die Leute, die man zu ehren pflegt, sind nichts weiter als Halunken, die das Glück gehabt haben, nicht in flagranti ertappt zu werden. Der Staatsanwalt, den die Gesellschaft auf mich hetzt, ist durch eine Infamie reich geworden.“ Das war ebenfalls für Machiavelli ein entscheidender Punkt : Glück oder Zufall als Voraussetzung für Erfolg oder Misserfolg. Bei der ganzen Deppenparade naheliegend. Die Zweizüngigkeit Machiavellis und Pro-Version finden wir in der Person Mathilde de Mole - Meine Voodoo-Hexe ...more
Maldoror, als dunkler Katalysator, Versuchsanordner, Spiegel der Abgründe der menschlichen Seele, Spiegel der Scheinheiligkeit, das Chaos, um das komplMaldoror, als dunkler Katalysator, Versuchsanordner, Spiegel der Abgründe der menschlichen Seele, Spiegel der Scheinheiligkeit, das Chaos, um das komplexe Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und Moral zu beleuchten. Maldoror ist oft nur Beobachter einer Situation, er phantasiert viele Situationen, ist gelegentlich Auslöser, aber meist nie direkter Täter. Der Text ist von einer traumatischen, disruptiven Natur geprägt. Die surrealistischen Elemente wirken als Verstärker. Er ist nicht in die symbolische Ordnung integrierbar. Er ist das Unaussprechliche, das normalerweise verleugnet und ignoriert wird. Maldoror ist das Reale nach Lacan. Maldoror verhandelt die Natur des Menschen nach Rousseau vs. Hobbes. Gott wird verhöhnt, auf einem Thron sitzend, aus menschlichen Exkrementen und in der Hand der Rumpf eines verwesten Menschen.
„Ich habe Euch geschaffen, ich habe das Recht mit Euch zu machen was ich will.“
„Da Himmel und Erde von Gott geschaffen wurden, sei versichert, dass Du dort den gleichen Üblen begegnen wirst wie hier.“
„ Wie lange wirst Du den wurmstichen Kult dieses Gottes bewahren, der für Deine Gebete und großzügigen Gaben, die Du als Sühnopfer darbringst unempfindlich ist? Je gleichgültiger er sich zeigt, umso mehr bewunderst Du ihn.“
Für Maldoror ist die Logik ein Tröster. Die Waffe gegen den Schöpfer. Hier entfaltet sich die volle Wucht der Aufklärung – Entmystifizerung und Schaffung von Ersatzgottheiten.
Maldoror verhandelt den Gerechtigkeitsbegriff aus Platos Politeia.
Er bespielt die Absurdität des Lebens. Existentialismus. Nihilismus. „Meine Vernunftschlüsse stoßen zuweilen an die Schellen des Wahnsinns und an den ernsthaften Anschein dessen, was im Grunde nur komisch ist. Obwohl es nach Meinung gewisser Philosophen ziemlich schwierig ist den Narren vom Melancholiker zu unterscheiden, da das Leben ein komisches Drama oder eine dramatische Komödie ist“
Maldoror ist das Gegengift jeglicher Idealisierung, des Schönen, Guten, Platos Idee des Eros, das die dunkle Seite nicht kennt. Er pulverisiert Platos Begriff der Liebe, selbst über sich hinauszustreben. Die Liebe muss ebenso immer im Physischen verankert sein. Thanatos und Eros bedingen einander. Das Ideal ist nicht möglich. Den Beweis erbringt Hölderlin in Hyperion oder Der Eremit in Griechenland, der Diotima daran zerbrechen lässt. Maldoror ist die zerstörerische, ebenso reale Seite des Eros, die über die traditionelle Dichometrie von Gut und Böse hinausgeht, die ganz großartig in der letzten Geschichte über Mervyn bearbeitet wird. Das Begehren des Anderen. Mervyns Reinheit, Schönheit, Unschuldigkeit. Für Maldoror das Verbotene, das ihn zerstören könnte. Nu ja, wäre da nicht der autoritäre Vatertyrann, der jegliche Neugier und Entwicklung des Söhnchens im Keim zu ersticken und im „Gut gemeint“, den Tod des Sohnes zu verantworten weiß – hahaha.
Was lernen wir jetzt daraus? Maldoror antwortet: Es muss ein Gleichwicht herrschen zwischen Idiotismus und Vernunft.
1 Stern Abzug für mich selbst, damit ich im zweiten Durchgang lerne mich vom Chaos nicht ermüden, mein Hirn nicht abstumpfen zu lassen und am Surrealismus nicht verzage....more